Die Vorstellung, wie sich das Leben auf den Balearen ohne Tourismus gestaltet hätte, gleicht unter normalen - nicht vom Coronavirus beeinflussten - Umständen einem Ding der Unmöglichkeit. Zu sehr erscheinen vor unserem inneren Auge Bilder von mit Urlaubern überfüllten Stränden, von Gastronomiebetrieben, die aus allen Nähten platzen, und langen Mietwagen-Schlangen vor den Top-Sehenswürdigkeiten Mallorcas. Aber es gab eine Zeit, in der sich kaum ein Ausländer auf die Insel verirrte - die Zeit von Miquel dels Sants Oliver i Tolrà (1864-1920), der sich schon damals für eine auf den Tourismus basierte Wirtschaft einsetzte.

Zum 100. Todesjahr wird dieser Tage wieder an ihn erinnert - Miquel dels Sants Oliver i Tolrà gilt als einer der bedeutendsten Intellektuellen der Inselgeschichte. Zur Welt kam Oliver in einer wohlhabenden Familie in Campanet, einem beschaulichen Dorf zwischen dem Tramuntana-Gebirge und der sogenannten flachen Mitte Mallorcas, dem Pla. Der Sohn eines Journalisten begann bereits im Alter von 16 Jahren für die Zeitungen „La Opinión" und „El Anunciador Balear" zu schreiben. Zu dieser Zeit verfasste der junge Oliver auch sein erstes Sonett auf Mallorquinisch und lernte bei einem Literaturwettbewerb den Dichter Joan Alcover kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.

Miquel dels Sants Oliver studierte Jura in Barcelona und arbeitete danach sowohl als Journalist als auch in der Bank Fomento Agrícola Balear, wo er es bis zum Direktor brachte. Er gründete die mallorquinische Wochenzeitung „La Roqueta" und übernahm 1897, nach dem Tod seines Vaters, die Leitung der Zeitung „La Almudaina", die viele Jahre später in der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca" aufgehen sollte. In Barcelona leitete er das „Diari de Barcelona" und, ab 1916, „La Vanguardia", bis heute eine der angesehensten Zeitungen des Landes, die unter seiner Ägide als erste spanische Zeitung überhaupt Korrespondenten nach Paris und Berlin entsandte.

Aber sogar in den journalistischen Texten brachte Oliver seine Neigung zur Lyrik zum Ausdruck, und einige Abschnitte seiner Artikel gleichen Gedichten in Prosa. In zahlreichen Texten beschrieb er die Schönheit und Vielfältigkeit der Balearen sowie deren hervorragendes Klima. Er plädierte dafür, diese Vorzüge zu nutzen und den Fremdenverkehr als wirtschaftliche Einnahmequelle zu erschließen. Dafür gab es freilich damals noch einiges zu tun.

„Es fehlt überall an Komfort", konstatierte Oliver und bemängelte die geringe Anzahl und die armselige Ausstattung der damaligen Unterkünfte, die Einfallslosigkeit der angebotenen Mahlzeiten und die viel zu kleinen Kajüten der Schiffe, die die Inseln mit dem spanischem Festland verbanden. „Wir brauchen ein Grandhotel (welches 1903 schließlich eröffnet wurde und heute das CaixaForum in Palma de Mallorca beherbergt, Anm. d.?Red.), bessere Restaurants, schnellere und bequemere Schiffe, ein effektives, innermallorquinisches Verkehrsnetz und eine besser ausgebildete Bevölkerung", so Oliver. Gleichzeitig zweifelte er jedoch daran, dass die Unternehmer Mallorcas dem gewachsen wären. Für die Umsetzung seiner Ideen setzte er auf massive Werbung, „die Seele der modernen Spekulation", wie er sie nannte.

Zugleich war Miquel dels Sants Oliver auch ein entschiedener Befürworter der Dezentralisierung Spaniens. Er gilt als einer der Begründer des balearischen Regionalismus. Mit harten Worten geißelte er die Politiker in Madrid als Teil eines Systems, das auf Wahlbetrug und Vetternwirtschaft basiere - „schlimmer als die Mafia", wie Oliver schrieb. Nur eine bürgernahe Politik in den historisch unterschiedlich gewachsenen Regionen könne die Probleme Spaniens lösen, stellte er in „La cuestión regional" von 1899 fest.

Folgerichtig forderte er mehr Autonomie für die Regionen und plädierte für einen föderalistischen Staatsaufbau, wie er bereits in den USA, Deutschland und der Schweiz praktiziert wurde. Seine politische und kulturelle Heimat fand Miquel dels Sants Oliver dabei mehr noch als auf Mallorca in Katalonien. 1903 zog er definitiv nach Barcelona und wurde dort zu einem entschiedenen bürgerlichen Befürworter der katalanischen Eigenständigkeit.

In engem Zusammenhang damit stand auch seine Vorliebe für die katalanische Sprache. Seine Essays und Zeitungsartikel schrieb er zumeist auf Spanisch, nicht so aber seine literarischen Werke. „In einer Zeit, in der auf der Insel generell wenig geschrieben wurden, und erst recht nicht auf Katalanisch, war er einer der Pioniere", sagt Pere Roselló, Universitätsdozent für Katalanische Philologie an der Universität der Balearen.

Miquel dels Sants Oliver starb am 9. Januar 1920 im Alter von nur 55 Jahren, nachdem er ein Jahr zuvor einen Gehirnschlag erlitten hatte, der ihn körperlich fast vollkommen gelähmt zurückließ. Zu seinem 100. Todestag erschien im Verlag Lleonard Muntaner der elfte Band seiner gesammelten Werke, die seit 1999 veröffentlicht werden. Zahlreiche Gedenkveranstaltungen, die für dieses Frühjahr geplant waren, mussten nach der Verkündung des Alarmzustandes abgesagt oder verschoben werden.