Silvia Talfeld hat sich bislang keine großen Gedanken darüber gemacht, dass ihr Haus auf Mallorca nur rund 25 Meter vom Meer entfernt ist. Doch seit auch Medien in Deutschland über die Umsetzung des spanischen Küstengesetzes berichten, ist die Sorge groß. Steht das Haus womöglich im Bereich, in dem kein privater Besitz erlaubt ist? Wird es womöglich enteignet werden?

"Ich kenne ein bisschen die Behörden, und mein Vertrauen ist denkbar gering", sagt die Deutsche (Name v. Red. geändert). Zu denken gibt ihr, dass benachbarte Häuser nach Inkrafttreten des Küstengesetzes 1988 weiter entfernt vom Meer gebaut wurden. Aber auch wenn etwas mit ihrem Haus nicht stimmen sollte - ein blauer Brief der Behörden ist bislang noch nicht eingegangen. "Ich habe eine rechtsgültige Baugenehmigung, die 20 Jahre alt ist", sagt Talfeld.

Das Küstengesetz sorgt deswegen für so viel Aufregung, weil es dem Schutz des in Spanien öffentlichen Strands höchste Priorität einräumt. Meer und Küste seien Gemeingut und deswegen mit privatem Besitz nicht vereinbar, heißt es bei der spanischen Küstenschutzbehörde, die noch immer damit beschäftigt ist, den Schutzbereich entlang der Küste im Detail festzulegen. Auf den Balearen ist bislang erst knapp die Hälfte der Küste vermessen - 672 von insgesamt knapp 1.400 Kilometern. Auf Mallorca sind es bislang 70 Prozent der Küste, auf Ibiza 57 Prozent, auf Menorca 2,5 Prozent und auf Formentera 100 Prozent. Bis Ende kommenden Jahres wollen die Vermesser ihre Arbeit beendet haben.

Über die Schulter schauen lassen sich die Experten allerdings ungern - die zuständige Pressestelle im Madrider Umweltministerium lehnte den Antrag der MZ ab. Stattdessen hält die Stelle einen Argumentationsleitfaden bereit, der auch den Botschaften überreicht worden ist. Unter anderem hat die Deutsche Botschaft in Madrid bei den spanischen Behörden vorgesprochen. Weitere Gespräche seien geplant. Der Handlungsspielraum der Diplomaten ist freilich begrenzt, und im Zweifelsfall bleibt nur der Rat an mögliche Betroffene, sich einen Anwalt zu nehmen.

Die Stellungnahme der spanischen Küstenschutzbehörde dürfte nicht unbedingt zur Beruhigung der Immobilienbesitzer beitragen. "Die Grenzziehung steht sogar über Grundbucheintragungen, die zugunsten der Privatpersonen bestehen könnten", heißt es. "Das kann zur Folge haben, das bisher private Grundstücke - oder von ihren Besitzern als solche angesehene - zum öffentlichen Allgemeingut erklärt werden." Die Besitzrechte würden dann in Nutzungs- und Gebrauchsrechte umgewandelt, da Privatbesitz auf öffentlichem Grund mit der spanischen Verfassung nicht vereinbar sei. "Das heißt allerdings in keiner Weise, dass sich die betroffenen Besitzer illegal verhalten haben." Vielmehr müssten sie sich der Rechtsordnung unterwerfen, die im spanischen Küstengesetz vorgesehen sei, heißt es. Unterschieden werden laut Gesetz unterschiedliche Auflagen für Grundstücke in Abhängigkeit von der Entfernung zum Meer.

Heikel wird es für Immobilienbesitzer im geschützten Strandgebiet: Das Besitzrecht wird in ihrem Fall in eine Konzession umdefiniert werden, die eine Gültigkeit von 30 Jahren hat, berechnet ab 1988. Sie läuft also im Jahr 2018 aus und kann maximal bis 2048 verlängert werden.

