Das Urteil, das am 3. Juni 1523 in Palma erging, ließ keinerlei Gnade erkennen: „Joanot Colom möge entlang der üblichen Orte von Ciutat de Mallorca in einem Wagen gefahren und auf diesem ­gefoltert werden. Anschließend wird er an der Porta Pintada erhängt. Er möge gevierteilt werden, und die Teile sollen auf vier nach ihm benannten Säulen ausgestellt werden. Der Kopf möge in einem Eisenkäfig an der Porta Pintada aufgehängt werden. Er und seine Nachkommen bis zur vierten Generation werden von jeglichen Ämtern und Ehren ausgeschlossen, sein Haus abgerissen, der Grund mit Salz bestreut, seine Güter konfisziert."

Joanot Colom, das war der Anführer des Germanies-Aufstands auf Mallorca, dessen Ausbruch sich am kommenden 7. Februar zum 500. Mal jährt. Die „Bruderschaften" kämpften damals gegen ein überkommenes Steuersystem, soziale Ungerechtigkeit und politische Korruption. Infolge des Bürgerkriegs und der Pest starb schließlich rund ein Drittel der Bevölkerung - ohne dass die Ziele des Aufstands erreicht werden konnten.

Späte Ehre für Colom

Der damalige Staatsfeind, der auch für damalige Maßstäbe mit äußerster Brutalität ­hingerichtet wurde, gilt heute vielen als Freiheitskämpfer. In seinem Geburtsort Felanitx hat der Gemeinderat am18. Januar den Weg dafür geebnet, dass Colom zum Ehrenbürger ernannt wird. Auch eine Straße soll nach ihm benannt und eine Statue aufgestellt werden. Gleichzeitig weiß heute kaum jemand ­etwas mit der historischen Figur an­zufangen, was sich auch an der nach ihm ­benannten Straße in Palma zeigt, dem Carrer Colom: Da der Vorname weggelassen wurde, denken viele zuerst an den Entdecker Amerikas, Christoph Kolumbus, der auf Katalanisch denselben Nachnamen trägt.

„Man dachte früher irrtümlich, dass Joanot Colom aus Palma stammte", erklärt Bartomeu Mestre, Mitglied der Initiative Germania 500, die den Führer des Aufstands im Jubiläumsjahr würdigen will. Der pensionierte Bankmanager und Hobby-Historiker aus Felanitx geht davon aus, dass Colom zu Beginn der 1480er-Jahre geboren wurde und vier Geschwister hatte. Im Jahr 1517 dann erwarb er ein Haus in Palma, wo er als Hutmacher arbeitete - er stellte barretines her, wie die rote, taschenförmige Wollmütze im katalanischen Kulturraum genannt wird.

Aktenkundig wurde Colom am 6. Februar 1521: Wegen geheimer Treffen und des Verdachts der Verschwörung ließ Vizekönig Miguel de Gurrea ihn sowie sechs weitere Handwerker einsperren. Am Tag darauf besetzten weitere Handwerker das Gefängnis und übernahmen die Macht in Palma - die Revolte nahm ihren Anfang.

In dieser ersten Phase des Aufstands war ­Colom zwar mit an vorderster Front dabei, aber nicht der Anführer. Das war zunächst der gemäßigte Joan Crespí. Er saß einem 13-köpfigen Rat vor, der die Regierungsgeschäfte übernommen hatte. Colom gehörte ebenfalls diesem „Consell dels Tretze" an, und er war auch Mitglied einer Delegation, die im Februar nach Valencia übersetzte, um organisatorische Schützenhilfe von der dortigen Germania-Bewegung zu erhalten. Diese dürfe man aber nicht überschätzen, meint Historiker Guillem Morro, Autor ­eines Buches über die Aufstände im ausgehenden Mittelalter auf Mallorca. Die sozialen Missstände auf der Insel vor allem infolge der Steuerlast seien so massiv gewesen, dass der Konflikt ohnehin eskaliert wäre.

Die Stunde von Colom schlug, als der spanische König Karl V. - in Personalunion Kaiser des Heiligen Römischen Reiches - aus dem entfernten Worms jegliche Reform ablehnte und die Wiederherstellung der bisherigen Ordnung anordnete. Anführer Crespí war offensichtlich mit seinem moderaten Kurs gescheitert, obwohl seine Leute sogar einen Treueeid auf Karl V. abgelegt hatten. Den Vorsitz des Regierungsrats übernahm nun Colom. Crespí wurde im Oktober 1521 im Almudaina-Palast inhaftiert und getötet - ­womöglich im Auftrag von Joanot Colom und durch dessen Bruder Francesc.

