Eben noch wohnten sie auf 120 Quadratmetern mit Garten, Terrasse und Pool in der Urbanisation Maioris auf Mallorca, die Schlüssel haben sie noch. Doch seit einem Monat ist ein Wohnmobil in Palmas Vorort Ciutat Jardí ihr neues Zuhause. Noch am Tag des Kaufs zogen Lais Amaya und Germán López mit ihrem Sohn Lautaro um. „Danke Mama und Papa", habe der Fünfjährige in Vorfreude gesagt. „Wir sind glücklich, weil wir es genau so wollten", erzählt die Mutter. Die Frage, wohin mit all dem Hab und Gut, stellt sich für die argentinische Familie nur bedingt: Als sie vor drei Jahren nach Mallorca kam, ließen sie ohnehin fast alles zurück. Er bietet ein servicio técnico mit Reparaturen an, sie kümmert sich um die Online-Vermarktung dieser Dienstleistungen.

Der Wohnwagen der Familie steht in Ciutat Jardí in direkter Nähe zum Meer - wie etwa 25 weitere. Hier haben sich moderne Nomaden niedergelassen - ein bisschen so wie in dem Film „Nomadland", der gerade den Oscar gewonnen hat, aber ohne Drama und hoffentlich mit Happy End. Die caravanas gehören schon ein bisschen zum Stadtbild. Die Menschen, die man hier trifft, haben wenig zu tun mit mallorquinischen Wochenendcampern, die sich am Freitagnachmittag aus dem Alltag ausklinken, um ihre Gefährte beispielsweise an der Küste abzustellen. Und es ist in ihrem Fall auch nicht die in der Corona-Krise verschärfte soziale Not, die sie ins Wohnmobil getrieben hat. In der unter sich vernetzten Gemeinschaft in Ciutat Jardí - fast alle Gesprächspartner sind Argentinier - ist man auf der Suche nach einem Lebensgefühl.

Die Weltreisenden

„Es gibt für uns nichts Schöneres, als den Ort, an dem wir am nächsten Morgen aufwachen werden, selbst wählen zu können", findet Germán López. Dafür nehme er in Kauf, dass man Erlebnisse nicht mit Großeltern oder Freunden teilen könne. Anderseits könne man nun zusammen als Familie fremde Kulturen auf der ganzen Welt kennenlernen. „Wir wollen keine Touristen sein", stellt der Familienvater klar. „Wir wollen viele Länder und Sprachen erleben. Aber sobald es sich nach Stabilität anfühlt, werden wir weiterziehen", stimmt die 31 Jahre junge Fami­lienmutter ihm zu.

Auch in Ciutat Jardí gibt es so etwas wie Nachbarn. Die Spielgefährten von Lautaro beim Besuch der MZ an diesem Freitag (23.4.) sind ebenfalls Nomaden. Die Playmobil-Figuren - inklusive Playmobil-Wohnmobil - haben die Kleinen auf dem Gehweg verteilt. Von den immer wieder vorbeilaufenden Passanten lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen.

Im Gegensatz zu Lautaro hat sein Spielkamerad Lian gar keinen Vergleich zu einem „normalen Leben". Der Vierjährige mit den braunen Locken ist sein ganzes Leben lang gereist. Eigentlich wollte er nur anderthalb Jahre mit seiner Familie unterwegs sein, erzählt Vater Hernán López. Von San Sebastián ging es erst durch Nordspanien und Portugal, dann Frankreich, Deutschland, durch Tschechien, Österreich, Ungarn weiter östlich in den Iran. Auch in Pakistan und Nepal waren die Nomaden schon. In Thailand erwischte sie dann die Pandemie. Da die Flüge von dort aus nach Mallorca billiger als etwa nach Argentinien waren, flogen sie zurück auf die Insel, wo der Familienvater schon einmal gearbeitet hatte. Ihre „Oma" - so nennen sie ihr Wohnmobil - blieb vorerst in Thailand zurück. „Mit Baujahr 1989 war es alt und stammte ursprünglich aus Deutschland, daher der Name", erklärt López. Auf der Insel mietete sich die Familie übergangsweise ein neues Gefährt. „So ändert sich für die Kinder nichts."

Mit ihren sieben Jahren und der spanischen Staatsbürgerschaft ist Lians Schwester Lúa schulpflichtig. „Am Anfang war sie neugierig, wie es ist, in eine Schule zu gehen. Mittlerweile fragt sie mich öfter, wann wir wieder reisen gehen", erzählt der ausgebildete Fotograf, der Impressionen von den Reisen auf einem eigenen Instagram-Profil veröffentlicht (loslopezxelmundo). Erst vor Kurzem habe ihn eine Lehrerin gefragt, woher Lúa so viele Details über exotische Tiere kenne. Sie hat auf ihren Reisen eben schon viel zu sehen bekommen. Als Nächstes soll es von Argentinien nach Alaska gehen - oder umgekehrt.

Der Saisonarbeiter

Ein paar Straßen weiter, im Carrer de l'Illa de Còrsega, bringt Nico García gerade eine Innenverkleidung aus Holz über einer Schaumstoff-Dämmung in seinem Transporter an. Seit drei Jahren lebt der Argentinier im Sommer auf Rädern, im Winter in einer Wohnung, zuletzt in Italien und der Schweiz. „Ich hatte keine Lust mehr, dauerhaft in einer Wohnung zu sein, einerseits wegen der Miete, andererseits, weil ich mir die Unterkunft mit Mitbewohnern teilen müsste", so der 32-Jährige.

