Ein Schwarz-Weiß-Foto von 1918 zeigt, was hier früher war: eine Tankstelle. Daher rührt auch der heutige Name. Carme Reynés und Laura Pérez nennen das kleine Lokal im Carrer Rafal, 7, in Sencelles im Inselinneren von Mallorca „La Benzinera". „Hier wird zwar kein Benzin getankt, aber Energie für Ideen und Projekte, die uns in Bewegung bringen", erklären die beiden Frauen im Alter von 34 und 45 Jahren. Bis jetzt gibt es fünf verschiedene Initiativen, die sich das Lokal teilen. ­Reynés und Pérez sind trotz des Namens des Lokals alles andere als Benzinfreunde, stattdessen wird Nachhaltigkeit großgeschrieben. Das Projekt begann vor acht Jahren - und es ist noch Raum für weitere Initiativen, auch in Form einmaliger Workshops.

Hygieneprodukte der Natur

Carme und Laura nahmen vor acht Jahren an einem Workshop für natürliches Waschmittel teil. Danach entstand die „Banc de Temps Sencelles", eine Gruppe, in der alle Mitglieder untereinander Produkte, Objekte oder Arbeit tauschen. Daraus wurden dann viele untergeordnete Gruppen. Die „Grup de Consum Sencelles" zum Beispiel, aus der auch die Ladengemeinschaft entstand. Da die beiden Frauen die ­gleiche Philosophie verfolgen, taten sie sich zusammen und stellten immer mehr Hygiene­produkte bei sich zu Hause her - ­anfangs nur für den Eigenbedarf, dann für Freunde, so erweiterte sich der Abnehmerkreis immer mehr. Bis jetzt haben sie acht ­verschiedene Produkte wie etwa Shampoo, Seifen, ­Körperpflege oder Zahnpasta, die ­unter dem Markennamen Kala - wie die gleichnamige Blume - verkauft werden. Jede Produktlinie enthält unendliche Varianten an Duftnoten. Das Motto: „Lass nichts an deine Haut, was du nicht auch essen würdest."

Vor der Ladengemeinschaft waren die nötigen Materialien auf zwei Haushalte aufgeteilt, immer war etwas dann gerade nicht zur Hand, wenn man es brauchte. In „La Benzinera" ist nun alles an einem Ort. Inzwischen werden die Produkte über die Grenzen von Sencelles hinaus benutzt. Eine Krankenschwester nahm sie sogar mit nach Äthiopien, da die Menschen sich dort in den Flüssen waschen und somit das Wasser nicht verunreinigt wird.

Kunst und Kinder-Workshops

Vero Gil ist gelernte Vorschullehrerin. Ihre Leidenschaft gilt der Kinderbetreuung und der Kunst gleichermaßen. Die 54-Jährige fertigt Collagen an und verkauft sie auf dem Markt. Ihr größter Wunsch war eine Werkstatt, wo sie beide Vorlieben verbinden kann, aber ein eigenes Lokal ist teuer. Dann kam der Aufruf auf Facebook zur Ladengemeinschaft. So fing Gil Ende April mit den Workshops für Kinder an.

Inzwischen hat sie eine Gruppe von sechs Kindern im Alter von vier und fünf Jahren und eine zweite zwischen fünf und acht Jahren. Die Gruppenanzahl möchte sie nicht erhöhen, aber gern weitere Gruppen aufbauen. Die Kinder sollen individuell experimentieren, neue Farben kreieren und sich frei entfalten. „Es geht nicht um Perfektion, die Kinder sollen sich vielmehr während des Prozesses gut fühlen." Los geht es in der Regel mit einem Gemeinschaftsbild.

Inzwischen hat Vero auch schon das erste Pop-up-Event zu Kunst und Kunsthandwerk organisiert, vom 25. bis 27. Juni werden zehn Aussteller ihre Werke zeigen.

