Immer wieder erzählten ihr Nachbarn und Bekannte, dass die Weihnachtspost aus Deutschland wohl verloren gegangen sei. Oder dass die Geburtstagskarte für die Tochter so lange auf sich warten lässt. „Auch all die Briefe, die unsere Oma an meinen Sohn schickte, teils mit Geldscheinen drin, damit er sich selbst ein Geschenk kaufen kann, haben wir nie bekommen", erzählt Helga G. aus Costa d´en Blanes in der Gemeinde Calvià. Inzwischen weiß die deutsche Residentin, dass nicht die Schlamperei der spanischen Post schuld daran war - sondern ein Briefträger, der offensichtlich eine Vorliebe für handgeschriebene Briefumschläge hatte, in denen er nicht nur Glückwunschkarten, sondern vor allem Geldgeschenke vermutete.

Auf die Schliche gekommen ist dem Mann Mitte 30 vor rund zwei Monaten Helgas Nachbarin Anne. Sie beobachtete den Postboten eines Morgens dabei, wie er in der Carrer Sant Eduard einen ganzen Stapel auseinandergerissener Briefe in zwei blauen Papiermülltonnen entsorgte - die eine Hälfte in den einen, die andere in den anderen Container. Die beiden Frauen wurden stutzig und holten Helgas elfjährigen Sohn zur

Verstärkung. „Den ließen wir in die Tonne klettern, wir selbst sind ja nicht mehr so gelenkig."

Und siehe da: Darin fand sich jede Menge persönliche Post, deren Fetzen die beiden Deutschen in mühevoller Kleinarbeit mit Tesafilm wieder zusammenklebten. Zum Vorschein kamen seitenlange Briefe, Grußkarten zum Geburtstag, zur Trauung, aber auch Beileids­bekundungen - wobei es sich bei den Adressaten nicht nur um Nachbarn aus Costa d´en Blanes, sondern auch um Anwohner aus Sant Agustí, Bendinat, Magaluf, Palmanova, ja bis nach Santa Ponça und Costa de la Calma handelte. „Das muss das ganze Gebiet sein, für das dieser Briefträger zuständig war", vermutet Helga G. Auffällig war zudem, dass sich auf den Umschlägen ausschließlich deutsche, englische und andere ausländische Namen fanden.

Zwei Wochen lang legten sich die Frauen daraufhin auf die Lauer, beobachteten den Mann beim ­Entsorgen der zerrissenen Briefe, die sie anschließend wieder aus den Tonnen fischten. Zudem schossen sie jede Menge Beweisfotos - die sie dann zusammen mit der gesammelten Post der Polizei übergaben. Bei der Guardia Civil in Palmanova erstatteten sie schließlich Anzeige. „Das ist doch eine Ungeheuerlichkeit", schimpft Helga G. Doch die Beamten sahen es erst einmal gelassen. Zwei Wochen lang, in denen Helga G. und ihre Nachbarin weiter zusehen konnten, wie der Briefträger immer wieder Post in die Container warf - die sie umgehend wieder herausholten -, passierte nichts. Da wurde es den beiden zu bunt und sie wandten sich an Angela Guerrero, für Ausländerangelegenheiten zuständige Gemeinderätin in Calvià.

Die informierte die Ortspolizei und auch den Bürgermeister, der offenbar seine Kontakte zur ­Guardia Civil spielen ließ. Tags drauf sei der Postbote vom Dienst suspendiert worden, heißt es bei der Guardia Civil in Palmanova. Mehr könne man zu dem Fall derzeit nicht sagen.

An den blauen Tonnen immerhin haben ihn Helga G. und ihre Nachbarin seitdem nicht mehr gesichtet. Vielleicht hat der Spuk um die verschwundenen Briefe nun endlich ein Ende, hoffen sie. Zufrieden geben will sich die Deutsche allerdings dennoch nicht. „Ich möchte, dass die Leute ihre Post bekommen." Wenn auch reichlich verspätet und vor allem zerrissen. Sie hätten schließlich nicht umsonst alles aus dem Müll gefischt und an die Polizei übergeben. Nach Auskunft der Guardia Civil in Palmanova sind die Briefe dort nach wie vor gelagert. Wer meint, er könnte einer der Empfänger gewesen sein, kann sich dort unter der Telefonnummer 971-69 37 83 melden. Sinnvoll sei es zudem, rät ein Beamter, ebenfalls Anzeige zu erstatten, falls man glaubt, Postsendungen nicht erhalten zu haben.

Im E-Paper sowie in der Printausgabe vom 21. November (Nummer 707) lesen Sie außerdem:

- "Hier fehlt der Weitblick": Gabriel Sampol im Interview

- Ohne Casino kein Hotel in Arenal

- Teuer, parteiisch, kaum Zuschauer: Inselsender IB3 in der Schusslinie

- Insel-Mieten weiter im Sinkflug

- Schuldspruch für Frauenmörder