Die Speisekarten sind Schallplatten nachempfunden, deren Cover Bob Marley oder die Rolling Stones zieren. Das Mobiliar stammt größtenteils vom Sperrmüll, wurde aber liebevoll restauriert und bemalt. Und auf der Toilette wäscht man sich in ausrangierten Bierfässern die Hände. An das Restaurant „Mar y Paz" in Can Picafort ist eine Strandbar samt Pool angeschlossen, und Wirt Toni hat sich so einiges einfallen lassen, um den Gästen „mal etwas anderes" zu bieten. Denn ein bisschen Veränderung könne dem in die Jahre gekommenen Urlaubsort nicht schaden, davon ist der Mallorquiner überzeugt.

Tun müsste sich seiner Ansicht nach vor allem an der Strand­promenade etwas und rund um die Fußgängerzone Carrer Josep Trias, wo sich Restaurants, Bars und Souvenirläden aneinander­reihen. „Die Gegend hat wahnsinnig viel Potenzial, da laufen zur Hoch­saison täglich 5.000 Menschen vorbei, aber es gibt überall das gleiche Essen, und die Händler verkaufen immer noch Flamenco-Kleidchen." Und die wenigen Läden, die etwas geschmackvollere oder ausgefallenere Artikel böten, gingen angesichts der üppigen Auslagen voller Luftmatratzen, Sonnenbrillen und Billig-Shirts aus Fernost vollkommen unter.

Dass Can Picafort dringend frischen Wind braucht und sich besser vermarkten muss, ist auch das Ergebnis einer Studie, die die zuständige Gemeinde Santa Margalida vor rund einem Jahr in Auftrag gegeben hat. Eine Unternehmensberatung befragte daraufhin Dutzende ortsansässige Hoteliers, Gastronomen und Geschäftstreibende und lud diese zu Tagungen und Gesprächsrunden ein. Wirt Toni war nicht dabei, doch die ernüchternden Ergebnisse, die in ein am Montag (6.7.) im Rathaus vorgestelltes Strategie­papier mündeten, verwundern ihn kaum. „Um den Tourismus hier ist es nicht gut bestellt."

Auch Eugenio Garrido, der für Tourismus zuständige Gemeinderat der Regionalpartei Convergència-Pi, dessen Büro keine 200 Meter Luftlinie weiter im Bürgerbüro von Can Picafort liegt, wirkt nicht wirklich überrascht. „Wir haben hier dieselben Probleme wie die Playa de Palma oder Magaluf", gibt er unumwunden zu. Es gebe zwar keine nächtlichen Ausschreitungen und Alkoholexzesse (das Gros der Urlauber bilden schließlich Familien und Paare), aber jede Menge andere Baustellen. Anlass zur Sorge bereitet ihm etwa, dass die Saison, wenngleich sie sich inzwischen auf acht oder gar neun Monate ausgedehnt habe, immer noch zu kurz sei.

Und sonst? Garrido, der neben seinem politischen Amt ein Touristenlokal an der Strandpromenade betreibt, gerät ins Stocken. Er habe das mehrere hundert Seiten umfassende Dokument erst vergangene Woche auf den Tisch bekommen und noch gar nicht vollständig lesen können, entschuldigt er sich. Doch die Verfasser des Strategiepapiers geizen zum Glück nicht mit Kritik: Minuspunkte gibt es unter anderem dafür, dass das Publikum in Can Picafort sehr einseitig ist und zu 98,5 Prozent aus Deutschen und Briten besteht. Dass der Ort, anders als das benachbarte Alcúdia oder die angrenzende Playa de Muro, kaum in Werbebroschüren und einschlägigen Internetportalen auftaucht. Oder dass die von den Reisever­anstaltern organisierten Ausflüge nie nach Can Picafort führen. Zudem würden weder der Radtourismus, der im Nordosten Mallorcas insbesondere während der Neben­saison eine große Rolle spielt, noch Wassersportarten aller Art zufriedenstellend beworben.

