Die Scherben der Amphoren liegen in der ganzen Höhle verteilt. „Es ist ein Tohuwabohu", sagt der deutsche Forschungstaucher Florian Huber über die mit Süßwasser gefüllte Höhle Ses Aiguades bei Alcúdia. Haben die Römer die Höhle als Brunnen genutzt und sind die Flaschen dabei abgestürzt? Handelt es sich um eine antike Müllhalde? Oder gar um einen spirituellen Ort, wo die Menschen früher Opfergaben an die Götter entrichteten? Ein deutsch-mallorquinisches Team von Unterwasserarchäologen will das Geheimnis lüften. „Es ist wie ein 2.000 Jahre alter Tatort. Wir wollen wissen, was dort passiert ist", sagt Florian Huber.

Bereits 1998 hatte der Taucher Xisco Gràcia die Höhle in Alcanada, unweit vom heutigen Golfplatz entdeckt und 189 Amphoren geborgen. Diese kamen größtenteils unerforscht in ein Museum in Palma de Mallorca. 20 Jahre lang scherte sich auf Mallorca kaum jemand weder um die antiken Gefäße noch um die Höhle. Erst 2018 ergriffen der mallorquinische Unterwasserarchäologe Manel Fumàs und sein Team die Initiative. „Die Höhle ist einzigartig in der Welt. Aus archäologischer Sicht hat sie einen unschätzbaren Wert", sagt Fumàs.

Er kontaktierte seinen deutschen Kollegen Florian Huber aus München, der ähnliche Projekte in Mexiko geleitet hatte. Die Szene der Unterwasserarchäologen ist nicht sonderlich groß. Man kennt sich untereinander. Während sich der mallorquinische Taucher auf den geschichtlichen Aspekt und die Beantragung der nötigen Lizenzen konzentrierte, sollte der Deutsche die Technik beisteuern. Dass diese vor 20 Jahren fehlte, war einer der Gründe, wieso die Erforschung der Höhle zum Stillstand kam.

Im vergangenen Jahr schloss sich Huber dem Forschungsprojekt an, bei der auch andere Höhlensysteme der Insel erkundet werden sollen. „Wir wissen heute immer noch nicht, wie viele Höhlen es auf der Insel gibt", sagt Huber. Für den 44-Jährigen war es der erste Tauchgang auf Mallorca.

Forscher (und Amphoren) gelangten durch ein rund ein Meter großes Loch in die etwa 180 Meter lange Höhle. Das Wasser steht bis zu 14 Meter tief. Früher war die Höhle trocken. Die Forscher gehen davon aus, dass sie sich vor 12.000 Jahren durch den steigenden Grundwasserspiegel mit einem Süßwasser füllte, das einen hohen Chloridgehalt aufweist. „Durch das Wasser erhalten sich die Funde gut. In der Tiefe liegen extreme Schätze", sagt Huber. „Einerseits haben wir prähistorische Funde in Form von Skeletten der Ur-Ziege Myotragus gemacht, andererseits römische oder möglicherweise auch griechische Amphoren. Das ist wie ein Archiv."

Das Alter der Amphoren schätzt Florian Huber auf etwa 2.000 Jahre. Bei den jüngsten Tauchgängen hat das Team keine neuen Exemplare mehr geborgen. Man könne jedoch mit denen arbeiten, die die Taucher bereits 1998 aus dem Wasser geholt hätten. „Ein Experte kann an der Form und dem Henkel die Gefäße identifizieren. Durch die Tonzusammensetzung lässt sich ein genaues Gebiet bestimmen, wo sie hergestellt wurden. Bei manchen ist ein Stempel drauf, der Aufschluss geben kann", sagt Huber.

Die meisten Karaffen stammen wohl aus Hispania Tarraconensis, einer römischen Provinz, die weite Teile der heutigenIberischen Halbinsel umfasste und von den Laietani, einer Volksgruppe aus dem heutigen Barcelona. „Die Untersuchungen könnten auch klären, ob in den Amphoren Olivenöl, Wein oder Garum, eine antike Fischsoße, enthalten waren."

Huber schließt einige Theorien aus, wie die Amphoren in die Höhle gelangten. „Ich glaube kaum, dass die Römer so blöd waren und Hunderte Amphoren beim Wasserholen fallen gelassen haben." Da einige Gefäße komplett erhalten sind, glaubt er auch nicht an eine Müllhalde. „Warum sollten sie sich die Mühe machen und die Amphoren bis zur Höhle schleppen?" Wahrscheinlicher sei, dass es sich um Opfergaben handelt. „Der Hafen von Pollentia, dem heutigen Alcúdia, lag in der Nähe. Es kann sein, dass die Seefahrer vor ihren Reisen um göttlichen Beistand baten."

Derzeit ist der 44-Jährige mit anderen Projekten beschäftigt. Im Oktober will er erneut auf der Insel tauchen. Die Forschungsarbeiten in der Höhle seien schwierig. „Die Blasen unserer Atemluft stoßen an die Decke. Sedimente lösen sich und rieseln langsam im Wasser herab. Nach etwa einer Viertelstunde sieht man nichts mehr." Bis das Wasser klar genug ist, müssen die Taucher einen Tag lang warten.

Bei den nächsten Tauchgängen soll Ses Aiguades weiter erkundet werden. „Wir fertigen mit Fotos ein 3D-Modell an. Da es unter Wasser kein GPS gibt, helfen uns Unterwasserfahrzeuge dabei, den Weg aufzuzeichnen." Ist das getan, beginnt die Schreibtischarbeit mit den Amphoren. „Wir können alte Schriften und Berichte durchgehen, ob wir Anhaltspunkte finden. Oder auch prüfen, ob es ähnliche Höhlen in Europa gibt", sagt Huber.

Eine Hürde dabei ist die Finanzierung. „Bisher habe ich auf eigene Kosten gearbeitet", sagt der Deutsche. Weitere Untersuchungen müssten jedoch extern finanziert werden. „Mit 20.000 Euro kann man schon viel machen", sagt Huber. „Mallorca täte gut daran."