Es hat sie wirklich gegeben. Zeiten, in denen Baumärkte, Gartencenter und Eisenwarenhandelsketten auf Mallorca so unbekannt ­waren wie digitale Zollstöcke in Form von Smartphone-Apps. Zeiten, in denen Werk­zeuge noch in Handarbeit und als Unikate ­gefertigt wurden. Zeiten, in denen die Bauern auf der Insel jede Spitzhacke zum Bearbeiten ihrer steinigen Böden wie einen Goldschatz hüteten. Zeiten, in denen verschlissene oder kaputte Arbeitsmaterialien für Ackerbau und Viehzucht stets aufgearbeitet und repariert wurden, statt sie - auf dem Weg zum nächsten Baumarkt - in den Müll zu werfen. Zeiten aber auch, in denen Kartoffeln und nicht Touristen das Überleben zahlreicher ­Familien auf Mallorca sicherten.

Alexandre Crespí hat diese vergangenen Zeiten an die Wand gehängt. In Form von mehr als 2.000 zum Teil historischen landwirtschaftlichen Geräten, Utensilien und Werkzeugen. Sechs Jahre benötigte der heute 58-jährige Mallorquiner, um aus seiner Garage in Sa Pobla ein kleines Privatmuseen zu schaffen, in dem man von grob geschmiedeten Eisennägeln, Zangen, Hacken und Hämmern über in Handarbeit gefertigte Körbe, Rechen und Siebe bis zu schweinsledernen Gespannzügeln, schmiedeeisernen Pflugketten oder gar selbst montierten Röstmaschinen für Kaffee und Tabak so ziemlich alles bestaunen kann, was man auf der Insel noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts zum Arbeiten und Leben auf dem Lande in die Hand nahm. „Die meisten dieser Dinge stammen aus Sa Pobla oder der unmittelbaren Umgebung", sagt ­Crespí, der seit vielen Jahren als Gärtner für ­einen Hotelbetrieb in Can Picafort arbeitet. Mittlerweile finden sich in seiner Sammlung aber auch landwirtschaftliche Antiquitäten aus anderen Teilen der Insel. Und nicht alles davon hat mit Kartoffeln und Gemüse zu tun.

Stück für Stück Geschichte

Schuld daran hatten vor allem seine Nachbarn. „Im Laufe der Jahre muss sich meine Sammelleidenschaft wohl irgendwie herumgesprochen haben. Die Insel ist ja ein Dorf", sagt Crespí und rollt dabei ein klein wenig theatralisch mit den Augen. Sei, wie es sei: An seiner Haustür klingele es oft. „Da stehen plötzlich vollkommen unbekannte Leute, die mir alte Haushaltsscheren, rostige Fahrräder, ausgefranste Besen, wurmstichige Holztruhen oder ausgemusterte Schulbänke schenken wollen." Natürlich wird keiner von ihnen abgewiesen. Im Gegenteil. „Solche Besuche sind ja schon irgendwie rührend, also öffne ich meine Tür, und lasse die Leute erst einmal von der Herkunft ihrer Schenkungen berichten", sagt Crespí. Denn genau darin bestehe letztendlich der Reiz seiner Sammlung. „Jedes Ausstellungsstück erzählt eine Geschichte. Eine Geschichte des ursprünglichen, vom Tourismus noch unbefleckten Mallorca."

Dazu zählt auch die Story einer rund zwei Meter langen, im Durchmesser etwa ­daumendicken Eisenstange, an deren einem Ende ein Mini-Löffel geschmiedet wurde. Und die ­Crespí ebenso wie viele andere Stücke mit der scheinbar unerbittlichen Penibilität eines Schrebergärtners aus Castrop-Rauxel an der Garagenwand montiert hat. Will heißen: Jedes Exponat hängt hier nach einer für den Betrachter unergründlichen, geometrischen Formel angeordnet, aber stets im exakt gleichen Abstand zum nächsten. Auf den ersten Blick ­ähnelt die Stange - auf Mallorquinisch ­galivan genannt - einem Stemmeisen. Die Frage, ob das Ding denn wirklich jemals einen besonderen geschichtsträchtigen Wert gehabt habe, erwidert Crespí mit pikiertem Blick: „Und ob!" Der galivan kam noch bis in die späten 50er-Jahre beim Bergbau oder beim Freilegen von Marès-Stein-Schichten in den Ausläufern des Tramuntana-Gebirges zum Einsatz. „Um die Dynamit-Stangen überhaupt in den Fels ­stecken zu können, wurde zuerst ein zwei Meter tiefes, nur ein paar Zentimeter breites Loch gebohrt. Anschließend löffelte man mit diesem Werkzeug den Bohrstaub heraus, um ­danach den Sprengstoff in die Öffnung hineinzu­stecken", erklärt Crespí. Darauf muss man erst einmal kommen.

