Wenn Spanien sich einmal durchgerungen hat, eine EU-Vorgabe umzusetzen, dann muss es meist schnell gehen: Am 5. April 2013 ist das königliche Dekret, wonach nicht mehr nur für Neubauten, sondern auch für bestehende Immobilien auf Mallorca und im Rest Spaniens ein Zertifikat über die Energieeffizienz des Gebäudes ausgestellt werden muss, verabschiedet worden. Und bereits ab 1. Juni sind alle Eigentümer verpflichtet, im Falle eines Verkaufs oder einer Vermietung einen Energieausweis bereitzuhalten. Soweit zumindest die Theorie.

In der Praxis herrscht angesichts der kurzen Vorlaufzeit von nicht einmal zwei Monaten jedoch vor allem Verwirrung. Denn laut Gesetzes­text ist das Zertifikat nicht erst bei der Unterzeichnung des Kauf- oder Mietvertrags vorzulegen. Stattdessen muss die Energie­effizienzklasse bereits bei der Bewerbung der Immobilie angegeben werden.

Bei rund 1.700 Objekten, die etwa Immobilienunternehmer Lutz Minkner derzeit im Angebot hat, reicht die Zeit somit unmöglich aus, alle Gebäude bewerten zu lassen. Zumal der Energieausweis vom Eigentümer und nicht vom Makler beantragt werden muss. Bisher hätten das gerade einmal 200 bis 250 seiner Kunden getan, berichtet Minkner. „Viele nehmen das Ganze noch nicht richtig ernst oder sind verärgert, dass wir so drängeln."

Zusammen mit den Immobilien­firmen Engel & Völkers und First Mallorca habe man sich daher darauf verständigt, in jeder Bildanzeige eine Energietabelle abzudrucken, und falls es noch kein Zertifikat gibt, einen Vermerk anzufügen. Völlig unklar sei hingegen, wie bei kleinen Wortanzeigen zu verfahren ist. Denn theoretisch müsste auch dort die gesamte Tabelle abgedruckt werden. Die Regelung empört Minkner: „Ich lasse es mir nicht bieten, meine Objekte nicht mehr zu bewerben."

Manfred Biedermann, Geschäftsführer der Immobilienkette Porta Mallorquina, will sich notariell bestätigen lassen, welche Objekte bereits vor dem 1. Juni im Online-Portal der Firma eingestellt waren, um Bußgelder zu ver­meiden. „Bei neuen Angeboten weisen wir die Verkäufer darauf hin, dass sie schnellstmöglich einen Energieausweis vorlegen müssen." Denn Strafen drohten nicht dem Käufer, sondern dem Verkäufer.

Nach Auskunft des Industrieministeriums in Madrid, bei dem der spanienweite Maklerverband Expertos Inmobiliarios nachgefragt hat, drohen bei Zuwiderhandlungen allerdings zunächst gar keine Bußgelder. Dazu bedürfe es eines speziellen, gesetzlich festgelegten Bußgeldkatalogs, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. Dieser soll aber erst Mitte September verabschiedet werden.

Oliver Girharz, Geschäftsführer des Ingenieur- und Sachverständigen­büros Matrol, geht indes von einer Übergangsfrist bis mindestens 13. Juli aus. Bis dahin haben die spanischen Regionen Zeit, ein Register anzu­legen, in dem alle Energiezertifikate gespeichert werden. „Davor soll es keine Strafen geben, heißt es. Aber genau weiß das keiner." Fest stehe dagegen, dass ein Zertifikat nur gültig sei, wenn es auch in diesem noch zu schaffenden Register vermerkt sei.

Auf die Wirksamkeit von Kaufverträgen wird das Fehlen des Energieausweises keine Auswirkungen haben. Dies konnte Notar Raimundo Fortuñy aus Palmanova, der eigens im Ministerium in Madrid vorstellig wurde, in Erfahrung bringen. Die Notare sollten jedoch in die Urkunde einen Hinweis aufnehmen, dass der Käufer auf die Vorlage des Zertifikats verzichtet hat. Die Behörden könnten dann prüfen, ob gegen den Verkäufer ein Bußgeldverfahren einzuleiten ist.

Wann und wo das Zertifikat im Falle einer Vermietung vorgelegt werden muss, ist unklar. „Wo kein Kläger, dort kein Richter", sagt Biedermann. Denn anders als bei Verkäufen, wo die Registereinträge abgefragt werden können, hätte der Staat vor allem bei Privatvermietungen kaum Kontrollmöglich­keiten. „Es sei denn, ein Mieter zeigt seinen Vermieter an."

Neben all diesen Ungereimt­heiten, die die fristgerechte Umsetzung der EU-Richtlinie in Frage stellen, zweifelt Rechtsanwalt Armin Reichmann aus Palma vor allem den Sinn des neuen Gesetzes an. „Das Zertifikat ist nicht aussage­kräftig und wird nicht zu einer besseren Information der Verbraucher führen." Denn anders als bei Kühlschrank oder Waschmaschine sei der Energieverbrauch eines Hauses wesentlich schwieriger zu definieren, da er von vielen Faktoren und individuellen Gewohnheiten abhänge.

Girharz verweist zudem da­rauf, dass eine schlechte Energie­effizienz­klasse den Eigentümer in Spanien nicht zum Sanieren verpflichte. Gezwungen werden könne zwar auch in Deutschland niemand. Doch dort schreibe die Energiesparverordnung vor, dass im Falle einer Sanierung das gesamte Gebäude überholt werden muss. „Hier dagegen kann man einzelne Fenster austauschen, das ist aber zu kurzsichtig gedacht." Wie viel Wärme etwa durch undichte Stellen entweicht, werde obendrein nicht im Energieausweis erfasst, da das Gesetz die Messung dieser Daten anders als in Deutschland nicht vorschreibt.

Freuen wird das neue Gesetz somit weniger die Umwelt, als die Architekten, die neben Ingenieuren Energiezertifikate ausstellen dürfen - was laut Bernat Catalá rund eine Woche dauert. „Wir nehmen jede Arbeit mit offenen Armen an", sagt der Vorsitzende der Architektenkammer auf Mallorca. Noch lieber, wäre es ihm allerdings, das Gesetz würde tatsächlich zu energetischen Sanierungsmaßnahmen führen. Denn davon würden nicht nur er und seine Kollegen als Planer profitieren, sondern auch die Bewohner, die langfristig Kosten sparen.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 30. Mai (Nummer 682) lesen Sie außerdem:

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