Nicht alle Geschichten gehen so glimpflich aus wie die von Vida. Freizeitfischer - ein Mann und eine Frau - fanden die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) am 29. Mai nahe Cala ­Figuera (Santanyí) auf Mallorca im Meer treibend. Ihr Panzer ist eingerissen, zudem ist ihre Rückenflosse gebrochen - vermutlich hat sie sich damit in einem Netz verfangen. Daher konnte Vida nicht mehr richtig abtauchen, trieb an der Oberfläche und hatte wohl starke Schmerzen. „Die Frau war erst vor Kurzem operiert worden, durfte daher nichts Schweres heben und konnte ihrem Mann nicht helfen, Vida aus dem ­Wasser zu hieven", erzählt Gloria Fernández, Verantwortliche der Pflegestation für Meerestiere des Palma Aquarium. Über fünf Stunden ließen die beiden das erwachsene, 32 Kilogramm schwere Tier nicht aus den Augen, folgten ihm, bis die Einsatzkräfte der Guardia Civil des Nationalparks Cabrera eintrafen. Als Dank ­wollten die Beamten die Schildkröte „Ana" nennen, wie ihre Retterin, die die Einsatzkräfte sofort alarmiert hatte. Doch Ana entschied sich für „Vida", in der Hoffnung, dass dieser Name ­(Leben, dt.) Programm ist und die geschwächte Schildkröte überlebt.

Da die Guardia Civil im Fall von Vida näher war, musste das Team der Pflegestation des Palma Aquarium nicht selbst von der Playa de Palma aus an­rücken. Nun aber ist Vidas Schicksal in ihren Händen und die Mitarbeiter päppeln sie zusammen mit fünf anderen weiblichen erwachsenen Schildkröten im Keller des Palma Aquarium wieder auf. Dass hier im Untergeschoss Tiere manchmal über ein Jahr lang ums Überleben kämpfen, wissen die wenigsten Besucher. „Das Palma Aquarium ist nicht nur ein Freizeitpark, sondern kümmert sich auch um die Erhaltung von im Mittelmeer vorkommenden Arten", sagt Fernández, die aus Venezuela stammt. Um neben Schildkröten auch Wale, Haie oder Delfine zu retten und etwa zu Quallen oder Korallen zu forschen, hat die Einrichtung 2014 einen Vertrag mit dem balearischen Umweltministe­rium geschlossen und 2016 offiziell die Fundación Palma Aquarium gegründet.

„Wie für viele andere Stiftungen auch war das letzte Jahr sehr hart für uns", sagt Fernández beim MZ-Besuch. Die Stiftung finanziert sich mit öffentlichen Geldern und privaten Spenden für konkrete Projekte sowie vor allem durch die Einnahmen des Palma Aquarium. In der Pandemie sind die Spenden weniger geworden und die Einnahmen aus den Eintrittsverkäufen gar ganz zum Erliegen gekommen: Das Aquarium hatte acht Monate lang geschlossen und empfängt erst seit Anfang Juni wieder zumindest an vier Tagen die Woche Besucher. „Wir Biologen und Forscher sowie die Freiwilligen haben trotzdem die ganze Zeit gearbeitet, und das mehr denn je: Im Vergleich zu den Vorjahren hatten wir 2020 sogar dreimal so viel zu tun", sagt Fernández.

Allein 82 Wasserschildkröten seien vergangenes Jahr im Meer oder an den Küsten der ­Balearen gefunden worden - noch vor einigen Jahren waren es im Schnitt nur 42 Exemplare. In den 90er-Jahren sei die Hauptursache der Verletzungen noch in den Netzen und Gerätschaften der ­Fischerei zu suchen gewesen, sagt ­Fernández, mittlerweile spielt der im Meer treibende Müll eine immer größere Rolle - und der Klimawandel. Hinzu kommt, dass mehr Menschen als früher sich über die Bedeutung des Artenschutzes bewusst sind. „Diejenigen, die beim Fund eines Tieres Bescheid geben, sind mehr geworden", so Fernández.

„Von den 82 Schildkröten waren nur noch 53 am Leben, doch wir untersuchen auch tote Tiere. Die Proben liefern uns wichtige Daten zum Wachstum und der Ernährung", erklärt die Venezolanerin. Dabei landen nicht alle Tiere im Palma Aquarium, weil etwa private Bootsfahrer die Schildkröten aus dem Wasser hieven, ohne die Notrufzentrale 112 zu alarmieren. Sie entfernen ihnen etwa das Plastik um ihren Panzer und entlassen sie dann guten Gewissens wieder ins Meer. „Oft schicken sie uns hinterher Fotos oder ­Videos - und wir sind entsetzt: Sie glauben zwar, die Tiere befänden sich in einem guten Zustand, doch oft sind sie dehydriert, haben einen Bruch oder andere nicht sofort sichtbare Verletzungen", so Fernández.

Ein großer Teil der Arbeit der drei fest angestellten Stiftungs-Mitarbeiterinnen und der bald 42 Freiwilligen besteht auch aus Auf­klärung. Das Team hält etwa Vorträge in Schulen oder Segelclubs, erarbeitet und verteilt Infomaterial oder organisiert Strandsäuberungsaktionen. Dass nicht immer allen bewusst ist, wie man sich korrekt verhalten ­sollte, wurde den Tierschützern erst jüngst wieder bewusst, als ein abgemagerter Grauwal Ende Mai in der Bucht von Santa Ponça ­herumirrte. Bilder und Videos des stark geschwächten Tieres verbreiteten sich zwar wie ein ­Lauffeuer in den sozialen Netzwerken. Vor Ort aber ignorierten die meiste Schaulustigen die Bitten der Tierschützer, den Wal in Ruhe zu lassen. „Wenn all die Millionen Menschen, die die Nachricht um den Grauwal gelesen haben, sich bewusst wären, was sie selbst gegen den Klimawandel tun können, ließe sich vielleicht vermeiden, dass andere Tiere ähnlich enden", so ­Fernández, die nicht müde wird zu be­tonen, dass der erste Schritt beim Fund eines ­solchen Tieres wie auch der einer Schildkröte immer sein sollte, die Notrufzentrale 112 zu benachrichtigen. Die verständige dann den 24-Stunden-Dienst der Pflegestation des ­Palma Aquarium, die für ihre Rettungsaktionen auch mit der Ortspolizei, der Naturschutzpolizei Seprona, dem Zivilschutz, den Vereinigungen der Fischer, den Yachtclubs oder der Stiftung Safe the Med zusammenarbeitet. Wie im Fall von Vida läuft die Koordination des Einsatzes beim Team der Fundación Palma Aquarium dann über WhatsApp.

„Schildkröten wie Vida sind extrem wertvoll. Baby-Kröten sind zwar süß, doch nur eine von Tausend kommt auf das Alter und die Größe von Vida und den anderen, die wir derzeit hier haben, und sichert so das Überleben der Art", sagt Gloria Fernández. Wie lange Vida noch in ihrem Becken an der Playa betreut wird, kann die Biologin nicht absehen. Mindestens zwei Monate. An der Rückenflosse steht noch ein chirurgischer Eingriff an. „Alle Tiere werden, sobald es geht, wieder in die Freiheit entlassen, damit es freie Plätze gibt", sagt Gloria Fernández. Wie auf der Intensivstation im Krankenhaus eben auch.

Fundación Palma Aquarium

C/. Manuela de los Herreros, 21, Palma,Tel.: 971-74 61 04, bei Funden: Tel.: 112,E-Mail: info@

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