Wenige hundert Meter hinter dem historischen Ortskern von Campos mit den typischen niedrigen mallorquinischen Häusern erstreckt sich das Neubaugebiet des Dorfes: vierstöckige Mehr­familiengebäude mit Dutzenden leer stehenden Wohnungen, verlassene Baustellen, vor sich hin modernde Rohbauten und Unkrautäcker mit Bauschutt. Auf den Straßen ist niemand zu sehen, an den Häusern kleben Se vende-Schilder. Es wirkt ein bisschen so, als ob die Maurer hier kurz vor Fertigstellung der Siedlung Kelle und Mörtel fallen ließen und die Flucht ergriffen. In der Gemeinde im Süden der Insel zeigen sich wie in kaum einer anderen Kommune Mallorcas die Auswirkungen der Wirtschaftskrise - im Stadtbild und in der Haushaltskasse. Nach dem Rausch des Baubooms ist großer Katzenjammer angesagt.

?Wir sind ruiniert", sagt Bürgermeister Guillem Ginard. Rund sechs Millionen Euro Schulden haben ihm seine Vorgänger hinterlassen. Der 34 Jahre alte Politiker der ­Regionalpartei Unió Mallorquina hat das Ruder im vergangenen Jahr übernommen. Zuvor saßen seit Beginn der Demokratie in Spanien 28 Jahre lang Politiker der konservativen Volkspartei Partido Popular im Rathaussessel.

Und die macht Ginard auch großteils für das Desaster der ­Gemein­deentwicklung verantwortlich. Viel zu schnell, viel zu viel, und ohne über die Folgen nachzudenken sei in Campos gebaut worden. ?In fünf oder sechs Jahren ist hier das entstanden, wofür man sich mindestens 20 Jahre Zeit nehmen sollte." Allein im Jahr 2006 seien mehr als 900 Baugenehmigungen vergeben worden. ?Wir waren auf Mallorca die Kommune nach Palma mit den meisten Lizenzen." Binnen weniger Jahre stieg die Einwohnerzahl rapide an, von 7.132 registrierten Bürgern im Jahr 2001 auf aktuell 9.820, die vielen Zweitwohnungsbesitzer und deutschen Teilzeit-Insulaner nicht mitgerechnet. Darüber hinaus sind Hunderte Neubau-Wohnungen in der kleinen Gemeinde unbewohnt, wieviele genau kann auch der Bürgermeister nicht sagen. Die Vergabe von immer mehr Baugenehmigungen spülte jahrelang frisches Geld in das Gemeindesäckel, das aber nicht für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur verwendet wurde. ?Es wurde nicht vorausschauend geplant. Bei der neuen Siedlung wurden die öffentlichen Grün­flächen zum Beispiel einfach weggelassen", sagt Ginard. Es fehlen auch eine Schule und Plätze in der Kinderkrippe für die vielen jungen Familien, die in die Gemeinde gezogen sind.

Der Krise steht Campos schutzlos gegenüber. Anderswo auf der Insel versucht man sich nach dem Ende des Baubooms mit dem Tourismus, der zweiten tragenden Säule der Balearenwirtschaft zu retten. Doch die Gemeinde, in deren Gebiet auch der längste und in Mallorca-Broschüren viel beworbene Naturstrand der Insel Es Trenc liegt, hat so gut wie keine Einnahmen aus dem Tourismus. Es gibt lediglich ein paar Anbieter von Urlaub auf dem Bauernhof und ein kleines Hotel. Früher lebte das Dorf hauptsächlich von der Landwirtschaft. Anfang der 80er Jahre gab es noch an die 400 Landwirte, hauptsächlich Milchbauern, heute sind weniger als ein Dutzend Höfe übrig geblieben. Es gibt noch Käseherstellung, ein paar Handwerksbetriebe, Lebensmittelgeschäfte, Bars und Restaurants. Doch kaum ein Bürger in Campos kann in der Gemeinde auch arbeiten. Der massive Ausbau ließ aus Campos eine Pendler-Siedlung, ein pueblo dormitorio für Angestellte in Palma werden. ?Früher kannte hier jeder jeden. Es gab ein sehr aktives Dorfleben. Das funktioniert mit den Zugezogenen nicht mehr, weil die nur zum Schlafen herkommen", sagt Montserrat Alcaraz. Der 36 Jahre alte Lehrer stammt aus Campos und ist beim Umweltschutzverband GOB aktiv. Er ist wütend und traurig, die einstige Idylle des Dorfes sei verloren. ?Die Leute stellten hier abends ihre Stühle raus, um sich miteinander zu unterhalten. Jetzt steht alles voller Autos." Alcaraz ist einer der größten Kritiker der Entwicklung der Gemeinde. In der Mentalität seiner Landsleute sieht der Mallorquiner den Grund für das Desaster von Campos. ?Hier wird immer nur auf schnellen Profit gesetzt, statt auf Qualität, Ästhetik und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu achten." Nicht nur die Politiker seien schuld, auch die Bürger selbst. ?Die Leute haben ja ihre geerbten Grundstücke selbst ver­kauft. Mir haben sie auch ein Angebot gemacht. Ich habe Nein gesagt, aber das ist schwer." Nun also stehen die Neubauklötze auf den Flächen. ?Die haben Bauunternehmen von außerhalb hingestellt, die Handwerker von Campos haben davon gar nichts gehabt."

Doch auch bei den alteingesessenen Bürgern, die ihre Grundstücke verkauft haben, blieb der große Reibach oft aus. Beliebt war nämlich der Tausch Grundstück gegen mehrere Neubauwohnungen. Diese lassen sich momentan nicht mehr zu Geld machen. So ist der 62 Jahre alte Juan Montserrat seit Monaten auf der Suche nach Käufern für die sechs Wohnungen, die er für sein Grundstück vom Bauträger erhalten hat. Für die laufenden Unterhaltskosten muss der Fuhrunternehmer selbst aufkommen. Insgesamt sind in dem neuen Gebäude am Ortseingang von Campos 34 Wohnungen eingerichtet, aber nur 18 verkauft. Montserrat bleibt dennoch optimistisch. ?Man muss halt abwarten, bis der Markt wieder in Schwung kommt", sagt er. Beim Preis ließe er mittlerweile mit sich reden, die Einbauküche oder die Klimaanlage könne er dazugeben. Montserrat findet die Vergrößerung von Campos gut. ?Ein kleines Dorf ist doch ein totes Dorf. Je mehr Einwohner, desto mehr Supermärkte, mehr Ärzte, mehr Polizei", sagt er. Zement und Ziegel bedeuten für Montserrat weiterhin Fortschritt. Wenn er aus einer seiner leeren Wohnungen mit Parkettboden und Einbauschränken aus dem Fenster schaut, blickt er auf einen verwachsenen Bauplatz und einen Rohbau dahinter.

Um seine Gemeinde aus der Krise zu führen, versucht Bürgermeister Ginard nun ein halbes Jahrhundert nach dem Beginn des Tourismus-Booms auf Mallorca doch noch ein paar Gäste abzubekommen. Er will das Zentrum des Dorfs verschönern, zwei bis drei Fünf-Sterne-Hotels ansiedeln, Golfplätze bauen. Es sind Pläne, die klingen wie der hilflose Einsatz von Gießkannen bei einem Flächenbrand.

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