Erst seit ein paar Tagen steht er mit seiner furgoneta hier, auf ihr prangt noch der Aufkleber der Firma, von der er sie gekauft hat. Wegen der noch fehlenden Fenster im hinteren Bereich sieht sein Zuhause noch aus wie ein normaler Lieferwagen. „Ich bin ganz diskret unterwegs", meint der Rettungsschwimmer mit einem Augenzwinkern.

Der Lebenskünstler

Die Anwohner von Ciutat Jardí haben sich offenbar längst an die Nomaden gewöhnt und tolerieren sie. „Wenn man sich anständig benimmt, sagt hier niemand etwas", heißt es bei den Campern. Bisher noch nicht getraut, seine Tische draußen aufzustellen, hat sich denn auch Garcías Nachbar Isidro Colombi. Die beiden kennen sich aus Argentinien. Erst seit vier Monaten lebt Colombi in seinem Toyota-Bus, den er sich auf Teneriffa gekauft hat. „Dort habe ich überall Wohnmobile gesehen", erzählt er.

Colombi ist Musiker - er spielt Bandoneon - und jobbt als Rettungsschwimmer. Er habe sich schnell an sein neues Zuhause gewöhnt, sagt er. „Schon in der ersten Nacht habe ich gut geschlafen. Und nur mit wenigen Sachen habe ich davor auch schon gelebt." Der Rettungsschwimmer wartet noch auf eine Antwort darauf, ob er am 1. Mai wieder arbeiten kann. Groß zu beschäftigen scheint ihn die Ungewissheit aber nicht. Er lebe von seinem Ersparten, und Langeweile kenne er nicht. Manchmal geht er joggen oder zum Schwimmen die wenigen Meter zum Strand. Ansonsten gibt es an seinem Bus immer etwas zu tun. Das nötige Werkzeug leiht man sich hier von den anderen Nomaden, die einem auch mal etwas vom Supermarkt mitbringen. Auch gekocht wird in Ciutat Jardí oft gemeinsam.

Die Nomaden-WG

„Es ist eine Art Community", sagt Colombi. Erst am Vortag verbrachte der 32-Jährige mit seiner Mundharmonika im Gepäck den Abend im Wohnwagen gegenüber bei den beiden Landsleuten Luciano Sinnott und Martín Goldar. Die beiden zeigen der MZ-Redakteurin noch etwas verschlafen ein Handyvideo von der lustigen Runde und schlürfen nebenbei ihren Mate-Tee.

Mal sehen, was der Tag heute so bringt. Seit knapp zwei Jahren sind die Kindheitsfreunde mit ihrem Wohnmobil nun schon auf Mallorca unterwegs. „Unser Mietvertrag lief damals aus, und wir hatten mehrere Reisen geplant. Da wir nicht wussten, wo wir zwischendurch unterkommen sollten, sind wir auf die Idee mit dem Wohnmobil gekommen", erzählen die beiden jungen Männer, die Reporterin und Fotografin spontan in ihr Wohnmobil einladen. Für 8.000 Euro erwarben sie damals das rollende Zuhause und dekorierten es unter anderem mit alten Zeitungsausschnitten. In dicken Lettern steht da etwa das Hippie-Motto „Macht Liebe, keinen Krieg".

Liebe machen im Wohnwagen, wie geht das eigentlich, wo doch niemand sein eigenes Zimmer hat? Kein Problem für die beiden: „Wenn mal einer von uns Frauenbesuch hat, sagen wir dem anderen einfach, er soll mal eine Runde rausgehen und erst später zurückkommen", meint Sinnott schmunzelnd. Trotz der kaum vorhandenen Privatsphäre gehe man sich kaum auf die Nerven. Und sobald Sinnott ab 1. Mai wieder einen von Palmas Stadtstränden überwacht, hat Goldar täglich gleich ein paar Stunden am Stück sturmfrei. „Ich bin bei einem Restaurant angestellt. Es hat derzeit aber noch nicht wieder geöffnet", erzählt der 33-Jährige.

Also trainiert er gerade viel, spielt Gitarre oder trifft sich mit Freunden. Mit ihren Rädern, die auf einem separaten Fahrradträger befestigt sind, kommen die beiden Argentinier gut überallhin. „Ins Zentrum zum Beispiel fahren wir mit dem Wohnmobil erst gar nicht rein", erzählt Goldar. Eher geht es mal um den Block, um vielleicht einen Platz direkt an der Promenade zu bekommen. Streit mit den anderen Nomaden um die beste Aussicht gebe es aber nicht. „Wir sind alle relaxte Menschen", bestätigt der 27-jährige Sinnott.

Auch mit den Bewohnern des Hauses, vor dem sie seit November 2020 meistens stehen, sind sie befreundet. „Es ist eine deutsche Familie. Manchmal spielen wir zusammen Volleyball am Strand, oder sie bringen uns mal etwas zu essen." Ihre Wäsche aber würden sie niemals bei der Familie waschen, wie sie sagen. „Man lernt als Nomade schnell, nur mit dem Nötigsten auszukommen. Auch unser Wasserverbrauch ist minimal. Durch die Solarzellen können wir uns komplett selbst versorgen", erzählt Goldar. „Für viele ist es ein Traum, den wir hier leben", meint sein 33 Jahre alter Mitbewohner.

Ein bisschen Nomadenleben konnten inzwischen auch Lais Amaya, Lautaro und Germán López in den vergangenen drei Wochen in Ciutat Jardí ausprobieren. Am Freitag (30.4.) sei Schlüsselübergabe in Maioris, so Amaya. „Dann gibt es kein Zurück mehr."

Mitreisen:

Los López x el mundo

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Lais, Germán, Lautaro

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Luciano & Martín

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