Die Vögel zwitschern, die Schafe blöken, und wir sitzen mitten im Naturschutzgebiet von Artà im Nordosten von Mallorca und flechten Palmblätter. „Es hat etwas Meditatives", findet eine Teilnehmerin, die sich genau wie die MZ-Reporterin für den Palmblätter-Kurs im Parc de Llevant angemeldet hat. Meditativ - oder aber nervenaufreibend, wenn man eher grobmotorisch veranlagt ist. Hintenherum, umknicken, vornherum, ziehen. Klingt leicht, ist es aber erst, wenn man den Dreh einmal raus hat. Und das ist nur die Grundtechnik.

Catalina Piris ist eine geduldige Lehrerin. Immer wieder schaut die Umwelterzieherin den Teilnehmern über die Schulter und korrigiert. „Jetzt verstehe ich, warum die Produkte so teuer sind", sagt eine andere Teilnehmerin mit Blick auf die fertigen Palmkörbe, die zu Demozwecken neben uns stehen. Piris lächelt. Genau das ist es, was sie mit ihrem Kurs erreichen möchte: Die Leute sollen erkennen, was hinter dem alten Traditionshandwerk steckt - nicht zuletzt, um es mehr zu wertschätzen.

Knapp zwei Stunden zuvor: Catalina Piris begrüßt die Teilnehmer am Informationszentrum am Eingang des Naturschutzgebiets. Zweimal wöchentlich findet der Kurs statt, auch jetzt zu Corona-Zeiten. Sie beginnt mit einem kleinen geschichtlichen Exkurs. Schon in der Jungsteinzeit verwendeten die Einwohner der Insel im Nordosten Palmblättergeflechte. Spätestens seit 1899 war die Herstellung von Llatra-Körben, -Schachteln und -Taschen für die Bevölkerung von Artà und Capdepera eine wichtige Einkommensquelle, sogar nach Frankreich und Barcelona wurde exportiert. Damals nutzten die Bauern die Gefäße für den Transport von Früchten und Oliven. Vor allem in den 1950er-Jahren boomte das Geschäft.

Der Massentourismus verdrängte dann ab den 1970er-Jahren das Handwerk. „Wobei es natürlich weiter besteht, und die Urlauber teilweise auch auf den Geschmack gekommen sind", so Piris. Die Flechtwerke eignen sich schließlich auch als schicke Einkaufs- oder Strandtaschen. Ein Großteil der Ware, die man auf Mallorcas Märkten bekommt, stamme allerdings aus Marokko. „Sie sind billiger, haben aber nicht dieselbe Qualität. Ein Llatra-Korb von hier hält ein Leben lang", so Piris.

Kein Wunder, dass sie sich dem Handwerk so verbunden fühlt. „Meine Großmutter aus Artà hat ständig geflochten, bis zu ihrem Tod", berichtet Piris. Auch sie selbst habe als Kind immer wieder mitgeholfen. „Früher war es hier in der Gegend üblich, dass die Kinder erst zwei Armlängen llatra flechten mussten, bevor sie spielen gehen durften", so die Umwelterzieherin. Während die Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts meist in Grüppchen zusammensaßen, um zu flechten, waren die Männer dafür zuständig, das entsprechende Material heranzuschaffen.

„Hier entlang", sagt Piris und führt die Kursteilnehmer weiter ins Naturschutzgebiet. Am Rande des kleinen Trampelpfads, den sie einschlägt, wachsen gleich meh-rere Exemplare der mallorquinischen Zwergpalme Garballó. „Außer hier rund um Capdepera und Artà ist sie fast nur in Andratx und Pollença zu finden, aber dort hat sich das Handwerk nie etabliert." Mit der Hand biegt Piris ein paar spitze Palmwedel zur Seite. „Fürs Korbflechten benötigt man die inneren Blätter, die sich noch nicht zu Wedeln geöffnet haben", sagt sie, und deutet auf die Pflanze vor sich, wo bereits frische palmas sprießen, die noch fächerartig zusammengewachsen sind. Jedes Jahr im Juni und Juli werden sie mit speziellen Werkzeugen abgeschnitten. „Die Zwergpalme steht unter Schutz, man kann sich aber beim Umweltministerium eine Genehmigung einholen, um schneiden zu dürfen."

Danach müssen die palmas 21 Tage lang in der Sonne getrocknet werden, bis sich ihr sattes Grün in helles Braun verwandelt. „Dann ist das Bleichen dran", sagt Piris und führt die Besuchergruppe in ein altes, halboffenes Steinhäuschen im Naturschutzgebiet. Kurz in Wasser tauchen, dann werden die Palmzweige in einem Steinofen mit Gitterboden platziert. Darunter zündet Piris eine Schale mit Schwefel an. „Hier bleiben sie mehrere Stunden, teilweise auch Tage, bis alle denselben hellen Naturton annehmen." Besonders gesund riechen die Dämpfe nicht, die aus dem Häuschen dringen. „Traditionell hatten die Menschen so einen Ofen im Hof neben ihrem Wohnhaus", sagt Piris.

Maschinelle Hilfe bei der Herstellung gibt es bis heute nicht. „Es ist alles Handarbeit." In Capdepera, wo das Material llata genannt wird, gibt es die Frauengruppe „Ses Maries", die sich noch immer regelmäßig zum Flechten zusammensetzt und Aufträge aus ganz Europa annimmt. Auch im Traditionsgeschäft Artesanía la Palma, besser bekannt als Can Pocapalla nahe der Plaça d'Orient, sind die Produkte zu erwerben. Ebenfalls in Capdepera haben sich betagte Seniorinnen zu den „Madones de sa Llata" (Flechtdamen) zusammengetan. In Artà sind heute noch drei Handwerker zu finden, die von der Herstellung der llatra-Produkte leben.

Zurück am Parkeingang wickelt Piris ein paar bereits gebleichte palmas aus einem feuchten Handtuch und drückt sie den Teilnehmern in die Hand. „Erst müssen die einzelnen Halme, die brins, voneinander getrennt werden", sagt sie und macht es vor. Dann zieht sie eine Nadel an den Rändern der Halme entlang, bis alle die gleiche Breite haben. „Jetzt beginnt das Flechten." Wir sind stolz, als wir schließlich eine etwa zehn Zentimeter lange trenza hinbekommen. Für einen mittelgroßen Korb brauche es aber rund 25 Armlängen, so Piris. Ja, es stimmt: Die 20 Euro, die dafür fällig werden, kommen einem plötzlich lächerlich wenig vor.