Ricardo Aracil zieht an einem Griff und mit einem lauten Zischen schießt eine Stichflamme in den gelben Heißluftballon. Die Sicht an diesem Montagmorgen (30.9.) ist auf dem Feld in der Nähe von Manacor äußerst beschränkt. „So viel Nebel ist ungewöhnlich für diese Jahreszeit", sagt der Ballonpilot, beruhigt aber seine Fahrgäste. „Ihr habt Glück: Der Anblick der Nebelschwaden von oben ist mit das Spektakulärste, was Mallorca zu bieten hat." Langsam hebt sich der Korb vom Boden ab. Bald schweben wir über den mallorquinischen Feldern. Der Morgennebel umhüllt ­Vilafranca in einen mystischen Schleier.

Neben uns sind zwei weitere Ballons unterwegs. Vom 22. bis 27. Oktober werden es dann hundert sein, die über Manacor und Umgebung ziehen. Dann steht die 21. Europameisterschaft im Ballonfahren an. Erstmals wird das Turnier auf Mallorca ausgetragen. „Ich hoffe, dass es für viele Jahre das schönste Postkartenmotiv der Insel sein wird", sagt Ricardo Aracil. Er ist nicht nur der Chef des einzigen Heißluftballonanbieters auf der Insel, Mallorca Balloons, sondern auch Organisator des Turniers. „Da ich aus rechtlichen Gründen ständig per Telefon erreichbar sein muss, kann ich leider nicht an der EM teilnehmen", sagt er. Seine Firma bietet für Schaulustige aber Fahrten während des Wettkampfs an. „Erstmals kann das Publikum eine EM aus der Luft verfolgen."

Wie Darts mit Sandsäcken

Bei der EM müssen die Piloten ihr Geschick im Umgang mit den Gefährten und ein ruhiges Händchen beweisen. „Der Turnierdirektor gibt verschiedene Ziele vor, die abgefahren werden müssen", erklärt Aracil. Das an sich ist schon schwierig, da ein Heißluftballon ­bekanntermaßen über kein Lenkrad verfügt und nicht wie ein Auto zu steuern ist. „Wir ­können nur die Höhe beeinflussen und ­dadurch ­unterschiedliche Windströme er­wischen. Die Windrichtung kann sich dann bis zu 90 Grad ändern."

Die Ziele sind zehn Meter große Zielscheiben auf dem Boden. Wie beim Darts müssen die Piloten die Mitte treffen. Statt mit Pfeilen wird jedoch mit kleinen Sandsäcken gespielt. Abhängig vom Wetter sind zur EM 17 Durchläufe geplant. Der Turnierdirektor legt vor jedem Durchlauf die Regeln fest. Bei manchen Durchläufen darf der Sandsack geworfen werden, bei anderen darf der Arm den Korbrand nicht verlassen und der Sack muss einfach nur fallen gelassen werden.

Über den Zielen kommt es bei der großen Anzahl der Ballons zum Gedränge. „Es ist ein bisschen wie Eishockey in der Luft", sagt Aracil. „Jeder versucht, die anderen Ballons wegzustoßen und die beste Position einzunehmen." Dass die Ballonhüllen aufeinandertreffen, ist ungefährlich. Kritisch wird es nur, wenn ein Korb auf den Ballon trifft. Dann sind Risse möglich. Im Vergleich zu den 35 Meter hohen Ausflugsballons sind die Wettkampfgefährte zehn Meter kleiner. „Das ist vergleichbar mit einem Bus und einem Ferrari. Die Wettkampfballons sind schnell wie eine Rakete. Sie können bis zu elf Meter pro Sekunde fallen."

Die Piloten dürfen über die Abwurfhöhe selbst bestimmen. Nur den Boden dürfen sie nicht berühren. Je näher sie dem Ziel kommen, desto größer ist die Trefferwahrscheinlichkeit. „Aber das kostet natürlich auch Zeit. Es geht zwar nicht darum, Erster zu werden. Aber es gibt ein Zeitlimit, und eventuell hat man am Ende keine Zeit mehr, das letzte Ziel anzusteuern." Auch kann es sein, dass durch die Annäherung an das Ziel ein anderer ­Windstrom genommen wird und es so später nicht mehr möglich ist, zu den anderen Zielen zu fahren. Je nach Wind und Durchlauf gibt der Turnierdirektor zwischen zwei und sieben ­Ziele aus.

Ohne Wind keine Fahrt

Damit die Piloten ungefähr wissen, in welcher Höhe welcher Wind weht, lässt die Crew kleine Ballons vom Boden in die Luft steigen. Das hat auch Ricardo Aracil mit seinen Kollegen an diesem Morgen getan. „Oben ändert die Windrichtung von West auf Süd", sagte er beim Blick in den Himmel. „Insgesamt weht wenig Wind. Das ist ungewöhnlich. Wir werden heute wohl keine große Strecke schaffen." Und so kam es auch: Wie im Fahrstuhl ging es senkrecht nach oben. Während der rund einstündigen Fahrt bewegt sich der Ballon kaum vom Fleck. „Gerade einmal zwei Stundenkilometer. Das ist wenig", sagt Aracil.

