Die Fahrräder sind an die ­Stämme der Mandelbäume gelehnt. Ein Auto hat keiner der diesjährigen Erntehelfer. Abimbola Olagunjo und seine drei nigerianischen Landsleute werden froh sein, wenn ihnen die Ernte genug Geld bringt, um das Essen und die Stromrechnung bezahlen zu können. Die vier Immigranten haben in den vergangenen Stunden Johannisbrot und Mandeln mit langen Eisenstangen von den Bäumen geklopft und schleppen die Säcke nun zu einem LKW, der die Ernte auf der Finca El Verger bei Son Servera abholt.

„Es gibt gute und schlechte Bäume“, sagt Abimbola. Manche seien vertrocknet und fast ohne Früchte, auf manche müsse man hinaufklettern. Die Säcke mit der Ernte von 65 Bäumen wiegen schwer und müssen auf die Ladefläche gewuchtet werden. Viel Geld einbringen werden sie jedoch nicht: 18 Cent gibt es für das Kilo Johannisbrot, 35 Cent für die Mandeln. Das ist ungefähr halb so viel wie im vergangenen Jahr.

„Ich hätte die Mandeln dieses Jahr jedenfalls nicht geerntet“, sagt Fincabesitzer Miquel Marín. „Allein die Miete der Rüttelmaschine hat mich vergangenes Jahr 400 Euro gekostet.“ In diesem Jahr hätte er also draufzahlen müssen, sagt der Mallorquiner. Und auch, wer Arbeiter für die Ernte engagiere und ihnen sechs Euro pro Stunde zahle, müsse in diesem Jahr Verluste einkalkulieren.

Dass die Mandeln doch noch geerntet werden, ist einem Projekt der Caritas zu verdanken. Zufällig erfuhr Marín davon. Die Idee: Arbeitslose Immigranten, die keinen Anspruch auf staatliche Sozialleistungen haben, erledigen die Ernte und dürfen im Gegenzug den geringen Verkaufserlös behalten. Die Finca-Besitzer wiederum sparen sich die Arbeit und müssen trotzdem nicht mitansehen, wie die almendras und algarrobas verrotten - die ungeernteten Bäume würden Schaden nehmen und ein Jahr später noch weniger Früchte tragen.

Die Idee wurde in der Pfarrgemeinde von Cala Millor geboren, vom dortigen Pfarrer und der ­Caritas-Mitarbeiterin Marta Nebot. Sie sammeln immer zu Weihnachten Nahrungsmittelspenden für Menschen in Not. Gewöhnlich reichen die bis zum Sommer. Nicht so in diesem Jahr: Nach anderthalb Monaten sei das Lager leer gewesen, sagt Nebot. Mehrmals am Tag werde sie von Einwanderern nach einem Job gefragt und müsse immer mit dem Kopf schütteln. Die Idee mit der Ernte fiel deswegen auf fruchtbaren Boden. Derzeit arbeiten drei vierköpfige Teams auf den Feldern von 13 Finca-Besitzern, die Warteliste wird jeden Tag länger, „sogar aus Palma rufen sie uns an“, sagt Nebot. Schon wieder klingelt ihr Handy - diesmal ist es ein Finca-Besitzer, der ebenfalls seine Bäume in den Dienst der guten Sache stellen will. „Wenn es erst einmal ein Projekt gibt, wollen sich alle solidarisch zeigen“, so die junge Mallorquinerin. „Sie fühlen sich gut dabei, helfen zu können.“

Sie und ihre freiwilligen Helfer sind nun damit beschäftigt, die Arbeiter auf die Felder zu fahren, Säcke beizubringen und die Ernte abzuliefern. Ein Problem sind die Stangen zum Klopfen der Äste, die in kein Auto passen. Und auch ein Crash-Kurs über die mallorquinischen Trockenfrüchte war für alle Beteiligten nötig. So gab es eine Einführung über die erforderlichen Handgriffe, aber auch über die Verarbeitung der Mandeln zu gato und turrón und die Abnahmepreise. Nebot: „Die Leute müssen wissen, woran sie sind.“

Allal Anine musste nicht lange überlegen. Seit einem Jahr sei er arbeitslos, sagt der 42-jährige Marokkaner. Wegen eines Fehlers bei der Baufirma, bei der arbeitete, habe er kein Arbeitslosengeld beantragen können. „Das ist seitdem das beste Angebot“, sagt Anine und schaufelt mit seinen Händen Johannis­brotschoten in einen Sack, die er zusammen mit René vom Baum geschlagen hat. Sein Kollege wäre eigentlich schon wieder in seine Heimat Bolivien zurückgekehrt. „Wenn ich das Geld zusammengehabt hätte, wäre ich schon längst dort.“ Doch diesen Sommer konnte er nicht wie geplant als Tellerwäscher im Hotel arbeiten. René hat keine Aufenthaltsgenehmigung - und sein Chef Angst vor einer Inspektion. Zurzeit wohnt er mit seinem Bruder zusammen, der als Kellner jobbt. Doch die Saison endet vorzeitig und damit auch die Anstellung: Mitte September sei Schluss, sagt René.

Auch die Mandelernte wird irgendwann vorbei sein. Aber Organisatorin Nebot hofft, dass das Wetter hält und sich die Trockenfrüchte bis fast Ende des Jahres ernten lassen. Das wachsende Netzwerk könnte auch weitere Arbeiten angehen. „Wir haben auch Kurse für Garten- und Handwerkerarbeiten veranstaltet. Säen, gießen, reparieren - auf den Fincas ist immer etwas zu tun.“ Im kommenden Jahr will sie zudem einen ökologischen Garten anlegen lassen, in dem arbeitslose Immigranten beispielsweise Tomaten und Paprika ernten, um von dem Erlös leben zu können.

Die Arbeiter geben sich über die Bezahlung keinen falschen Hoffnungen hin. „Viele sind zufrieden, dass sie sich etwas zu essen oder Windeln für den Sohn kaufen können“, sagt Nebot. Und jede Arbeit sei letztendlich besser als Nichtstun, das nur weiter am Selbstwertgefühl kratze.

Abimbola hat nun nach einer Woche seinen ersten Lohn erhalten. Für einen Tag harte Arbeit unter der Mallorca-Sonne gab es 27 Euro - besser als nichts. Natürlich würde er lieber als Kellner arbeiten, meint der 20-Jährige. Aber in keinem Job werde einem etwas geschenkt.

Finca-Besitzer können sich bei Marta Nebot unter der Telefonnummer 699-00 71 68 melden.