Dass die Restaurierung notwendig ist, wird schnell demjenigen klar, der mit Sondergenehmigung die rund 100 Tritte auf dem Gerüst nach oben steigt. Was von unten so himmlisch leuchtet, sieht bei näherem Hinsehen irdisch-trist aus: Risse in den Scheiben, bröckelnder Kalkmörtel, leere Fugenritzen, dicke Staubschichten, Spinnenweben, abgebrochene Kupferstifte und nachträglich eingesetzte geriffelte bunte Scheiben, die aussehen, als stammten sie aus ­Bade­zim­merfenstern.

Diözesanbaumeister Tomeu Bennassar zeigt auf einen feinen Riss in einer gelben Scheibe. ?Beim großen Feuerwerk zu Ehren von San Sebastián am 20. Januar habe ich mit der Patrulla verde (Spezialeinheit der Ortspolizei, Anmerk. d. Red.) auf der Terrasse vor der Rosette gestanden und gesehen, wie die Scheiben vibrierten." Sein Messgeräts zeigte Werte von 113 Dezibel an, als die Feuerwerkskörper explodierten. ?Wir hatten den Verantwortlichen der Stadt Palma vor dem Fest empfohlen, 78 Dezibel nicht zu überschreiten", erzählt der Baumeister.

Dennoch stellten Experten des balearischen Inselrates bei einer Prüfung keinen direkten Zusammenhang zwischen Feuerwerk und Rosetten-Rissen fest. ?Es ist unmöglich, ohne Beweise jemanden dafür zur Verantwortung zu ziehen", sagte die im Inselrat für Kulturangelegenheiten zuständige Joana Lluïsa Mascaró der Zeitung ?El Mundo".

Die Scheiben und Risse müssen trotzdem ausgebessert werden, auch wenn bis jetzt nicht geklärt ist, wer für den Schaden aufkommt. ?Sobald der Kostenvoranschlag steht, können wir an die Stadt, den Inselrat und die Balearen-Regierung herantreten. Bis jetzt zahlt die Kirche alleine", sagt Bennassar, der einräumt, dass neben dem Feuerwerk auch noch andere Faktoren die im 14. Jahrhundert gebaute und Ende des 16. Jahrhunderts verglaste Rosette beschädigt hätten. ?Natürlich zehren auch Umwelteinflüsse, Wind und Meersalz an Fenstern und Fassade."

Um einen Überblick zu bekommen und mit den Arbeiten zu beginnen, wurde Ende Mai innerhalb von drei Wochen das Gerüst an der Ostfront hochgezogen. Allein der Aufbau kostete 16.000 Euro. ?Dazu kommt eine Tagesmiete, die noch nicht ausgehandelt ist", sagt Bennassar. Wie lange das Gerüst stehen wird, ist unklar. Sobald die Inspek­tion durch Bennassar und die beiden Architekten der Kathedrale, Enric Taltavull und Sebastià Gamundí, in etwa einem Monat abgeschlossen ist, muss eine Sanierungsgenehmigung ausgestellt werden. Dann werde es wahrscheinlich noch mal vier bis fünf Monate dauern, bis die Rosette wieder erstrahlt. ?Das Gerüst soll im Dezember abgebaut werden."

Bisher hat das Team bei rund 90 der über 2.000 Glasscheiben Schäden ausgemacht, die mit sorgfältig saniert werden sollen, erklärt Bennassar, und deutet, während er auf dem obersten der Gerüstpodeste knapp unter der Kuppel steht, auf eine herausgenommene Scheibe, die ohne Ritzen durch Stifte in dem Sandstein gehalten wird. ?Wir werden die Struktur nicht verändern", sagt Bennassar, der seit Abschluss seines Architektur-Studiums 1993 im Dienste der Kirche arbeitet.

Die neuen Scheiben werden in der deutschen Glashütte Lamberts in Waldsassen (Ober-pfalz) geordert. Das dort hergestellte Glas käme den Originalen am nächsten. Für mehr Stabilität werden die Scheiben drei anstatt zwei Millimeter dick sein. ?Mehr geht nicht. Schauen Sie, an den Seitenfenstern haben wir eine Doppelverglasung." Eine durchsichtige Scheibe schützt dort das bemalte Originalglas. Bei der Rosette, die 11,20 Meter Durchmesser und eine Grundfläche von etwa 100 Quadratmeter hat, würde das die Statik gefährden, so Bennassar. Mit einer farblosen Silikonfuge, neuen Stiften und einer Außenfolie, die gebrochenes Glas vor dem Herunterfallen schützt, sollen die Glasarbeiten abgeschlossen werden.

Erst dann kann das sogenannte ?Lichtwunder von Palma" wieder erstrahlen: Immer am 2. Februar und am 11. November scheint morgens für ein paar Minuten die Sonne in einem besonderen Winkel durch die Scheiben und spiegelt die Rosette genau unter die kleinere Rosette auf der Westwand. Ein magisches Spiel, das die aufwendigen Sanierungsarbeiten allemal wert ist.

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