Aufgeben oder bis zum bitteren Ende mit all seinen Konsequenzen kämpfen - vor dieser Frage habe Colom gestanden, sagt Guillem Morro. Vor diesem Hintergrund müsse man die weitere Radikalisierung der Bewegung verstehen. Der neue Anführer des Aufstands der Hand­werker und Bauern zog nun alle Macht an sich, besetzte Ämter mit seinen Getreuen und trieb die Reform des Steuersystems voran. Die Ab­gaben sollten endlich nach dem tatsächlichen Besitz festgelegt werden - statt wie bisher üblich nach einem Quotensystem, bei dem die verarmte und reduzierte Landbevölkerung Mallorcas in jedem Fall ein Drittel des Steueraufkommens aufbringen musste.

Dann aber verlagerte sich der Konflikt immer stärker aufs Schlachtfeld: Colom ließ die Stadt Alcúdia belagern, in der sich die Adligen verschanzt hatten. Die Germania scheiterte jedoch mit ihren Angriffen auf die Stadtmauern, genauso wie auch Missionen auf die Nachbarinseln fehlschlugen. Als eine Verschwörung gegen Colom und seine Leute im Januar 1522 ins Leere lief, radikalisierte sich die Führung des Aufstands weiter. Die Gegner der Germania wurden zu „Feinden Gottes und der katholischen Majestät" erklärt, Landgüter gestürmt, Adlige ermordet.

Das Ende der Sklaverei

Colom hatte längst nicht mehr nur steuerliche, sondern auch gesellschaftliche Reformen im Sinn: Kurzerhand erklärte er die Sklavenhaltung auf Mallorca für beendet. Diese war im ­damaligen Spanien noch immer üblich - und sollte nach der Niederschlagung des Aufstands auch noch drei Jahrhunderte weitergehen. Da auch Mitstreiter der Germania Sklaven ­besaßen, machte sich Colom mit dieser Entscheidung allerdings Feinde im eigenen Lager.

Die Ankunft einer Kriegsflotte aus Barcelona Ende 1522 war der Anfang vom Ende des Aufstands und des Bürgerkriegs. Gegen die auf die Insel entsandten Soldaten war das zusammengewürfelte Heer aus Handwerkern und Bauern im Nachteil. Das wochenlang von den Soldaten belagerte Palma sollte schließlich am 7. März 1523 kapitulieren.

Auch als feststand, dass der Aufstand kein gutes Ende nehmen würde, habe Colom sich ihm bietende Möglichkeiten zur Flucht von der Insel nicht genutzt, betont Historiker Morro. Dabei dürfte er geahnt haben, dass man an ihm ein Exempel statuieren würde. Die Details sind auch über das eingangs zitierte Urteil hinaus überliefert: Während Colom durch ­Palmas Straßen zum Ort der Hinrichtung gefahren wurde, rissen ihm Soldaten mit glühenden Zangen Fleischteile aus dem Körper.

Auch von Colom selbst sind Gräueltaten überliefert, beide Seiten begingen sie. Für ­Bartomeu Mestre von der Germania-Initiative in Felanitx steht dennoch fest: Joanot Colom ist ein Held. „Er begehrte gegen die sozialen Missstände der damaligen Zeit auf", so Mestre. „Es war Krieg, und damals gab es nun einmal noch keine Genfer Konvention." Zudem sei die damalige Obrigkeit ihren eigenen moralischen Maßstäben nicht gerecht geworden - etwa, als sie eine Kirche in Pollença mit rund 200 darin eingepferchten Menschen, vorwiegend Frauen und Kinder, in Brand stecken ließ.

Vom Staatsfeind zum Volkshelden - das Bild von Joanot Colom hat sich gewandelt, wobei die politische Ideologie stets eine Rolle spielte. Es war unter progressiver Herrschaft 1841, als Colom zum Ehrenbürger Palmas ­erklärt und schließlich ein Gemälde im Plenarsaal aufgehängt wurde. Und es war in der ­Zweiten Republik 1931, als Felanitx Colom ebenfalls ehrte - für kurze Zeit: Nach dem Putsch Francos wurde aus dem Carrer de ­Joanot ­Colom der Carrer Onofre Ferrandell, benannt nach einem Bürgermeister aus dem Lager der Germania-Gegner. Ganz rund ist der Konsens auch heute nicht: Am vergangenen Montag stimmte die rechtsradikale Vox als einzige Partei nicht für die Ehrenbürger-Initiative.

Doch an der Rehabilitierung Coloms ändert das nichts. Eine Statue ist schon so gut wie organisiert, der verstorbene Bildhauer Jaume Mir hinterließ neben dem Exemplar, das heute in Palmas Viertel Son Gotleu steht, weitere Arbeiten. Wer weiß, vielleicht taucht auch ein im Bürgerkrieg verschollenes Gemälde Coloms aus dem Rathaus Felanitx wieder auf. Und möglicherweise lässt sich auch das Geburtshaus orten. Die Suche läuft auf Hochtouren.

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