Bis zum 13. März sorgten auf dem Veranstaltungsgelände in Son Fusteret in Palma de Mallorca noch rasante Fahrgeschäfte für das besondere Kribbeln im Bauch der Besucher der Kirmes Fira del Ram. Auf dem Platz roch es nach Crêpes und churros. Am Dienstagvormittag (16.6.) erinnern, wenn überhaupt, nur noch die bunten Schriftzüge auf einigen der geparkten Lastwagen an den einstigen Fahrspaß und Gaumenschmaus. Das Gelände liegt verlassen da. Nur ab und an sieht man einen feriante (Schausteller), der an einem seiner Wagen herumbastelt - wie ­Enrique ­Méndez. Er bereitet gerade eines seiner sieben Fahrzeuge für den ITV-Termin am Donnerstag (18.6.) vor.

Hoffnungsvolles Warten

„Wir mussten schon zwei Tage, bevor die spanische Regierung den Alarmzustand ausgerufen hat, schließen und alles abbauen", erzählt uns der 31-Jährige aus Valencia. Einige seiner Kollegen seien daraufhin sofort abgereist. Méndez wollte erst einmal warten. Er hatte ­gehofft, dass die Krise bald wieder vorbei sei. Woche für Woche harrte er geduldig auf dem Veranstaltungsgelände aus. In den vergangenen Wochen verfolgte er gespannt die Entscheidungen der Regierung zur Exit-Strategie aus der Krise mit.

„Der Transport nach Valencia kostet mich rund 4.000 Euro. Wenn wir einmal da gewesen wären, wären wir sicher nicht mehr zurück nach Palma gekommen. Da Palma Valencia bei der Exit-Strategie immer eine Phase voraus war, dachte ich, dass eine baldige Wiedereröffnung hier wahrscheinlicher ist", so der 31-Jährige. Letztlich wurde aber die Wiedereröffnung der Fira in keiner der drei Phasen ­genehmigt und selbst in der „neuen Norma­lität" ist noch kein Datum festgelegt, an dem die Schausteller ihre Attraktionen und Waren wieder anbieten werden dürfen. „Wir wollen keine Hilfen, sondern nur so schnell wie möglich wieder arbeiten dürfen. Meinetwegen ­sollen uns die Behörden auch strenge Sicherheitsvorkehrungen verordnen, wir werden sie erfüllen", so Méndez. Im Gegensatz zu vielen anderen feriantes hatte er sogar noch Glück: Er, seine Frau, sein Vater und die beiden Ange­stellten bekommen Kurzarbeitergeld (ERTE).

Normalerweise hätte die Truppe zu Nicht-Corona-Zeiten längst ihre jährliche Tour nach Barcelona, zu einigen Dörfern in Katalonien, Zaragoza und Gerona fortgesetzt. Bis Ende dieser Woche will Méndez noch abwarten. „Wenn es bis dahin kein Datum für eine Wiedereröffnung gibt, fahren wir nach Valencia zurück", so der 31-Jährige.Den Sohn nachgeholt

Auch Carlos Capilla und seine Frau Maider wurden von der Krise überrascht. Sie konnten gerade noch am 14. März ihren 16 Jahre alten Sohn nach Mallorca holen, bevor die Inseln abgeriegelt wurden. „Er lebt eigentlich bei meiner Mutter in Barcelona, geht dort zur Schule und wollte uns hier ab und an besuchen", ­erzählt Capilla. Das Geld für seine bereits ­gebuchten Flugtickets für die Besuche sei erst einmal verloren. Dabei könnte die Familie jetzt jeden Euro gut gebrauchen: Als Selbstständiger (autónomo) bekommt Capilla wegen der Pandemie derzeit gerade einmal 660 Euro pro Monat. Erst vor Kurzem hat er eine fünfstellige Summe in seine neue Attraktion investiert: ein Multi-D-Kino. Nur zehn Tage lang war es in Betrieb. „Wir zahlen momentan unsere Hypothek und die Versicherung für den Straßenverkehr nicht. Nur deswegen können wir derzeit überleben", erzählt er. Da nur er und ein dazu gebuchter Chauffeur die vier Fahrzeuge der Familie fahren können, stand für das Paar zu keinem Zeitpunkt zur Debatte, abzureisen. „Wir wären mit dem Flugzeug nicht mehr auf die Insel zurückgekommen, um die restlichen Fahrzeuge zu holen", so Capilla. ­Einige Kollegen hatten ihm von ihren Schwierigkeiten berichtet, die sie bei der Wiedereinreise nach Mallorca hatten. Außerdem wollte ­Capilla nicht einen Teil seiner Sachen auf dem Gelände zurücklassen, da es immer wieder zu Diebstählen kommen würde.

Seit Carlos Capilla acht Jahre alt ist, kommt er regelmäßig auf die Insel. „Es war für uns trotz allem gut, die Quarantäne hier ver­bringen zu können", sagt seine Frau Maider ­Berdasco. Dennoch falle es dem Paar schwer, mitansehen zu müssen, wie Bars und Restaurants wieder eröffnen, nur ihre Branche bleibt außen vor.

Ein langjähriger Bekannter des Paares, ­Andrés Moya, kommt plötzlich, wohl von der Neugier angetrieben, dazu. Fest überzeugt ­davon, dass er nach dem ersten zweiwöchigen Alarmzustand wieder eröffnen könnte, hat sich auch der 63-Jährige entschieden, in Palma zu bleiben. Seine Frau und seinen 25 Jahre ­alten Sohn hat er seit der Ausrufung des ­Alarmzustandes nicht gesehen. „Das war schwer", so Moya. Auch sein Angestellter aus der Ukraine musste die Quarantänezeit hier verbringen. „Nächste Woche fahre ich nach ­Valencia zurück", so der 63-Jährige.

Drei Tage nur Reis

Obwohl sie auf der Insel beheimatet sind, hat der Lockdown die beiden Mallorquiner Garry Alan Drake Hurst und Juan Manuel ­Maldonado besonders hart getroffen. Hurst ­arbeitet in einem Fahrgeschäft, Maldonado verkauft Süßigkeiten. „Wir mussten schließen, während große Einkaufszentren am Wochenende noch auf waren. Dabei wäre es für uns sehr wichtig gewesen, zumindest noch die Einnahmen vom Wochenende zu haben", erzählt uns Juan Manuel Maldonado, der sich von der Regierung im Stich gelassen fühlt. „Sie haben uns einfach vergessen und sich stattdessen erst einmal nur die Bars gekümmert." Empört war er auch darüber, dass bereits im März die im September auf Menorca stattfindende Firas abgesagt wurden. Dort verbringt er eigentlich die Sommermonate.

Auch wenn der Alarmzustand ab dem 22. Juni beendet sein wird, wird die Regierung die feriantes nicht unterstützen, ist er sich sicher. Von der Balearen-Regierung hat er für den ersten Monat einmalig 130 Euro bekommen. Was er davon kauft, muss er mit Kassenzetteln belegen. Zudem hat er auf die Lebensmittelspenden vom Roten Kreuz zurückgegriffen. „Ich habe nun schon drei Tage nur Reis gegessen und habe nur noch zwei ­Dosen Thunfisch", so Maldonado.

Sein Freund Drake Hurst hat Obdach im Haus des gemeinsamen Bekannten Juan Pelado gefunden, der in Son Ferrer wohnt. Maldonado schläft in dessen Wohnwagen. Die Schausteller werden wohl auch weiter auf Hilfe an­gewiesen sein, bis der Rummel irgendwann wieder losgehen kann.