Die Sozialbehörde des Inselrats sucht 60 Pflegefamilien. Etwa 300 Kinder leben auf Mallorca in Heimen. Darunter sind auch zwei junge Deutsche.

Als die vier Jahre alte Ana in ihre Pflegefamilie in Palma kam, war sie so verschüchtert, dass sie kein Wort sprach. Sie war abgemagert, ihr Haar stumpf. Offenbar war sie lange Zeit extrem vernachlässigt worden. Nach acht Monaten bei den Garcías ist aus der ängstlichen, verlorenen Kleinen ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen geworden. „Ende August hat sie die ersten Sätze gesprochen, heute plappert sie wie ein Wasserfall“, sagt Pflegemutter María García Florit.

Die 36 Jahre alte Mallorquinerin und ihr Mann Valentín, die selbst drei eigene Kinder haben, nehmen seit 2006 immer wieder Pflegekinder auf. „Es ist eine sehr schöne Erfahrung zu sehen, wie sie an Selbstvertrauen gewinnen und merken, dass sie so gemocht werden, wie sie sind. Das ist nicht nur für mich bereichernd, sondern auch für meine eigenen Kinder“, sagt García. Beispielsweise hätten sie am Verhalten ihrer neuen Schwester am Mittagstisch gemerkt, dass diese offenbar in der Vergangenheit nicht genug zu essen bekommen hatte. „Sie lernen, dass es nicht allen selbstverständlich gut geht.“

Im Haus der Garcías bleiben die Pflegekinder mehrere Wochen oder Monate. Solange sie da sind, gehören sie wie selbstverständlich zur Familie. „Wenn sie zur Tür hereinkommen, sind sie ein Kind mehr von uns“, erklärt Pflegemutter María García ihre Philosophie. Ana geht mit ihren Geschwistern auf Zeit in die Schule, sie teilt sich ein Zimmer mit ihren Brüdern auf Zeit, Martí (4) und Angel (8), sie spielen zusammen Fußball, gehen ins Kino, fahren gemeinsam in den Urlaub. Schwer wird dann nur der Abschied. Und der kommt mit Sicherheit. Die Familie García ist eine von rund 65 familias canguros auf Mallorca, die immer wieder in Not geratene Kleinkinder für eine maximale Dauer von zwei Jahren aufnehmen. In diesem Pflegekind-Programm des Inselrats ist von Anfang an klar, dass das Kind nach einer begrenzten Zeit entweder wieder von Angehörigen aufgenommen oder zur Adoption freigegegen wird. Viele Pflegeeltern tun sich dann schwer, wieder loszulassen. „Das geht auch uns so. Ich habe aber selbst drei eigene Kinder und kann es daher vermutlich besser verkraften als Frauen, die keine eigenen Kinder haben“, sagt García. Außerdem hält die Familie zu mehreren früheren Pflegekindern weiterhin Kontakt. „Ein Junge verbringt öfter mal das Wochenende mit uns. Das ist eine Beziehung wie zu einem Neffen“, erzählt García.

Neben der zeitweisen Aufnahme von Kindern ist auch die dauerhafte Betreuung von Pflegekindern möglich, die aber meistens schon etwas älter sind. Speziell für 6- bis 17-Jährige, die auch in Zukunft nicht mehr bei Angehörigen leben können, fehlen Pflegefamilien. Die Sozialbehörde der Inselrats sucht derzeit für 60 Kinder und Jugendliche dauerhafte Pflegefamilien. Die Behörde organisiert die Vermittlung und bereitet die Familien auch mit einem Kurs auf die Anforderungen vor. „Babys oder kleine Kinder zu betreuen, finden viele gut. Sie wecken stark den Beschützerinstinkt, und man sieht schnell Fortschritte. Vor älteren Kindern haben die Leute eher Angst. Sie glauben, sie würden sich mit den eigenen Kindern streiten oder Ärger in der Schule verursachen“, sagt Joan Escandell, der Leiter der Pflegekind-Programme des Inselrats. Diese Befürchtungen seien nachvollziehbar. Immerhin haben die rund 300 Kinder auf Mallorca, die derzeit in Heimen leben, schon viel Leid erlebt. Meistens handele es sich um Fälle von Verwahrlosung, sagt Escandell. Die Kinder bekamen von ihren Eltern keine Aufmerksamkeit, nicht genügend Nahrung, passende Kleidung oder medizinische Versorgung. Manche wurden auch misshandelt oder sexuell missbraucht. Unter den Heimkindern sind momentan auch zwei deutsche Geschwister im Alter von zwei und sechs Jahren.

„Die individuelle Aufmerksamkeit in einer Familie ist grundsätzlich immer besser. Das hilft auch, die Wunden einer schwierigen Vergangenheit zu heilen. Allerdings gibt es auch besonders problematische Kinder, die nur in einem Heim leben können.“ Stolz ist Escandell darauf, dass von ihren Eltern verlassene Babys auf Mallorca stets bei Familien untergebracht werden können und nicht in Heime kommen.

Voraussetzungen, um Pflegemutter oder -vater zu werden, gibt es nicht viele. Man sollte älter als 25 sein, aber vor allem sollte man seinen Schützling wie sein eigenes Kind behandeln und die jeweiligen Vorgaben der Behörde akzeptieren. Nähere Informationen zu den verschiedenen Aufnahmeprogrammen und Hilfestellung bei der Betreuung gibt es beim Inselrat.

Interessierte melden sich unter der Gratis-­Telefonnummer 900.100.444.

In der Printausgabe lesen Sie außerdem

Cala Ratjada: Unglückshotel war schlecht gesichert

Vorläufige Ermittlungen gegen Ex-Premier Jaume Matas

Modernisierung der Playa de Palma: Margarita Nájera im Interview

Energieversorgung: Arbeiten an der Gasleitung begonnen

Solidarität in Krisenzeiten: Caritas vermeldet mehr Hilfsbedürftige

Das große Lifting von La Seu: Sanierungsarbeiten an der Kathedrale

Wirbel um Golfplatzprojekt Son Bosc