Wenn sie die Mallorquiner über die schwierige Lage jammern hört, kann Noris Emma López Bravo nur müde lächeln. "Die Leute hier sind paranoid, die haben keine Ahnung, was eine wirkliche Krise bedeutet", sagt die 55-jährige Insel-Residentin. López Bravo kommt aus Argentinien, einem Land, das reichlich Erfahrung mit politischen und wirtschaftlichen Problemen hat. Sie verließ ihre Heimat 2001, kurz vor dem Höhepunkt der letzten Wirtschaftskrise. Die Erinnerungen an jene Zeit seien nicht mit den aktuellen Verhältnissen auf der Insel vergleichbar. "Leute, die teuere Mäntel anhatten, wühlten plötzlich im Müll nach Essensresten."

Ähnlich wie López Bravo ­denken die meisten der schätzungsweise 25.000 Argentinier, die aktuell auf Mallorca leben. Offiziell sind es laut Statistikamt nur 12.328, die anderen sind entweder nicht gemeldet oder verfügen dank ihrer Vorfahren über einen europäischen Pass. Viele glauben, besser auf die Wirtschaftskrise vorbereitet zu sein als die meisten Spanier und anderen Europäer auf Mallorca. "Wir sind es gewohnt, schwierige Situationen zu meistern", sagt López Bravo.

Sie stammt aus einer Mittelschichtsfamilie aus Buenos Aires, ihr Vater war Arzt, ihr Mann ist Informatiker, sie selbst brach ihr Studium nach dem Putsch 1976 ab. Damals hatten die Militärs ihren Bruder verschwinden lassen, an der Universität wurde es zu gefährlich, López ging ins benachbarte Uruguay ins Exil. Später kehrte sie nach Argentinien zurück und arbeitete in einer Bank, heute ist sie Sekretärin in einer Baufirma in Palma. Wie viele andere hat auch sie Angst, ihren Job zu verlieren. "Aber wenn ich morgen putzen gehen muss, fällt mir kein Zacken aus der Krone."

Wegen der Krise in die ­Heimat zurückkehren, will kaum ein Argentinier. "Das tun allenfalls die, die sowieso mit dem Gedanken gespielt haben. Für jemand, der kein Geld mehr verdient und seine Familie vermisst, kann das der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt", meint Jorge Sans, Sprecher der Vereinigung Movimiento Argentino auf Balearen. So schlimm wie damals in ­Argentinien könne es hier kaum werden. "Spanien hat die EU im Rücken, und der Euro ist stark." Sans ist Sportlehrer und arbeitet derzeit in Cala Ratjada als Gärtner, in seiner Freizeit setzt er sich für die Bedürfnisse der Argenti­nier auf Mallorca ein. "Unser dringlichster Wunsch ist ein Konsulat auf der Insel." Auch Sans hatte die letzte große Wirtschaftskrise in Argentinien aus dem Land getrieben. Nach der Abwertung des peso war sein Gehalt bald nur noch ein Viertel wert. Er zog nach Spanien, um Geld zu verdienen, wollte auch zurückkehren, doch dann zerbrach seine Ehe. Er blieb. "Eine wirtschaftliche Krise beeinflusst eben auch die persönlichen Beziehungen."

Auch der Familienvater Antonio Barroso glitt in eine tiefe Depression, als er vor sieben Jahren den Großteil seiner Ersparnisse verlor und sich in Argentinien Misstrauen, Angst und Gewalt ausbreiteten. Doch der heute 52-Jährige ließ sich nicht unterkriegen. Heute verkauft er in Palma Brathähnchen mit Pommes. Sein Laden "Pollo Stop" in der Carrer Manacor, den er gemeinsam mit einem Partner vor rund eineinhalb Jahren eröffnet hat, läuft wie geschmiert. Das Geschäftsmodell stimmt. "Hähnchen ist ein Grundnahrungsmittel. Von einer Portion für zehn Euro werden vier Personen satt. Es ist ein absolutes Anti-Krisen-Produkt", sagt Antonio Barroso. Vor kurzem eröffneten sie den zweiten "Pollo Stop" in der Carrer Aragò. Barrosos Geschäftspartner, der 38 Jahre alte Wirtschaftswissenschaftler Ariel Acosta, hat außerdem noch ein zweites Standbein. Als der Argentinier nach Palma kam und sah, wie sich alte Leute mit dem Tragen schwerer Wasserkanister abmühten, baute er einen Wasser-Bring-Service auf, der heute ebenfalls floriert. "Man muss eben Köpfchen haben, wenn es nicht mehr weitergeht. Auch die Mallorquiner müssen sich etwas einfallen lassen", rät Barroso.