Dabei schlummere im Sport­tourismus ebenso viel Potenzial wie beispielsweise in Seniorenreisen, so eine der Erkenntnisse aus der Studie. Handlungsbedarf sehen die Experten neben dem Marketing auch bei der touristischen Infrastruktur und beim Erscheinungsbild des Ortes. Viele der Befragten wünschten sich zudem bessere Sportanlagen oder mehr verkehrsberuhigte Bereiche, heißt es.

Was also tun? Garrido überlegt wieder eine Weile. „Wir werden jetzt nicht überstürzt anfangen, Fußgängerzonen zu bauen", stellt er klar. Statt Aktionismus brauche es ein mittelfristig angelegtes Konzept, dem die Frage zugrunde liegt: Welches Can Picafort wollen wir in den kommenden 15 oder 20 Jahren haben? „Und daran müssen wir dann arbeiten."

Ein Anfang immerhin sei bereits gemacht. Als positives Beispiel erwähnt Garrido ein ganz in der Nähe liegendes Grundstück, das vor Kurzem als Nordic-Walking-Park ausgewiesen wurde. Auch viele Hoteliers hätten bereits ihre Hausaufgaben gemacht und ihre Häuser umfassend renoviert. Von den 13.000 Gästebetten, über die Can Picafort verfügt, zählten inzwischen 89 Prozent zu den Kategorien 3 oder 4 Sterne - wobei vor allem in den vergangenen Jahren viele Hotels ihr Angebot verbessert und so einen Stern hinzugewonnen haben.

Vollkommen unausgeschöpft sei bisher dagegen das Potenzial der an Can Picafort angrenzenden Finca Son Real, die im Jahr 2002 von der damaligen Balearen-Regierung für knapp zwölf Millionen Euro erworben wurde. „Übrigens mit Einnahmen aus der Ecotasa, die es unter Mitte-Links schon einmal gab", betont Garrido. In den vergangenen vier Jahren, in denen die PP regierte, sei das Areal allerdings grob vernachlässigt worden. Das Museum, in dem Inselgeschichte und Landwirtschaft samt typischer Produkte und Schafschur-Vorführungen beleuchtet wurden, sei die meiste Zeit des Jahres geschlossen. Besuche für Schulklassen oder Touristen, die meist mit Wanderungen oder Radtouren verbunden waren, gebe es längst nicht mehr. „Wir wurden eben als linksregierte Gemeinde von den Konservativen abgestraft", lautet Garridos Erklärung für das Debakel um Son Real. Inzwischen hat sich seine Partei, Convergència, die PP sogar als Koalitionspartner ausgesucht, nachdem mit den Linken keine Einigung möglich war. Ein Happy End für die öffentliche Finca hält Garrido dennoch für möglich: „Die neue Links-Regierung auf Balearenebene macht hoffentlich etwas Sinnvolles damit."

Von der Promenade von Can Picafort, die in diesen Tagen aus allen Nähten platzt, scheinen die Sorgen des Tourismusverantwortlichen weit entfernt. Am Strand brutzeln und dösen Heerscharen von Urlaubern, auch die Terrassen der Restaurants sind gut besetzt. „Wir lieben diesen Ort", versichert eine Touristin aus England, die mit ihrem Gatten in einer der Bars vor einem Glas Bier sitzt. Weder das gastronomische Angebot noch die Einkaufsmöglichkeiten ließen zu wünschen übrig. „Nur die Gehsteige sind teilweise in sehr schlechtem Zustand." Das falle aber möglicherweise nur ihr negativ auf, da ihr Mann - der zustimmend nickt - gehbehindert sei.

Auch Gerhardt Hoffmann und seine aus Spanien stammende Frau Beatriz, die mit einem befreundeten Paar im Restaurant Hawaii zu Mittag essen, fühlen sich rundum wohl in Can Picafort. Die Promenade zähle zu den schönsten der Insel, und am Abend sei immer was los - „aber nicht zu viel". Nur tagsüber könne der Ferienort ein bisschen mehr Action vertragen, findet der Deutsche. „So etwas wie Jetski oder Banana-Boat gibt es hier leider gar nicht." Und eigentlich fehle ein richtig ursprüngliches, spanisches Restaurant, fällt Beatriz nach einigem Nachdenken ein. „Denn Leberkäs´ und Kartoffelsalat bekomm´ ich ja auch zu Hause."

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