Töpferin mit Leib und Seele

Antònia Mas war bis vor anderthalb Jahren Vorschullehrerin, jetzt ist sie Gärtnerin und widmet sich der Keramik. Früher war es eher ein Hobby, sie verkaufte hier und da Sachen auf Märkten. Doch nun sind ihre Kinder groß, und sie hat jetzt die Zeit und den Mut gefasst, sich dem Töpferprojekt voll und ganz zu widmen. Ihre Küche wurde zu einer Werkstatt voller Ton und Farben. Als sich die Gelegenheit mit „La Benzinera" ergab, merkte sie sofort, dass nun der Moment für etwas Neues gekommen war. Die 51-Jährige freut sich auf die Gemeinschaft und den gegenseitigen Austausch in dem Lokal, wo sie nun ihren persönlichen Traum auslebt. Sie ist mit Leib und Seele dabei. „Das ist eines meiner Lebensprojekte, welches ich jeden Tag genießen möchte, ohne ,Verpflichtungen'." Somit hat für Mas eine neue Etappe begonnen. Ihre Arbeiten sind bunt und fröhlich, sie tragen den Namen „Lluallum de colors", und man kann sich Gefäße in verschiedenen Größen anfertigen lassen.Aloe Vera Marke Eigenbräu

Toni Faidella, ist bis jetzt der einzige Mann in dem Ladenlokal, der 65-Jährige hat gleich drei Projekte. Seine Passion gehört den Trommeln, er repariert sie und gibt Unterricht in afrikanischer Percussion. Faidella hat mit Dun­DuDúo auch eine Percussion-Gruppe. Sein zweites Projekt ist die soziale Währung ECOS Mallorca. Dafür arbeitet er mit Mia Siquier ­zusammen und baut sich nun in dem Ladenlokal in Sencelles sein Büro auf.

Faidella war früher Handelsvertreter und hetzte dem Geld hinterher, wie er sagt. Bis er 2008 eine Sinnkrise durchlebte. Er entdeckte das Trommeln, es war wie ein Befreiungsschlag. Faidella änderte seine Einstellung zum Leben und erkannte für sich, dass es viel mehr Wert hat, Dinge für die Gemeinschaft zu leisten. Vor sieben Jahren begann er, auf der Insel das natürliche Aloe-vera-Getränk ALO zu vertreiben, und er bietet es nun auch in dem ­Ladenlokal an. Sein Zukunftsprojekt ist die Herstellung eines eigenen Aloe-vera-Getränks. „Ich habe mich kopfüber in das Projekt hineingestürzt." Der erste Schritt ist schon getan, das Grundstück einer Ökofinca steht bereit. Den ersten Schluck wird man dann voraussichtlich in vier Jahren nehmen können, denn die Pflanzen brauchen ihre Zeit zu wachsen.

Solidarität mit den Kindern

Und dann gibt es noch einen Stand am Eingang des Ladens, der einen rühren kann. Hier stehen manchmal Antonia, Patti oder Montse ganz uneigennützig in ihrer freien Zeit und verkaufen Kleidung, Utensilien, Spielzeug und weitere Dinge aus zweiter Hand für den „Mercad solidario de Sencelles". Dieser wurde vor 15 Jahren von mehreren Eltern ins Leben gerufen. Denn an der Schule gab es und gibt es heute noch Kinder, deren Eltern die Schulbücher nicht kaufen können und kein Geld für Klassenausflüge oder Essen haben, berichtet Montse Martínez.

Die 47-Jährige wurde aus Dankbarkeit zur Helferin, da sie selbst einmal in einer misslichen Lage war und Unterstützung brauchte. „Ich konnte kein Geld geben, aber meine Zeit." Und das ist sehr viel, denn es geht nicht nur um den Verkauf, sondern auch darum, die Kleidung zu sortieren, zu waschen, zu bügeln und zu nähen. All das machen die ehrenamtlichen Helferinnen bei sich zu Hause, wo auch die eigene Waschmaschine bereitsteht. Es sei viel Arbeit, die man nicht sehe - so manche Kleiderspende sei in miserablem Zustand.

Vorher arbeiteten die Helferinnen zusammen in einem großen Raum, aber das Lokal lag so versteckt, dass es kaum wahrgenommen wurde. Deshalb hat sich Martínez beim Rathaus von Sencelles dafür eingesetzt, dass sie eine Ecke von „La Benzinera" beziehen dürfen, um präsenter zu sein. Die Einnahmen verwaltet die Schule, so bleibt die Anonymität der Kinder gewahrt. Zudem weiß man in der Schule am besten, wo es am meisten fehlt. Martínez ist begeistert mit dabei: „Es ist ja für die Kinder, und das macht mich glücklich."