Über Jahrhunderte wachte die Inquisition auch auf Mallorca über den „rechten Glauben" und brachte ­Ketzer auf den Scheiterhaufen. Dass das „Santo Oficio" nicht nur aus heutiger Sicht Unrecht, Leid und Tod über die Menschen brachte, sondern sich zuweilen selbst nicht an die ­eigenen Gesetze hielt, hat ­Antoni ­Picazo erforscht. Der Geschichts­professor an der Balearen-Universität (UIB) hat seine Erkenntnisse in dem neuen Buch „Inquisició i ­corrupció" (Inquisition und Korrup­tion) veröffentlicht.

Die Korruption

Ja, es handelte sich um eine Korruption auf gleich drei verschiedenen Ebenen. Zum einen die in der ­Verwaltung. Die Beamten, die die Akten überprüften und die Rechnungsbücher führten, wurden ihrer Pflicht nicht gerecht. Dann gab es eine moralische Korruption. Es kam Ende des 16. Jahrhunderts oft vor, dass beispielsweise ein Geistlicher mit einer Frau zusammenlebte, die einen unehelichen Sohn hatte. Die Inquisition verfehlte ihre eigenen Ansprüche und wurde dem, was sie von der Gesellschaft forderte, selbst nicht gerecht. Und schließlich floss auch Geld. Gerichtsbeamte nahmen kleinere Darlehen auf und gaben das Geld nie zurück. Oder sie ließen anschreiben und zahlten dann nicht. Natürlich wollte niemand gegen einen Vertreter der Inquisition vor Gericht ziehen, zumal es sich um kleine Beträge handelte.

War diese Korruption ein generelles Phänomen der Inquisition oder auf eine bestimmte Zeit beschränkt?

Es hat sich erst mit der Zeit entwickelt und fand seinen Höhepunkt Ende des 16. Jahrhunderts, insbesondere was die Beamten betrifft. Vor allem aber nahm die Korruption an der Basis zu, bei den sogenannten Dienstmännern, den familiares. Es waren Laien ohne Amt, die aber ein gewisses Prestige genossen und denen nur von der Inquisition selbst der Prozess gemacht werden konnte. Diese Dienstmänner wurden zu einem beträchtlichen Problem, sie wurden gewalttätig, zahlten ihre Schulden nicht, und die Inquisition hielt ihre schützende Hand über sie. Selbst wenn jemand wegen Mordes vor Gericht kam, fiel die Strafe gering aus. Im 17. Jahrhundert verschärften sich die Probleme dann noch durch den Machtkampf zwischen den Eliten Mallorcas.

Fiel der Höhepunkt der Korruption mit dem Höhepunkt der Verfolgung sogenannter Ketzer zusammen?

Nein, im Gegenteil, zu der Zeit gab es die wenigsten Prozesse. Schon Ende des 14. Jahrhunderts, mit Isabella I. von Kastilien und König Ferdinand II. auf dem spanischen Thron, war ein Höhepunkt erreicht. Ab dem Jahr 1520 nahm die Zahl der Prozesse deutlich ab und sollte erst wieder Ende des 17. Jahrhunderts steigen. Ende des 16. Jahrhunderts war die ­Inquisition auch auf Mallorca recht untätig. Und das war auch das Problem, schließlich musste sie sich und ihre Gehälter selbst finanzieren, über die den Verurteilten aufgebrummten Strafen.

Die Korruption war alltäglich. Sind Ihnen besonders skurrile Fälle aufgefallen?

In der Tat. Ein Gerichtssekretär beispielsweise war ein Exhibitionist. Wenn er mitbekam, dass die Frauen auf den Dächern die Wäsche aufhängten, stieg er ihnen hinterher und entblößte seine Genitalien. Das war mit seinem Amt nun wirklich nicht zu vereinbaren.

Aus heutiger Sicht wirken Inquisitionsprozesse ohnehin willkürlich und ohne jegliche Rechtsgarantie - Korruption hin oder her.

Die Prozesse waren streng reglementiert. Es gab die Inquisitoren, die Ankläger, es gab Berater. Wenn jemand auf Mallorca verurteilt wurde, konnte er in Madrid beim Hohen Rat der Inquisition Rechtsmittel einlegen. Auf diesem Weg wurden viele Urteile annulliert.

Und auch hinsichtlich der Korruption wurde schließlich eingeschritten. Sie schreiben über einen Sondergesandten der Krone, der auf Mallorca Ermitt­lungen einleitete.

Es waren die Behörden auf Mallorca, die Madrid darum baten, einzuschreiten und den chaotischen Zuständen ein Ende zu bereiten. Geschickt wurde Andrés Santos, der sehr effiziente Ermittlungen einleitete. Er befragte nicht nur Beamte der Heiligen Inquisition, sondern auch Vertreter aller sozialen Schichten, Amtsträger, Notare, Gefangene. Schließlich schickte er einen Bericht mit mehr als 3.000 Seiten nach Madrid. Danach rollten die Köpfe, die gesamte Spitze der Inquisition auf der Insel wurde ausgetauscht gegen Personen, die zwar der Krone von Aragonien zugehörten, die aber nicht von Mallorca stammten.

Bedeutete das auch eine Schwächung der Inquisi­tion als Institution?

Sie gewann wieder an neuer Stärke und erreichte einen neuen Höhepunkt der Machtentfaltung ziemlich genau 100 Jahre später. Im Jahr 1677 fanden auf Mallorca die großen Prozesse gegen die xuetes statt, also die Juden, die zum Katholizismus konvertieren mussten, heimlich aber weiter ihren Glauben praktizierten. In kurzer Zeit wurden viele Menschen verurteilt. Danach verlor die Inquisition wieder an Bedeutung, es gab nur noch hin und wieder einen Prozess, etwa weil jemand ein Buch von Rousseau gelesen hatte.

Und die Korruption war unter Kontrolle?

Das lassen zumindest die historischen Dokumente vermuten. Die Beamten machten ihre Arbeit. Von daher war die Korruption Ende des 16. Jahrhunderts einzigartig. Die Verfehlungen hatten nach und nach Eingang in die Institution gefunden, und da der König weit weg war und niemand einschritt, wurde es immer schlimmer, bis es eskalierte.

Es ist schwierig, die Korruption in früheren Jahrhunderten zu betrachten, ohne an die politischen Zustände der vergangenen Jahre auf Mallorca zu denken... Geschichte wiederholt sich, und man kommt letztendlich immer zu der Feststellung, dass alles schon einmal da war. Macht korrumpiert nun einmal. Und je größer die Machtentfaltung, desto höher das Risiko.