25 Meter, 7 Meter, 11 Meter. Stattliche Maße für einen 1.150 Jahre alten Ölbaum, der auf Mallorca steht. Gemessen werden der Umfang der Baumkrone, die Stammtaille auf 1,30 Meter Höhe und das sichtbare Wurzelwerk am Erdboden. Stereotype Idealmaße gibt es bei diesem Schönheitswettbewerb aber nicht. Denn der Jury vom Verband der Orte mit Oliven-Gewerbe (AEMO) geht es weniger um äußere Werte, wenn sie Jahr für Jahr den prächtigsten Ölbaum Spaniens küren. Stattdessen lauschen die Juroren auch den Geschichten, die sich seit Jahrhunderten um die knorrigen Wettbewerber ranken. Sie betrachten die Parzelle, in die sich die mächtigen Wurzeln tief hineingebohrt haben. Und sie wissen die Arbeit derjenigen Familien und Gesellschaften zu schätzen, die den Baum durch die Epochen der Menschheitsgeschichte hindurch hegten und pflegten.

Spaniens ehrwürdigster Ölbaum - el olivo más monumental - des Jahres 2020 steht auf Mallorca zwischen Fornalutx und Biniaraix im im Sóller-Tal. Der olivo de Can Det wächst „auf einem spektakulären Sockel, dessen uralten hölzernen Wurzeln eine riesige Fläche einnehmen", heißt es im Urteil der Jury. Der „erhabene Stamm" von knapp sieben Meter Umfang „zeichnet eine mächtige Figur scheinbar unmöglicher Konturen", die sich allein aus der „Entwicklung dieser Pflanze im Laufe der Jahrhunderte erklären" zitiert der Verbandsvorsitzende José María Penco aus der Begründung.

Es handelt sich um einen Ölbaum einer heimischen Sorte mit dem Namen Empeltre. Übersetzt bedeutet dies, dass die Sorte "gepropft" wird. Wer diesen Baum nun vor über tausend Jahren - das genaue Alter lässt sich nur schätzen - ursprünglich einmal veredelt hat, lässt sich nicht sagen. Mallorca blickt da auf eine lange Tradition zurück. Schon die Griechen und Phönizier pressten auf der Insel Olivenöl. Den Baum, um den sich heute die Familie Deya Canals kümmert, wurde vermutlich im 9. Jahrhundert, also im muslimisch geprägten Mittelalter der Insel, gepflanzt. Als die christlichen Eroberer aus Katalonien die Ölbauern dann besiegten und von der Insel vertrieben, war der Hain bei Fornalutx also schon gute 400 Jahre alt.

„Auf unserer Finca stehen rund 600 Olivenbäume, von denen wir und unsere Vorfahren keinen einzigen gepflanzt haben", erklärt Tomeu Deya von Can Det. Alle Bäume seien also weit über hundert Jahre alt, etwa 50 von ihnen über 800 Jahre und „fünf bis zehn" vermutlich über 1.000 Jahre alt. „Es war gar nicht so einfach, das schönste Exemplar für den Wettbewerb auszusuchen", meint Deya, für den der Preis auch eine Auszeichnung dafür ist, dass man auf dem Gut Can Det als einziger Olivenölproduzent noch eine alte traditionelle Ölmühle betreibt, wie man sie sonst nur in Heimatmuseen zu Gesicht bekomme: Die im Dezember schwarz geernteten Oliven werden unter schweren Steinkegeln zermalmt, der Brei auf runden Matten ausgebreitet, die dann gepresst werden, bis der grüne Olivensaft herausrinnt.

Auf Can Det will man den Werbeeffekt des Preises nutzen, um auch die Ölmühle bekannter zu machen. Bis zur offiziellen Preisverleihung im Oktober wolle man Hinweisschilder machen, damit Wanderer auf der Trockenstein-Fernwanderroute GR221 oder andere Interessierte den Baum besichtigen können. Zurzeit sei das nur individuell nach Vereinbarung möglich. Zum Beispiel für Kunden, die das Öl direkt auf der Finca kaufen, die gleichzeitig der Wohnsitz der Familie ist und deshalb jederzeit besucht werden könne (www.candet.es). Der nun prämierte olivo de Can Det trägt trotz seines Alters jedes Jahr noch etwa 120 Kilogramm Frucht. Beim Pressen der Oliven entspricht das etwa 30 Liter Öl, weiß Deya aus Erfahrung.

Dass sich die Ölbauern im Laufe der Geschichte und bis in die Gegenwart so individuell um jeden Baum gekümmert haben, ist auch einer der Gründe dafür, dass diese Pflanzen überhaupt so alt werden und über so lange Zeit Früchte tragen, weiß Angjelina Belaj, die als Biochemikerin der Jury des Wettbewerbs vorsteht. Als Leiterin der Internationalen Bank für Ölbaum-Keimplasma des andalusischen Instituts IFAPA interessiert sie sich besonders für die große Vielfalt dieser Nutzpflanze. Denn Bäume, die über 1.000 Jahre alt werden, wurden schließlich nicht nur gut gepflegt, sondern sie müssen auch optimal an ihren Standort angepasst und „resistent gegen die vielfältigen Plagen sein", denen sie im Laufe der Jahrhunderte ausgesetzt waren, erklärt Belaj.

„Hinter der Bezeichnung ,Empeltre' stecken eigentlich viele verschiedene Sorten", meint Belaj. Zusammen mit dem balearischen Umweltministerium arbeitet ihr Institut gerade an einem Forschungsprojekt, welche Sorten besonders resistent gegen das Feuerbakterium Xylella sind. Von den weltweit rund 2.000 Sorten werden auf Mallorca 77 beobachtet - sowohl unter Laborbedingungen als auch in der Natur. Wie lange solche Experimente dauern müssen, bis sie konkrete Ergebnisse bringen, ließe sich schlecht einschätzen, erklärt sie dem nachrichtenhungrigen Journalisten: „Alles, was den Olivenbaum betrifft, ist weder einfach noch schnell. Man braucht viel Geduld", wiegelt Belaj ab.

Heldengalerie von spezieller Sorte

Das Alter, die Größe und die prächtige Krone sind nur einige Argumente, die den „Olivo Can Det" zum ehrwürdigsten Ölbaum des Jahres machten. AEMO bewertet auch positiv, dass man sich beim Erhalt der Steinmauern zur Terrassenbewirtschaftung auf Mallorca so viel Mühe macht und dass die Tramuntana Weltkulturerbe der Unesco ist. Aber nicht immer gewinnen besonders alte Bäume den Preis. 2012 zum Beispiel wurde ein relativ junger Ölbaum in Culla (Castellón) ausgezeichnet, der nach einem Waldbrand 50 Jahre lang tot schien und plötzlich wieder Blätter und Früchte trug.

2010 war es der „Olivo bimelenario de Gorga" (Alicante), der aufgrund seiner besonderen hohlen Stammform ganzen Familien Unterschlupf vor Wetter oder Schutz vor politischer Verfolgung bot. Die Siegergalerie der vergangenen Jahre sehen Sie unter: https://www.aemo.es/page/historial-de-premios-olivos