Mein Nachbar war ein Ausländer, der von Hunden umringt war: einem halben Dutzend ­Schäferhunde und dem einen oder anderen Dobermann. Der Verfasser dieses Artikels war zu Beginn der 60er-Jahre ein Kind. Einige ­Meter von unserem Haus in Alaró entfernt erhob sich eine riesige Villa im regionalistischen Stil, umgeben von Orangenbäumen. Wir nannten sie „das Chalet". Dort befand sich die Wohnstätte - oder besser gesagt, die Zuflucht - eines Finnen namens Otto Kumenius.

Mir erschien er sehr alt, obwohl er zu jener Zeit gerade erst die 50 überschritten haben musste. Klein wie er war, pummelig und mit gerötetem Gesicht, hätte niemand gedacht, dass er ein „Spion im Dienst von fünf Nationen" gewesen war, wie es auf dem Titel eines seiner ­Bücher heißt. Wenn er mit seinen Hunden auf die Straße ­hinausging, war er sehr freundlich zu den Kindern des ­Dorfes. Aber mein Vater warnte mich, dass die Hunde mehr als nur Haustiere waren: Sie bildeten einen Schutzschild.

Otto Kumenius war in drei Kriege verwickelt

Kumenius wurde am 22. Dezember 1912 in Turku geboren. 1932 trat er der Polizei bei, später der finnischen Spionageabwehr, und er gehörte eine Zeit lang der Leibwache des Präsidenten Risto Ryd an. Es war ihm bestimmt, die 30er- und 40er-Jahre mitzuerleben und in drei Kriege verwickelt zu sein: den soge­nannten finnisch-sowjetischen Winterkrieg (1939-1940) und den im Anschluss geführten Fortsetzungskrieg gegen die Sowjetunion (1941-1944), die sich beide im Rahmen des Zweiten Weltkriegs abspielten.

Sein Land geriet zwischen zwei Fronten: die Kommunisten und die Nazis. Das Vereinigte Königreich erklärte Helsinki den Krieg, griff aber nie ein Ziel in Finnland an. Die Umstände waren der ­perfekte Nährboden für Spionageabwehr. ­Kumenius wurde zum gefürchteten Gegner für Moskau, was ihn schließlich dazu veranlasste, Abstand zu nehmen und sich Anfang der 60er-Jahre auf Mallorca niederzulassen.

Die Rettung der Esten während des Zweiten Weltkriegs

Es war eine Rettungsaktion, die ihm die Feindschaft der Sowjets einbrachte: Im September 1944 gelang es ihm, mehr als 5.000 Esten aus Finnland ins benachbarte, neutrale Schweden zu bringen. Nach dem Unterschreiben des Waffenstillstands forderte Moskau die Auslieferung der estnischen Soldaten.

Kumenius plante die Flucht über die Hafenstadt Rauma. Er organisierte eine kleine Flotte uralter Boote wie der „Venus", an deren Bord sich 863 Menschen drängten, obwohl ihre Kapazität auf rund 200 Personen ausgelegt war. Die Überfahrt verlief nicht angenehm, wie Joel Haukka, einer der Passagiere, berichtet: „Drei Männer wurden von den Wellen verschlungen, ein anderer verlor den Mut und erschoss sich, und zwei Babys starben an Frischluftmangel." Die Sowjets forderten Kumenius' Festnahme, aber auch dem Spion selbst gelang es, mit seiner ­Familie nach Schweden zu entkommen.

Jagd auf russische Spione

Kumenius spürte im Laufe seiner Karriere mehrere russische Spione auf. Zum Beispiel die sowjetische Agentin Kerttu Nuorteva, die mit der Mission, Informationen aus Helsinki über die deutschen Truppen zu sammeln, am 30. März 1942 mit dem Fallschirm auf fin­nischem Gebiet gelandet war. Sie verbarg sich bei der Schriftstellerin Hella Wuolijoki. ­Kumenius und seine Männer brachten schließlich beide ins Gefängnis. Auch bei der Identifikation des Schweden Stig Berling als sowjetischen Spion spielte Otto Kumenius eine entscheidende Rolle.

180-Grad-Wende auf Mallorca

In Interviews bezeichnete er sich selbst als „spanienfreundlich und Eremit". Auf Mallorca, wo er fast vier Jahrzehnte lebte, begann der ehemalige Spion ein völlig neues Leben: Er entdeckte das Potenzial der Tourismusbranche, eröffnete das Restaurant Tres Coronas und wurde auch Restaurant­leiter der Casa Naval in Colònia de Sant Pere. Außerdem förderte er maßgeblich die Ankunft skandinavischer Touristen auf der Insel.

In seinem Haus in Alaró schrieb Kumenius ein halbes Dutzend Spionage-Bücher. Der Regisseur Jörn Donner drehte 2009 den Film „The Interrogation". Darin taucht Kumenius, gespielt von ­Lauri Nurkse, als der Mann auf, der Kerttu Nuorteva festnahm. Viele Skandinavier debattieren noch ­heute über die wahre Rolle des finnischen Spions, der auf Mallorca ­Zuflucht suchte.

Bei seinem Tod am 9. Oktober 1996 schenkte mir seine Witwe mehrere ­Bücher. Eines davon ist „September ­Roses". Ich öffne es und finde eine Widmung mit Autogramm: „Für meinen Freund Otto Kumenius, André Maurois".