Im Mai blüht vieles, auch die Luftnelke in Pink und Blau. So auch in Alaró, wo der Klassiker in den Inselgärten auf der Terrasse eines Steinhauses gleich in zehnfacher Ausführung vertreten ist. Vor der Corona-Krise hat man den Kugelpflanzen wenig Beachtung geschenkt, weil man auf dem Feldweg vom Dorf in Richtung Puig d'Alaró als Ziel immer nur die Burg im Auge hatte.

Das ist zurzeit anders. Täglich werden ein und dieselben Wege immer im Radius von einem Kilometer absolviert, und auf einmal nimmt der Spaziergänger die Blüten der Luftnelke (Tillandsia aeranthos bot., clavel de aire span., clavell de l'aire kat.) hoch oben an einem Metallgerüst wahr. Allzu häufig sieht man sie nicht, denn die Blüte der Tillandsie lässt oft jahrelang auf sich warten. Doch hier am Dorfrand blüht sie prächtig, weil die Pflanzen einen idealen Standort haben: Morgens scheint die Sonne, nachmittags ist es schattig.

Wind und Sturm begünstigen die Vermehrung

Beim Bestaunen der Blüten kam es dann auch zum Gespräch mit Ona Bordas, der Besitzerin der Pflanzen. Sie hat Zeit für ein Gespräch, denn die Lehrerin an der Gesamtschule in Binissalem unterrichtet von zu Hause aus und sagt auch dem Besuch der MZ-Fotografin zu.

Und sie berichtet, dass es zehn Jahre her sei, dass sie die erste Rosette an einer winzigen Wurzel mit einem Stoffband dort oben angebunden hat. Nach und nach vermehrte sich die Pflanze. Bordas zog das Band immer wieder unter den neu gebildeten Wurzeln hindurch. So konnte die Pflanze die Kugeln bilden, die für die Inselgärten so typisch sind. „Wenn sie zu schwer werden, löst sich ein Ableger und fällt auf den Boden", sagt Bordas. Meistens begünstigen auch Wind oder Sturm die Trennung eines Abkömmlings von der Mutterpflanze. Der Ableger kümmert sich dann wieder um Vermehrung und bildet eine neue Kugel.

Ableger als Geschenke

Diese einfache Vermehrung machte vielleicht den Erfolg der Pflanze auf der Insel aus. Denn bevor die Inselgärtnereien immer frisch blühende Pflanzen von Fest- und Ausland bezogen, wurden die kugeligen Gewächse sorgfältig in den corrals hinter den Häusern in ländlichen Gebiete gezogen, wo auch schon mal Hühner und Schweine untergebracht waren. Stammplatz der Luftnelken waren die Metallaufsätze der Zisternen, an denen auch der Eimer hängte. Löste sich ein Ableger von der Mutterpflanze, so wurde dieser an Nachbarinnen und Freundinnen verschenkt.

Oft hieß es, dass die Luftnelken vom Staub und der Luftfeuchtigkeit allein leben würden. Das reichte vielleicht für eine einzige Nelkenkugel in der Nähe der Zisterne aus. Ebenso erzählt man sich, dass man den Kugeln in heißen Sommern ein wöchentliches Tauchbad gegönnt habe. Auf dem Weg zum Castell geht es zeitgemäßer zu: Sobald es im Frühjahr wärmer wird, nimmt Bordas den Schlauch zur Hand und duscht die Pflanzen alle drei bis vier Tage mit einem breiten, sanften Strahl.

Viel Licht auf den Bäumen

Wild wächst die Tillandsia aeranthos, sie zählt zur Familie der Bromelien und ist dadurch mit der Ananas verwandt, in tropischen und subtropischen Lebensräumen Süd- und Mittelamerikas. Sie zählt zu den Epiphyten (Aufsitzerpflanzen). Das sind kleinwüchsige Gewächse, die sich der günstigen Lichtverhältnisse wegen auf Ästen von Baumkronen niederlassen. Dort halten sie sich mit ihren Wurzeln fest. Sie entziehen ihren Wirtspflanzen dabei keine Nährstoffe, und so kommen sie auch auf Telefonkabeln, Steinritzen oder Kakteen vor.

Im Laufe ihrer Evolution haben die Epiphyten sich von der Wasser- und Nährstoffversorgung im Erdsubstrat unabhängig gemacht. Ihre grauen filzigen Hautschuppen machen es möglich, Staubkörner aus der Luft aufzunehmen. Die Rosettenblätter sind obendrein so angeordnet, dass sie in ihrer Mitte am tiefsten Punkt Regenwasser speichern können.

Noch ein Luftikus

Das Feenhaar (Tillandsia usneoides bot., barba de viejo span.), auch Spanisches Moos genannt, ist mit der Luftnelke verwandt. Es kommt wild in Habitaten mit hoher Luftfeuchtigkeit in den US-amerikanischen Staaten Mississippi, Louisiana sowie in Mittelamerika, Ecuador, Kolumbien, Peru und Argentinien vor. Dort hängen sie wie Schleier von den Bäumen und bilden Unterschlupf für Fledermäuse und anderes Getier, das sich auch an der Verbreitung der haarähnlichen Ableger beteiligt. Die zarten Blätter sind flexibel, spiralförmig und ineinander verhakt, die Blüten unscheinbar.

Auch diese Tillandsienart gedeiht in Inselgärten. So beispielsweise bei den MZ-Lesern Gabriele und Martin Tischendorf. „Ab einer gewissen Länge trocknet es in der Mitte aus", sagt die Gärtnerin. Sie habe dann das feine Haar geteilt und es mit Häkchen an einer Schnur neu aufgehängt. So kam sie mit der Zeit in den Besitz von 20 Exemplaren des grausilbrigen Geflechts, das sie mit Quellwasser gegossen hat. Andere Feenhaar-Experten raten zur Beigabe von Flüssigdünger ins Gießwasser. Empfohlen werden außerdem Standorte mit viel Licht, aber nicht allzu viel Sonne. Es scheint jedoch, dass es auf der Insel selten zur Bildung großer Matten kommt.

Das Sonnendach

An einem weiteren Tag, wieder auf demselben Weg vom Dorf in Richtung Castell, ist zu beobachten, dass mittlerweile ein Sonnendach gegen UV-Strahlen über die Terrasse gespannt wurde. Die Tillandsien-Kugeln sind nun zeitweise vor der Hitze geschützt und gut auf den kommenden Sommer vorbereitet.