Die Einschusslöcher sind noch zu sehen, neben einem nicht mehr lesbaren Graffito. Am Boden vor der Rückwand der Friedhofskapelle von Porreres liegen halb verwelkte Blumen. Eine Gedenktafel sucht man vergebens – kein Hinweis auf die vermutlich weit mehr als hundert Opfer, die im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) hier im Dunkel der Nacht hingerichtet wurden.

Das Dorf in der Inselmitte ist der dunkle Fleck in der Erforschung des Bürgerkriegs auf Mallorca. Wie viele Anhänger des republikanischen Lagers hier durch die Repression der Putschisten des Franco-Lagers starben, steht bis heute nicht fest. Neue Dokumente lassen die bisher bekannte Zahl jedoch weiter steigen. „Wir wussten bisher von 70", sagt der Historiker Bartomeu Garí. „Jetzt müssen wir von mehr als 120 ausgehen."

Die neuen Erkenntnisse bringt ein Registrierbuch, auf das der frühere Bürgermeister von Porreres, Jaume Sansó, bei Archivrecherchen für eine Dorfchronik stieß. In ihm sind „Ein- und Ausgänge" der Gefängnisse Mallorcas aufgeführt – und viele Häftlinge, die offiziell freigelassen wurden, dürften auf dem Friedhof von Porreres ihr Ende gefunden haben.

Das Massengrab, das dort unter der Erde vermutet wird, nimmt einen Sonderstatus im Bürgerkriegsterror auf Mallorca ein. Dass die aufständischen Franco-Anhänger für die Hinrichtungen auf Porreres auswichen, erklärt Sansó mit den verschiedenen Phasen des Terrors: Wurden zu Beginn des Bürgerkriegs im Juli 1936 Regime-Gegner kurzerhand abgeführt und hingerichtet, lief der Terror in einer zweiten Phase ab September weniger offensichtlich ab. Der Wechsel fiel zusammen mit dem Dienstantritt eines neuen Zivilgouverneurs auf Mallorca, Mateu Torres. „Die sogenannte rote Gefahr war zunächst gebannt, man wollte aber weiter Menschen liquidieren", sagt Garí. Vor allem in den letzten Monaten des Jahres 1939 wurden Gefangene in Palmas provisorischen Gefängnissen – das Kastell Bellver und Can Mir gegenüber der Plaça d´Espanya – offiziell entlassen, aber nach Einbruch der Dunkelheit nach Porreres gebracht und dort erschossen. Das Dorf war nicht nur abgelegen, sondern auch eine Hochburg der Falangisten.

Was offiziell nicht dokumentiert ist, sei für die Bevölkerung damals nicht unentdeckt geblieben, sagt Garí mit Verweis auf Zeitzeugen: Die Schüsse hallten über das damals noch unbebaute Feld bis zum Dorf hinüber, der Weg am Friedhof war blutgetränkt. Der Historiker, der gerade an seiner Doktorarbeit schreibt, geht davon aus, dass es sich nicht um vereinzelte Hinrichtungen und persönliche Abrechnung handelte, sondern um eine „systematische Liquidierung".

Um das Ausmaß des Terrors zu erforschen, müsste das Massengrab, das im Zentrum des Friedhofs unter dort später errichteten Mausoleen vermutet wird, geöffnet werden. Doch solche Pläne polarisieren derzeit ganz Spanien und haben dem Untersuchungsrichter Baltasar Garzón eine Klage wegen Amtsmissbrauch eingebracht – er hatte die Untersuchung des Franco-Terrors angeordnet (MZ berichtete).

Offiziell zuständig für eine Genehmigung zur Öffnung des Massengrabs ist nun das chronisch überlastete Amtsgericht Manacor. „Ich bin pessimistisch", sagt Garí – die Justiz lege den Hinterbliebenen beständig Steine in den Weg. Während Garzón gegen Diktatoren in Südamerika ermittle, bleibe die Vergangenheitsbewältigung im eigenen Land ein Tabu – auch mehr als 70 Jahre nach Kriegsende.

Dabei ginge es nicht darum, die letzten Überlebenden zur Rechenschaft zu ziehen, sondern den Nachkommen der Opfer Gewissheit zu verschaffen – und zwar in beiden Bürgerkriegslagern. Zumindest Porreres habe endlich begonnen, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, sagt Garí – ein Gedenkstein für die hiesigen Opfer sei in Planung.

In der Printausgabe vom 6. Mai (Nummer 522) lesen Sie außerdem:

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