Wem dieser Umgang mit Privateigentum spanisch vorkommt, liegt richtig - die spanische Verfassung schützt Eigentum zwar als Grundrecht, im Gegensatz zu anderen Rechten wie beispielsweise der Meinungsfreiheit aber nicht als Basisgrundrecht. Es darf deswegen durch das Küstengesetz eingeschränkt werden. Im Umweltministerium wird etwa auf ein Urteil des spanischen Verfassungsgerichts von 1991 verwiesen, das das jetzige Vorgehen rundweg absichere.

Hoch schlagen die Wellen des Protests auf dem spanischen Festland. Mehr als 20.000 erboste Hausbesitzer haben sich einer spanienweiten Bürgerinitiative angeschlossen (http://afectadosleydecostas.blogspot.com). "Täglich kommen neue Mitglieder hinzu", sagt die Vorsitzende der seit knapp einem Jahr bestehenden Initiative, Carmen del Amo, die vor allem Willkür bei der Umsetzung und Rechtsunsicherheit kritisiert.

Das Problem bei der Vermessung ist vor allem die Definition. So gilt für den öffentlichen Strandbereich, der privaten Besitz völlig ausschließt, keine Abgrenzung in Metern, sondern eine, die vom Wellengang abhängt: Die Grenze soll dort gezogen werden, wohin die Meereswellen bei Flut - oder auch bei Sturm - gelangen. "Die Rechtssicherheit kann doch nicht von einer Welle abhängen, die womöglich einmalig war", stöhnt del Amo. Zudem verstoße es gegen Art. 9 der spanischen Verfassung, dass das Küstengesetz rückwirkend angewandt werde. Das Privateigentum sei im Übrigen in Art. 33 der Verfassung geschützt.

Also letztlich alles Interpretationssache oder gar Willkür spanischer Beamter? Diesen Vorwurf lässt man in der spanischen Küstenschutzbehörde nicht gelten. "Das Küstengesetz wird weder willkürlich, noch rückwirkend angewandt", heißt es in der Stellungnahme. Man gehe rigoros vor, setze die besten Spezialisten ein und führe komplexe Berechnungen aus. Die Verlässlichkeit zeige sich auch daran, dass bisher nur drei Prozent der vor Gericht eingebrachten Einsprüche von Betroffenen stattgegeben worden sei. Und das Prinzip der öffentlichen Küste habe nun einmal obersten Verfassungsrang.

Auf Mallorca haben sich bislang noch keine konkreten Konsequenzen abgezeichnet. Nachdem Zeitungen wie "El País" und Nachrichtenagenturen das Thema aufgegriffen haben, herrscht jedoch Verunsicherung. Auch Aktivistin del Amo glaubt, dass es auf den Balearen besonders viele Betroffene geben wird. Die problematischten Küstenabschnitte - unter anderem die Playa de Palma, Pollença oder die Costa de los Pinos - seien schließlich noch gar nicht vermessen worden. "Viele wissen noch gar nicht, dass auch ihr Haus betroffen ist." Bislang hätten sich vor allem Betroffene auf Mallorcas Nachbarinsel Formentera dem Protest angeschlossen, darunter auch zahlreiche Deutsche.

Insgesamt machten die alemanes rund drei Prozent der Mitglieder in ganz Spanien aus. Viele der ausländischen Immobilienbesitzer - neben Deutschen sind vor allem Briten betroffen - verstünden die Welt nicht mehr, sagt del Amo. "Erklären Sie mal jemandem, dass er in Europa ist, ihm das aber nichts nützt."

Die Aufregung ist beispielsweise in der Region Valencia groß, wo die Vermessung der Küste weitgehend abgeschlossen ist. Einen weiteren Proteststurm erwartet del Amo in der Provinz Alicante. Man werde sich Gehör verschaffen, sagt die Sprecherin: Sollten Gespräche mit den Behörden keinen Erfolg haben, werde man im neuen Jahr auf die Straße gehen. In der Printausgabe lesen Sie außerdem:

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