Dídac Martorell spricht kein Deutsch, „Scheiß drauf" kommt aber trotzdem akzentfrei über seine Lippen. Die Gröhlhits von der Playa de Palma bekommt der 22-jährige Anwohner täglich zu hören, „egal ob morgens oder abends, egal ob die Leute betrunken sind oder nicht". Und wenn er die Gruppen junger Männer anspreche („Shut up, I live here"), werde er nur ausgelacht. Die Urlauber könnten sich offenbar nicht vorstellen, dass hier auch jemand wohne.

Der Mallorquiner, der sich in der Bürgerinitiative Collectiu Es Tallant für die Geschichte und Kultur in Arenal einsetzt, ist einer von mehr als 30.000 Anwohnern, die sich die Playa de Palma in Spitzenzeiten mit ebenso vielen Urlaubern in insgesamt 116 Hotels teilen - und alle Exzesse hautnah miter­leben. Diese sind nicht nur ein Ärgernis für alle Residenten, die nachts schlafen wollen, statt zu feiern. Die sich verschärfenden Konflikte zeigen auch, worum es bei der jetzt wieder aufgekommenen Debatte über die Grenzen des Massentourismus auf Mallorca geht.

Martorell wohnt im Viertel Les Maravilles, einer einstigen Urbanisation für Sommerfrischler aus Palma. Ab den 70er Jahren wurden hier Hotels hochgezogen. Die touristische Infrastruktur hat nach und nach alles vereinnahmt. Statt Supermärkten gibt es hier nur Souvenir­läden mit Erfrischungsgetränken, die Strandtücher mit nackten Frauen vor die Tür hängen, und statt Eckkneipen nur Touristencafés, deren Wirte kein oder wenig Spanisch sprechen, geschweige denn Mallorquinisch. Und auf den Balkons nebenan sieht man keine Landsleute Siesta halten, sondern auch mal nackte Deutsche, die mit einem Griff in den Schritt Passantinnen imponieren wollen. Mal fallen Handtücher auf den Stromleitungen ins Auge, mal Klopapier auf dem Gehsteig, nicht zu reden von den täglich auf den Mauern abgestellten Bierdosen.

Es ist ein Albtraum", sagt Joana Femenías. Die 77-Jährige ist Vorsitzende der Anwohnervereinigung in Les Maravilles und hat den Sittenverfall in der Gegend über Jahrzehnte beobachtet. „Früher war das hier wie Es Trenc, nur 20-mal schöner", sagt sie. Heute muss sie hin und wieder Betrunkene wecken, die sich auf ihre Terrasse verirrt haben. Dass sich die Zustände eines Tages bessern, daran mag sie nach den vielen vollmundigen Versprechen der wechselnden Politiker über mehr Kontrollen und die Modernisierung der Urlauberhochburg nicht mehr glauben.

Im Kampf gegen die Exzesse stehe man oft alleine da, meint Martorell - viele Anwohner oder deren Freunde und Bekannte arbeiteten schließlich selbst in der Tourismusbranche und scheuten die Konfrontation mit den Hoteliers. Andere Anwohner dagegen nahmen die Sache auch schon mal selbst in die Hand: So wurden im Juni zwei deutsche Urlauber mit dem Luftgewehr angegriffen, als sie offenbar gerade an eine Hauswand pinkelten.

Auch die 2014 von der konservativen Vorgängerregierung beschlossene Verordnung für ziviles Miteinander mit ihren viel­diskutierten Benimmregeln für die Urlauber hat nach Ansicht vieler Anwohner nichts gebracht. Jetzt steht das Regelwerk ohnehin wieder auf dem Prüfstand. Einerseits soll die umstrittene Verordnung für ziviles Miteinander Ende des Jahres abgeschafft werden - der neuen Linksregierung gilt das Regelwerk als Bevormundung der Bürger, beispielsweise Straßenkünstlern werde das Leben schwer gemacht. Anderer­seits sollen aber die Benimmregeln für Urlauber weiterhin gelten. Ob das mit einem neuen Regelwerk oder bestehenden Verordnungen passiert, ist unklar.

Auf jeden Fall müssen mehr Polizisten her. Um der Lage Herr zu werden, sollten Beamte paarweise und zu Fuß kontrollieren, erklärt Llorenç Carrió, für den Bezirk der Playa de Palma zuständiger Stadtrat. Man wolle informieren und abschrecken - und erst dann Knöllchen verteilen, wenn sonst nichts helfe. Angesichts der großen Zahl von Urlaubern sei die Zahl der Zwischenfälle jedoch gering, so der Stadtrat von der linksökologischen Partei Més per Mallorca gegenüber der MZ - wirkliche Problemzonen gebe es eigentlich nur drei. Benennen will Carrió diese aber lieber nicht, der Tourismus sei schließlich ein sensibles Thema.

Vor allem, wenn die Äußerungen in den deutschen Boulevardmedien landen. Die Worte des neuen balearischen Tourismusministers Biel Barceló, die Insel sei hinsichtlich der Touristenzahlen am Limit, mündeten in Schlagzeilen über einen angeblichen Touristenstopp. In Verbindung mit der geplanten Touristen­steuer lässt sich so leicht das Bild des nicht willkommenen Urlaubers zeichnen.

Das eigentliche Problem sieht Stadtrat Carrió im ­Tourismusmodell, das Billig-Angeboten und massivem Alkoholkonsum Vorschub leiste. Abhilfe verspreche die geplante Reglementierung der All-inclusive Angebote. „Das Problem ist nicht die Zahl, sondern die Art der Urlauber", meint auch Anwohner-Sprecherin Femenías. Früher waren das vor allem Pärchen und Familien, heute vor allem Sauftouristen. „Es tut mir richtig leid zu sehen, wie sich heute die jungen Leute besinnungslos betrinken."

Zu sehen bekommt dies Natalia Docolomansky täglich. Die 35-Jährige wohnt mit ihrem Mann und zwei Töchtern gegenüber von Apartments in Arenal, auf deren Terrassen die Urlauber feiern und alle Hemmungen fallen lassen. Auf dem Schulweg stolpere man über Alkoholleichen und Erbrochenes. Junge Frauen würden sexuell belästigt - einmal ließen zwei junge Männer vor den Augen ihrer Familie die Hose herunter und deuten an, zu masturbieren.

Wenn sie die Polizei rufe, bekomme sie meist zu hören, dass die Kollegen gerade an der Promenade im Einsatz seien. Und mit den Benimmregeln habe sich die Lage sogar verschlimmert, meint Docolomansky - angesichts der Patrouillen am Boulevard seien die Urlauber mit ihren Saufgelagen erst recht in die Wohngegend ausgewichen.

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