Natürlich sind nicht alle Ausstellungs­stücke seiner Sammlung Geschenke von Nachbarn und Bekannten. „Ich komme aus einer Bauernfamilie mit langer Tradition. Viele Gerätschaften und Werkzeuge, die hier hängen, wurden bereits von meinen Vorfahren zum Bestellen ihrer Äcker benutzt. Irgendwann habe ich damit angefangen, sie zu zu ordnen, zu säubern oder zu reparieren. Das war der Beginn eines Hobbys, dem ich noch heute mit Leidenschaft nachgehe", sagt Crespí. Er versteht sich aus diesem Grund auch nicht allein als Antiquitätensammler, sondern vor allem als Puzzle-Spieler und Detektiv. „Bei einigen Gerätschaften, die mir im Laufe der Jahre in die Hände fielen, wie beispielsweise einem antiken Leinenwebstuhl, fehlten anfangs zum Beispiel Teile. Oder sie waren kaputt. Manchmal wusste ich auch gar nicht genau, wie sie funktionierten oder wozu sie nütze waren", sagt Crespí, der im Laufe der Jahrzehnte einen Großteil seiner Freizeit in die Erforschung der mallorquinischen Landwirtschaftstechnik ­investierte. Fündig wurde er auch immer wieder an den öffentlichen Müllsammelstellen von Sa Pobla oder benachbarten Gemeinden, den sogenannten Puntos Verdes. „Man glaubt ja gar nicht, was die Leute dort alles an Zeit­geschichte wegschmeißen", so Crespí.

Pollença ist nicht Sa Pobla

Sein Lieblingsstück ist ein sogenannter parpal, ein dreiecksförmiges Holzkastengestell, das sein Urgroßvater einst benutzte, um das ka­nalisierte Wasser zur Bewässerung von Reis­pflanzen, Artischocken oder Kartoffeln auf ­unterschiedliche Bereiche der Felder umleiten zu können. „Die Feldarbeit war damals extrem hart. Werkzeuge und handbetriebene Geräte halfen dabei, diese Arbeit etwas erträglicher zu machen. Wer beispielsweise eine Hacke brauchte, beauftragte einen ortsansässigen Schmied mit ihrer Herstellung. Das war jedoch eine echte Investition. Dementsprechend ­behutsam wurde beim Gebrauch und bei der ­Aufbewahrung vorgegangen", erzählt Crespí. Und: Ein Werkzeug oder eine Gerätschaft aus Sa Pobla zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts glich in der Regel nie seinem Pendant aus Pollença oder Andratx. „Form und Beschaffenheit ländlicher Gerätschaften variierten auf der Insel je nach Bodenverhältnissen und Anbauweisen von Dorf zu Dorf. Heutzutage sind solche lokalen Unterschiede bei der Auswahl von Werkzeugen in der Landwirtschaft - egal, wo in der Welt - kaum noch relevant."

Und noch etwas hat sich geändert. „Bauern zählen auf Mallorca längst zu einer aussterbenden Spezies. Wer heute noch als Landwirt auf der Insel arbeitet, ist entweder ein hoffnungsloser Nostalgiker oder sucht sein Glück im Anbau von Öko-Produkten", meint Crespí. Auch dem bis dato anhaltenden, traditionellen Kartoffelanbau seiner Heimatgemeinde Sa Pobla prophezeit er keine rosigen Zeiten. „In 20, spätesten 30 Jahren, wird der letzte Bauer hier vom Trecker steigen, um seine Brötchen fern von Ackerland und Feldarbeit zu verdienen. Die Landwirtschaft hat auf der Insel angesichts der fortschreitenden Globalisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft anderswo in Europa keine Zukunft. Aber vielleicht soll das auch so sein", sagt Alexandre Crespí. Er will weiterhin einen Großteil seiner Zeit damit verbringen, alte Gerätschaften zu suchen und zu restaurieren - und an die Wände seiner Garage zu hängen. Nicht zuletzt, um Nachbarn, Einheimischen, aber auch ausländischen Besuchern zu zeigen, dass es auf der Insel Zeiten gab, in denen Landwirte und Handwerker auf Mallorca ihre Werkzeuge und Gerätschaften nicht mal eben schnell in einem Baumarkt kaufen gingen.

Seine Sammlung historischer landwirtschaftlicher Werkzeuge und Gerätschaften hat Alexandre Crespí bisher ausschließlich im Rahmen von Festen und Feierlichkeiten der Gemeinde Sa Pobla öffentlich zugänglich gemacht. Allerdings: An den meisten Wochenenden, insbesondere aber am Sonntag, öffnet Alexandre Crespí die Türen seiner Garage für Interessierte. Carrer Cervantes, 10, Sa Pobla.