Die mallorquinische Gesellschaft ist dem Dauerthema Corona endgültig überdrüssig und hat endlich wieder einen Stolperstein gefunden, über den man anständig streiten kann: Leitplanken auf einem kleinen Straßenstück bei Sóller. Kaum zu glauben, aber das Thema beinhaltet alle Zutaten, die der Inselpolitik so richtig schmecken: ­mallorquinischen Handwerkerstolz, Landschaftsschutz, bedrohte Traditionen und eine ordentliche Portion Parteipolitik.

Und darum geht es: Auf der kurvigen Landstraße zwischen Tunnel-Aus- und Orts-Einfahrt hatte vor Monaten ein Auto bei einem Unfall die konventionelle Metall-Leitplanke weggerissen. Statt das hässliche und von Motorradfahrern gefürchtete Konstrukt zu reparieren, entschied sich der Inselrat für eine Mauer aus mit Natursteinen ­besetzten Beton-Fertigteilen. Die T-förmigen Stücke werden in doppelter ­Reihe angebracht, sodass die Deko-Seite jeweils nach außen zeigt, und erhält am Ende noch einen abgerundeten Natursteindeckel, um die traditionellen Inselmäuerchen ­halbwegs getreu nachzuahmen. Straßenbau-Dezernent Iván Sevillano (Linkspartei Unidas Podemos) findet das clever, ästhetisch, sicher, schnell und preiswert.

Großer Proteststurm

Anscheinend war Sevillano nicht klar, ­welchen Stein er da ins Rollen brachte. Eine ­Lawine der Kritik brach über ihn herein. ­Zunächst meldete sich das konservativ ­regierte Rathaus in Sóller zu Wort. Die „abartige" Mauer-Imitation tue den Augen weh und passe überhaupt nicht in die als UNESCO-Weltkulturerbe geschützte Landschaft, stellte Baudezernent Jaume Bestard fest. Der für die „Schlamperei" verantwortliche Politiker habe offensichtlich von ­Tuten und Blasen keine Ahnung. Wenn Bürger auch nur eine Kelle Zement zu viel auf ­ihrem Privatgrundstück verwendeten, riefe der Inselrat schließlich die Inspekteure des Landschaftsschutzes auf den Plan. Und nun baue eine andere Abteilung der ­Inselbehörde eine Betonmauer in die Landschaft, ohne das Urteil der auf der Insel hoch angesehenen Zunft der Steinmetze einzuholen, wetterte Bestard.

Dieses Urteil ließ nicht lange auf sich warten und fiel vernichtend aus: „Völlig unverständlich" sei die Entscheidung. Der für den Erhalt des Kulturguts verantwortliche Inselrat zeige, dass er „keinerlei Ahnung von Mauern und Tradition" habe, kritisierte der Sprecher der Steinmetze, Lluc Mir. Es sei besser, „eine Planke aus Holz zu errichten", als Beton-Fertigteile als Handwerk zu tarnen, so Mir, in seinem Berufsstolz gekränkt.

Ähnlich vernichtend äußerte sich Pere Ollers, Vorsitzender des Denkmalschutz­verbands Arca. Die Betonmauer sei „ein Anschlag auf die Geschichte und die Landschaft" und wohl kaum mit der Auszeichnung als Weltkulturerbe vereinbar. Der Inselrat verliere mit der „vulgären Fälschung" jegliche Glaubwürdigkeit. Schließlich müssten die öffentlichen Behörden mit gutem Beispiel vorangehen, statt mit dem Thema Landschaftsschutz nur immer den Privatbürger zu gängeln. Und der ein oder andere Privatbürger scheint das genauso zu sehen. Jedenfalls hupen manche Autofahrer, wenn sie an der Baustelle vorbeifahren und rufen „Stümperei" aus dem heruntergekurbelten Fenster.

Der Sprecher der konservativen Volkspartei (PP) im Inselrat, Llorenç Galmés, nutzte die Gelegenheit, um über die ­sozialistische Inselratspräsidentin Catalina Cladera herzuziehen: Die Präsidentin gebe gern mit den Steinmetzen an, und „dann kehrt sie ihnen den Rücken zu, um so etwas zu bauen", so Galmés. Der eher links gerichtete Umwelt­verband Gob schlug in dieselbe Kerbe: Es sei traurig, dass der Inselrat beim ­Straßenbau allein nach „wirtschaftlichen ­Kriterien und Schnelligkeit" auswähle, statt in wertvolle und langwierige Handarbeit zu investieren.

Der Protest zeigte letztendlich Wirkung: Der Inselrat verfügte am Dienstag (11.2.), statt der Pseudo-Steinmauern Holz für die Leitplanken zu verwenden. /tg