Die Frage nach dem Tierwohl beantworten die Legehennen selbst: Als sie die Besucher wahrnehmen, rennen sie aufgeregt zum Zaun. Die Stängel auf der Wiese haben sie bis auf wenige Zentimeter abgefressen, die Wiese wirkt jetzt wie das Green auf einem Golfplatz. Doch die Aufregung ist schnell vorüber, und das Federvieh setzt wieder seelenruhig seine Suche nach Essbarem fort. Die Tiere scharren hier, picken dort und nehmen zwischendurch mit ihren nicht gestutzten Schnäbeln einen Schluck aus den Wassertränken.

Insgesamt 250 Hühner liefern derzeit Eier, die mit dem Etikett „Es Convent" zweimal wöchentlich ausgeliefert werden. „Je wärmer es wird, desto fleißiger legen sie", sagt Mónica Nebreda. Sie leitet die Bewirtschaftung der seit 2016 zertifizierten Öko-Finca Ses Oliveres zwischen Inca und Llubí, wo auch ökologisches Olivenöl hergestellt wird.

Es handelt sich um eine der Einrichtungen der 1963 von Franziskaner-Nonnen gegründeten Organisation Mater Misericordiae (Barmherzige Mutter) mit Sitz in Palma. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen mit psychischen Einschränkungen zu betreuen und zu unterstützen. Ein weiteres Projekt ist das behindertengerechte Hotel s'Hort d'es Convent in Ariany.

Ses Oliveres

Am Montagmorgen um zehn Uhr bereiten vier Betreuer und zwanzig Beschäftigte auf der Finca­küche die merienda vor. In einem noch geschlossenen Teil des Gebäudes werden die Eier später gesäubert und verpackt. Das Haus, wie auch die Stallungen, wurden mit staatlichen Subventionen errichtet, das Projekt wird zudem von Sparkassen-Stiftungen unterstützt.

Die acht Hektar große Finca sei gepachtet, berichtet Nebreda. Hier arbeiten neben den Betreuern einige Behinderte mit Arbeitsverträgen und Gehalt. Doch die meisten von ­ihnen absolvieren langfristige landwirtschaftliche Ausbildungen bei den Legehennen, der Öl­herstellung und im Gemüseanbau. Jeder der ­Auszubildenden ist für ein eigenes Beet ver­antwortlich, und alle sind stolz auf ihre Ernten.

Luis Noguera ist einer von ihnen. Kurz bevor die Besucher die Hühnerweide erreicht haben, rennt er ihnen mit belegten Broten in der Hand hinterher. Es sind seine Hühner, er füttert sie täglich, deshalb will er bei dem Besuch mit dabei sein. Erlaubt hat es ihm niemand, doch das kümmert ihn nicht weiter. Er erzählt auch sofort, dass er jeden Tag mit seinen Mitbewohnern im Bus von Palmas Polígono Son Oms zur Finca gefahren wird.

Bio ist nicht gleich Bio

Dann legt er die Brote ab und bringt Plastikschutz für die Schuhe der Gruppe. Denn zur Weide gelangt man nur durch den Hühnerstall. Die riesige Tür zur Wiese ist geöffnet, der hohe Raum lichtdurchflutet. Das ­Gackern der Tiere im Raum ist ohrenbetäubend. Alle sind aufgeregt, denn nach dem Wochenende ­müssen die Nester gereinigt werden. Sie sind aus Kunststoff, und Luis wird sie nachher mit dem Wasserschlauch reinigen. Sie fehlen den ­Tieren, die Hühner wissen nun nicht so recht, wohin mit den Eiern. Ein paar von ihnen ­verkriechen sich, andere graben Mulden ins ­Sägemehl.

Im Unterschied zu anderen Öko-Gelegen kommen hier die Eier nicht auf ein Förderband und von dort aus direkt in die Sortiermaschine. Denn in Ses Oliveres hat man Zeit und ­genügend Arbeitskräfte, Gewinne müssen nicht erwirtschaftet werden. Hier wird von Hand gesammelt, und die Eier werden mit der Schubkarre transportiert. Auch das aus Katalonien gelieferte Bio-Futter ziehen sich die Hühner nicht aus Automaten, es wird von Hand ausgestreut, die Tränken werden ständig nachgefüllt.

Der Auslauf

Die Vorschrift für die ökologische Hühnerhaltung sieht vor, dass sich in den Stallungen sechs Hühner einen Quadratmeter zum Schlafen teilen. Im Freien sind pro Tier vier Quadratmeter Auslauf Pflicht. Doch die Platzgröße im Freien allein macht die Hühner noch nicht gesund und zufrieden. Weil sie von Haus aus ängstlich sind, nutzen sie oft den Auslauf aus Furcht vor Raubvögeln nicht und bewegen sich nur wenige Meter ins Freie.

Zudem fehlt den Bio-Küken das Vorbild der Glucke, bei der sie hätten abschauen können, wie ihrerlei mit Gefahrensituationen umgeht. Die Küken sind ­unter der Wärmelampe groß geworden, deshalb brauchen sie besonderen Schutz. In Ses Oliveres sorgen die weit ausladenden Kronen der Olivenbäume dafür, dass die Tiere sich ­sicher fühlen und in aller Ruhe frei laufen und Gras fressen können. Das liefert ihnen wichtige ­Vitamine und macht die Dotter gelb. Viel Bewegung im Freien bewahrt auch vor Stress und Stallallüren, wie Federausrupfen und agressives Schnabelpicken.

Kurzes Glück

Im Alter von 16 Wochen werden die Küken mit Tiertransporten aus Katalonien geliefert. Bevor die neuen pollitos kommen, müssen die Stallungen desinfiziert werden. Die zwei Jahre alten Legehennen, die altersbedingt nicht mehr produktiv genug sind, werden an Bio-Händler verkauft. Manche finden Gnadenbrot bei Personen, die sich mit wenig Eiern zufriedengeben und die Tiere für die Bodenpflege halten, oder aber sie kommen bei ökologisch gesinnten Verbrauchern in den Suppentopf.

Bis die Junghühner sich eingewöhnt ­haben und Eier in einer Größe legen, die verkauft werden können, entstehen Produktionspausen. Um diese zu vermeiden, wird man ab März zwei weitere Stallungen bauen für ­jeweils 800 Legehennen und einen viermal so großen Auslauf einzäunen. Dann werden Luis Noguera und seine Kollegen alle Hände voll zu tun haben.

Info: www.esconvent.org