Bis zum Beginn des Massentourismus lebten die Mallorquiner hauptsächlich von den Erträgen der großen Gutshöfe. Über die „possessions" war nicht nur die Landverteilung und Agrarproduktion geregelt, sie gaben auch die soziale Unterscheidung der Gesellschaft vor. Heute ist die Zukunft vieler dieser Anwesen – etliche wurden an Ausländer verkauft – ungewiss. Weil die Landwirtschaft unrentabel geworden ist, verfallen viele Anlagen, Wildwuchs breitet sich aus. Auf einem Kongress, dem bislang größten dieser Art auf der Insel, wollen ab Donnerstag 45 Wissenschaftler über die „possessions" diskutieren. Die Wirtschaftshistorikerin Antònia Morey hat die Veranstaltung initiiert.

Frau Morey, was macht eine ­possessió aus?

Es sind kompakte Güter mit viel Land und mehreren Gebäuden, die mindestens für die Versorgung einer Familie und den Verkauf weiterer Erträge ausreichten. In jedem Teil der Insel waren sie auf etwas anderes spezialisiert. Im Südosten zum Beispiel wurde hauptsächlich Viehwirtschaft betrieben, in der Inselmitte Getreide angebaut und im Tramuntana-Gebirge Olivenöl gewonnen. Es gibt auch kleinere Güter, die possessió genannt werden, das ist aber nicht richtig. Die genaue Definition ist eine Frage, die wir auf dem Kongress diskutieren werden.

Warum ist die Erhaltung dieser Güter so wichtig?

Sie sind ein bedeutendes kulturelles Erbe. Sie waren die Zentren des ländlichen Lebens auf Mallorca. Wichtig sind aber nicht nur die Haupthäuser, sondern auch die Bewirtschaftung. Wenn sich der Mensch zurückzieht und sich die Landschaftsgestaltung ändert, ist das auch eine Gefahr für Flora und Fauna. Dann verschwinden etwa autochthone Weizen- oder Olivenarten.

Ihr Vorschlag für die Zukunft?

Ich glaube, es ist wichtig, lokale Marken zu schaffen, Produkte mit einer Herkunftsbezeichnung, für die ein gutes Marketing gemacht wird.

Wie lebte es sich früher auf der possessió früher?

Die Eigentümer waren Adelige oder Bourgois, die selbst nicht arbeiteten. Sie verpachteten an amos, die die Bewirtschaftung mit festangestelltem Personal, den missatges, betrieben. Auf einer possessió arbeiteten locker 15 bis 20 Angestellte, jeder mit einer speziellen Funktion, zum Beispiel für die Pferde, die Schafe oder den Gemüseanbau zuständig. Zu bestimmten Zeiten, wenn etwa die Oliven eingesammelt werden mussten, wurden Tagelöhner (jornalers) angeheuert. Das waren Kleinbauern, die selbst ein kleines Stück Land hatten, das ihnen aber nicht zum Leben ausreichte. Auch Kinder und Frauen halfen dann für niedrige Löhne aus.

War ganz Mallorca in possessions aufgeteilt?

Nicht ganz, aber einige wenige Eigentümer kontrollierten 60 bis 70 Prozent der Fläche.

Stimmen die Legenden, dass manche Knechte und Mägde nie aus ihrer possessió herauskamen und nie das Meer oder Palma sahen?

Für den ein oder anderen mag das zugetroffen haben. Aber grundsätzlich gab es keine Freiheitsberaubung oder körperliche Züchtigung, wie das manche Filme glauben machen wollen. Am Sonntag konnten die Knechte ihre Familien sehen. Freilich war die Sozialstruktur sehr pyramindenförmig und patriarchalisch aufgebaut. Jeder hatte seinen Status. Der senyor lebte im oberen Bereich des Hauses, der amo hatte seinen Bereich, die missatges einen anderen. Bis zum 16. oder sogar 17. Jahrhundert gab es aber auch Sklaven auf den possessions. Das waren zum Beispiel Menschen aus der Türkei oder Algerien, die bei Piraten-Angriffen gefangen wurden. Man konnte genauso einen Sklaven wie ein Pferd kaufen, zum ungefähr gleichen Preis. Es gab auch Kinder von Eigentümern und Sklavinnen.

Wie beurteilen Sie den Stand der Forschung?

Die Geschichte vor allem bis Ende des 19. Jahrhunderts ist relativ gut erforscht. Ich glaube, wir müssen jetzt mehr den Niedergang der possessions und den Übergang zum Tourismus erforschen, als viele Eigentümer keine Pächter und kein Personal mehr fanden.

Was wurde beim Beginn des Massentourismus aus den Mitarbeitern der possessions?

Es ist immer von einem harten Einschnitt die Rede, aber es dürfte eher ein Übergang gewesen sein. Kenntnisse aus der landwirtschaftlichen Vergangenheit waren wiederverwertbar. Viele amos wurden etwa wegen ihrer Fähigkeiten und Erfahrungen als erste Organisatoren oder Personalchefs von Hotels angestellt. Auch mein Großvater, der immer auf dem Land gearbeitet hat und gut angesehen war, wurde von den ersten senyors, die an der Küste Hotels bauten, angestellt. Meine Tante, die madona auf einer possessió war, wurde Gouvernante.

Welche weiteren Parallelen gab es zwischen der Welt der possessions und der Tourismuswirtschaft?

Man weiß, dass früher die Eigentümer der possessions, die für politische Ämter kandidierten, ihre amos beauftragten, Stimmen bei den jornalers für sie zu sammeln. Im Gegenzug bekamen sie Arbeit. Ich selbst bin aus der touristischen Gemeinde Son Servera und kenne dort viele Kellnerinnen, die im Hotel arbeiten. Ich weiß von ihnen, dass auch sie vor Wahlen zusammengeholt wurden, um ihre Stimmen zu erbitten. Eine weitere Parallele liegt in der Saisonabhängigkeit: Wie die jornalers zeitweise auf den possessions arbeiteten, werden heute Hotelangestellte nach Bedarf rekrutiert. Manche von ihnen kümmern sich übrigens den Rest des Jahres um ihr kleines Stück Land.

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