Während es am Boden in den frühen Morgenstunden noch bestes Pullover-Wetter gab, wird es im Korb, in dem sich neben uns auch Urlauber drängen, in der Luft immer heißer. Rund 30 Grad herrschen in 500 Meter Höhe. Die heiße Flamme, die Ricardo Aracil immer wieder zündet, sorgt für zusätzliche Hitze. „Es glaubt mir nie jemand, wenn ich sage, dass ich oft im Januar im T-Shirt die Alpen überquert und dabei geschwitzt habe", sagt der Pilot.

Gesperrte Flugzone

„Jetzt werde ich uns mal anmelden", sagt Aracil und spricht in sein Funkgerät. Er nimmt Kontakt zur Flugüberwachung in Palma auf. „Die sollen ja schließlich wissen, dass wir jetzt unterwegs sind." Zur EM muss der Pilot die Ballons nicht mehr melden. „Bei der Anzahl an Flugzeugen über Mallorca war die Organisation des Turniers schwierig. Der Tower hilft uns aber sehr. Die Agentur für Flugsicherheit sperrt extra den Luftraum für uns. Die Flugzeuge müssen während der EM einen Bogen um uns machen oder mindestens 4.000 Fuß - das sind etwa 1.400 Meter - hoch fliegen."

Aracil hat sich in den vergangenen Wochen praktisch allein um die Organisa­tion gekümmert. „Die EM wird eines Tages mein Erbe sein. Wenn kleine Kinder die Ballons ­sehen, werden sie sich im Alter von 80 Jahren noch darin erinnern", sagt der 55-Jährige. Auf 500.000 Euro beziffert er die Kosten für den Wettbewerb. Sie werden von der Balearen-Regierung und dem Inselrat getragen. Zudem hilft der Erdölkonzern Repsol bei der Gaslieferung für die Ballons und die Reederei Trasmediterránea mit dem Transport.

Deutsche zählen zu Favoriten

Die 90 Ballon-Piloten reisen mit ihren Teams aus 23 verschiedenen Nationen an. Mit acht Ballons stellt Österreich die meisten, sechs deutsche Teams gehen an den Start. Mallorquiner gibt es keine. „Alle Teams haben sich durch Siege bei regionalen Meisterschaften beworben. Mallorca bekommt die Besten der Besten zu sehen", sagt Aracil. Zu den Favoriten zählen Weltmeister Dom Bareford aus Großbritannien und der Weltranglistenerste Stefan Zerberli aus der Schweiz. Auch die Deutschen haben gute Chancen. „David Strasmann ist Ex-Weltmeister, Zweiter der Weltrangliste und hat vor Kurzem die deutsche Meisterschaft gewonnen. Zudem wird Uwe Schneider vorne dabei sein. Er ist ein Phänomen. In den vergangenen 40 Jahren war er immer in den Top Ten."Kultrestaurant als Tribüne

Den Zuschauern rät Aracil, sich in der Nähe des Kultrestaurants Es Cruce aufzuhalten. „Die Start- und Landeplätze hängen vom Wetter ab. Aber wenn wir dort nicht starten, dann fliegen wir auf jeden Fall darüber." Da es das erste derartige Turnier auf der Insel ist, rätselt Aracil, wie viele Leute kommen. „Ballon-Wettbewerbe sind die zuschauerkräftigste Sportart überhaupt. Bei einem Festival in den USA kamen mal 500.000 Zuschauer. Das ist der Rekord für ein Livepublikum. Bei der vergangenen EM 2017 in Frankreich gab es einen zentralen Platz, wo man Tickets kaufen musste. Da waren in einer Nacht 38.000 Leute da. Hinzu kamen Tausende in der Umgebung."

Verschiedene internationale Fernseh­sender haben sich angemeldet, um vor Ort zu berichten. Um auf dem Laufenden zu bleiben, wird es auf mallorcaballoons.com einen ­Liveticker geben. „Dort gibt es nicht nur Ergebnisse, sondern es steht auch, wo die Ballons ­gerade sind und hinfliegen." Auf der Website lassen sich auch die Touren buchen, um das Spektakel vom Ballon aus zu begutachten. Pro Person kostet die Fahrt 240 Euro.

Es lohnt sich. Alle Passagiere klettern an diesem Montag mit einem Grinsen aus dem Korb. Vielleicht ist es der Erleichterung geschuldet. Bei der Landung gab es noch einen kleinen Schockmoment. In Bodennähe erwischte plötzlich ein zügiger Ostwind den Ballon und trieb ihn in Richtung Autobahn. Aracil aber brachte Korb und Passagiere sanft auf einem Feld daneben zu Boden.