Im Osten Mallorcas, gleich hinter Manacor, tut sich eine besonders liebliche Idylle auf. Sanft gewellt mit Hügeln und frei stehenden Landhäusern, die das Grün wie bunte Tupfen schmücken. Bis 1964 schnaufte noch eine Dampflok durch diesen Landstrich des Levante. Dann wurde sie gegen einen neuen mit Diesel betriebenen Zug ausgewechselt, bevor die Bahn 1977 wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit eingestellt wurde. Heute zeugen nur noch rostige Schienen von der Zugstrecke.

Das soll sich binnen weniger Monate gewaltig ändern: Die Balearen-Regierung will noch in diesem Jahr mit dem Bau einer neuen 30 Kilometer langen Bahnverbindung auf der alten Streckenführung zwischen Manacor und Artà beginnen. Die alten Gleise und Schwellen werden von einem Betonbett ersetzt, auf dem im Jahr 2011 ein moderner Elektrozug die Dörfer Sant Llorenç, Son Carrió und Son Servera mit Artà und Manacor verbinden soll. Kostenpunkt: rund 100 Millionen Euro.

Was für die Landesregierung einen entscheidenden Fortschritt zum Ausbau des oft als extrem mangelhaft kritisierten öffentlichen Nahverkehrs auf Mallorca bedeutet, ist für hunderte Anwohner der Zuglinie ein Alptraum - der Abschied vom Paradies. Fast 700 Grundstücke, die an der acht bis 14 Meter breiten Bahntrasse und einer Nebenstraße liegen, sollen zum Teil enteignet werden. Der Großteil davon ist in privater Hand, unter den Betroffenen sind auch viele Deutsche. Ihre Einsprüche gegen die Enteignungen von insgesamt rund 400.000 Quadratmeter Fläche stapeln sich derzeit im Verkehrsministerium.

Die Betroffenen beklagen einen hohen Wertverlust ihrer Immobilien, die oft nur wenige Meter entfernt von der Bahnstrecke stehen, und fühlen sich hereingelegt. Denn, so der allgemeine Tenor, mit der Wiederaufnahme des Zugbetriebs auf dem beschaulichen campo sei nicht zu rechnen gewesen. "Es wurde uns vom Bauunternehmer und den Nachbarn hoch und heilig versprochen, dass hier nie wieder ein Zug fährt", sagt eine 70 Jahre alte deutsche Haus- eigentümerin. Der Zug wird mitten durch ihr Grundstück fahren, von 3.000 Quadratmetern werden 1.200 enteignet. Fahrgäste bekommen tiefe Einblicke in Swimmingpool und Küche des Rentnerpaars aus Münster, außerdem wird ein Teil des Grundstücks vom Zug abgetrennt und dann nur noch über den nächsten Bahnübergang zu erreichen sein, genauso wie die Nachbarin in Rufweite. Einem anderen deutschen Ehepaar, Gabriele und Rolf Drevermann, wird der Zugang zu seiner Garage demnächst vom Zug versperrt. Die beiden kauften ihr Domizil erst vor einem Jahr. Sie sind sich sicher: "Die Maklerin muss von den Plänen gewusst haben. Die hat uns voll auflaufen lassen." Nun wollen sie der Insel so schnell wie möglich wieder den Rücken kehren. "Das sollte hier unsere Altersversorgung und unser Lebensabend sein, jetzt können wir nicht mal für die Hälfte verkaufen." Auch die einmonatige Einspruchsfrist haben sie versäumt, denn dem Gesetz entsprechend wurden die geplanten Enteignungen im November lediglich im staatlichen Mitteilungsblatt (BOE) und in zwei spanischsprachigen Tageszeitungen veröffentlicht. Persönlich angeschrieben wurden die Anlieger nicht. So erfuhren die Drevermanns erst verspätet durch Gespräche mit Nachbarn von dem Vorhaben.

Viele Betroffene kritisieren die geplante Bahn auch als Stümperei und Fehlinvestition für ganz Mallorca. Damit liegen sie auf einer Linie mit Einwänden der konservativen Volkspartei (PP) und einer Protestbewegung, die im Internet unter http://mallorcallevant.blogspot.com/ ihre Argumente kundtut. Ihre These: Der Zug wird das Problem des öffentlichen Nahverkehrs auf Mallorca nicht lösen und außerdem unrentabel sein. "Die Fahrt von Palma nach Artà wird zweieinhalb Stunden dauern, und dann muss man in Manacor noch umsteigen. Das ist doch nicht attraktiv. Der Bau ist mit den veranschlagten Kosten nicht zu schaffen", sagt Claudia Gelabert, eine betroffene Deutsche aus Son Carrió, die eine Bürgerinitiative gegen die Bahn gründen will. Ein Ausbau der Busverbindungen sei günstiger und sinnvoller.

Toni Verger (PSM), der zuständige Generaldirektor im balearischen Verkehrsministerium, sieht das freilich anders. "Das Projekt ist gut durchgerechnet. 75 Prozent der Bewohner im Levante-Gebiet bewegen sich nur innerhalb der Region, fahren also in ein anderes Dorf oder nach Manacor. Für sie ist der Zug in erster Linie gedacht." Gegenüber Bussen sei ein Zug außerdem ein sichereres und umweltverträglicheres Verkehrsmittel. Auf der neuen Strecke werde mit bis zu 700.000 Fahrgästen im Jahr gerechnet. Auch das Problem der Streckenführung in Manacor will er bis Februar geklärt haben. Dann soll entschieden sein, ob die neue elektrische Bahn innerhalb der Stadt auf einem ein bis zwei Kilometer langen Abschnitt über- oder unterirdisch zum Bahnhof fährt. "Das Umsteigen wird nur zwei bis drei Minuten dauern", verspricht Verger. Die Fahrtdauer werde eineinhalb Stunden betragen: eine Stunde von Palma nach Manacor und 25 bis 30 Minuten weiter nach Artà. In weiterer Zukunft solle aber auch die Strecke Palma-Manacor auf Elektrozüge umgerüstet werden und die Fahrtdauer so auf 40 bis 45 Minuten verkürzt werden. Dann könne der gleiche Zug von Palma nach Artà fahren.

Verger betont, dass die Bahn auf einem bereits von der Vorgängerregierung verabschiedeten Grundsatzpapier zum Verkehr auf Mallorca beruhe, die konservative Volkspartei aber dem Bau von Straßen und der U-Bahn in Palma Vorrang erteilt habe. Das aktuelle Mitte-Links-Bündnis setzt dagegen stark auf die Förderung des öffentlichen Nahverkehrs. "Wir wollen einen Wandel des Mobilitätsmodells auf Mallorca." Insgesamt fließen dafür 440 Millionen Euro von Madrid nach Mallorca. Neben der Erweiterung nach Artà werden sie unter anderem auch für die Planung des Ausbaus einer Zugverbindung nach Cala Ratjada verwendet. "Es ist wichtig, dass die Linie einmal bis an die Küste reicht, dort wo sich das Leben abspielt." Auch der Bau einer Bahnstrecke von sa Pobla nach Alcúdia wird mit den Geldern vorbereitet. Für die Sorgen der enteigneten Grundstückseigentümer zeigt Verger Verständnis. "Wir handeln im Sinne des Gemeinwohls, und das steht manchmal dem Wohl des Einzelnen entgegen." Er verweist auf einen Fonds von zwei bis fünf Millionen Euro, der für Entschädigungen bereitsteht.

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