Den Namen Sóller werden Samuel Friedrich (20) und Lucas Sautter (23) in ihrem Leben nicht mehr vergessen. Die beiden Zimmermannsgesellen sind seit eineinhalb Jahren auf der Walz und haben schon halb Europa bereist. Sie sind durch Lettland, Estland und Litauen getrampt, haben in Riga mit Erlaubnis der Polizei unter Brücken geschlafen und in Münster ohne Erlaubnis im Keller eines Mehrfami­lien­hauses. Und stets konnten sie ihren Weg mit ihrem Bündel und ihrem Stock, Stenzl genannt, am nächsten Tag fortsetzen. Bis sie nach Sóller kamen.

Anlass für den Insel­besuch war die Großmutter von Samuel Friedrich, Gerda Buchberger. Sie lebt auf einer Finca bei Santanyí. Nach einem Besuch bei ihr wollten die beiden ein wenig in der Serra de Tramuntana wandern. Sóller bot sich als Ausgangspunkt an. Weil es aber gleich am ersten Tag, Dienstag vergangener Woche, wie aus Kübeln goss, blieben sie zunächst im Ort. Auf einem öffentlichen Parkplatz bezogen sie ihr Nacht­lager.

Nach kurzer Zeit kam ein Polizist in Zivil vorbei und machte ihnen klar, dass sie dort nicht bleiben könnten. Außerdem müsse er die beiden Stenzl vorläufig konfiszieren, da sie als Waffe dienen könnten. Die beiden Zimmermänner händigten dem Beamten ihre Stöcke aus - die Kommunikation auf Englisch war einigermaßen schwierig - und glaubten, die Stenzl am nächsten Tag auf der Wache wieder abholen zu können.

Doch tags drauf wusste niemand in der Polizeistation von den Stöcken, der eine aus Haselnuss, der andere aus Eiche. Der Kollege habe sie wohl irgendwo in den Müll geworfen, hieß es. Die beiden jungen Männer trauten ihren Ohren nicht. „Die Stenzl sind für uns wie ­Reisegefährten. Sie sind ­einmalig und wir haben sie per Hand bearbeitet", sagt Lucas Sautter.

Die beiden blieben zunächst in Sóller, fanden Unterschlupf bei einer netten Familie und schauten in regelmäßigen Abständen bei der Polizei vorbei. Die Unterredungen dort verliefen stets in freundlicher Atmosphäre, aber ergebnislos.

So konnte der nächste Schritt nur lauten: Anzeige gegen den Polizisten bei der Guardia Civil stellen. Bezeichnenderweise wusste man auf der Wache sofort, welcher Beamte gemeint war - wohl ein gewisser Ramón.

Weil Friedrich und Sautter - inzwischen wieder bei Gerda Buchberger in Santanyí - nicht tatenlos herumsitzen wollten, druckten sie noch einen Fahndungsaufruf aus. 1.000 Euro gibt es für den, der ihnen die beiden Stenzl wiederbringt. Die Großmutter schaltete zudem die MZ ein. Am Montag (27.1.) fuhren die beiden Zimmermänner gemeinsam mit dem MZ-Redakteur noch einmal nach Sóller. Die meisten sollerics kennen die sonderbar gekleideten Deutschen längst. Ausnahmslos in jeder Cafeteria, in jeder Bar, in jedem Geschäft und sogar bei der Policía Local durften die beiden ihr Plakat aufhängen. Alle wünschten Glück bei der Suche nach dem Stock und viele nutzten die Gunst der Stunde, um über die örtliche Polizei zu lästern.

Schnell wurde klar, dass Ramón ein stadtbekannter Unsympath ist. Das geht so weit, dass selbst seine Kollegen mächtig gegen ihn vom Leder ziehen. „Das ist ein richtiger Idiot. Wenn der auf der Straße überfallen würde, dann würden wir wegschauen", erklärte mit einem nicht enden wollenden Redeschwall der dienst­habende Beamte. Ein zweiter nickte bekräftigend. „Beschwert euch über den, wo immer Ihr nur könnt, je weiter oben, desto besser."

Nachdem auch noch eine Such­anzeige in Sóllers Wochenzeitung „La Veu" aufgegeben war, begab man sich wieder auf den Heimweg nach Santanyí. Sollten ihre Stenzl nicht auftauchen, wollen die beiden Anfang nächsten Jahres wieder nach Sóller kommen. Dann allerdings mit 36 weiteren Wander­gesellen, die mit ihnen in einer Gruppe organisiert sind. „Und viele von denen sind nicht so friedlich wie wir."