Hätte jemand am Vormittag des 6. September mit seinem Handy im Gebiet von sa Canova in der Gemeinde Petra bereit gestanden, ihm wären spektakuläre Aufnahmen gelungen: Geschätzte 2.500 Tonnen Gestein donnerten den Abhang hinunter, als die Cova Llarga einstürzte. Von der einst 70 Meter langen Höhle, von der man einen weiten Blick über das Tal mit seinem Sturzbach inlusive Sonnenuntergang hatte, ist praktisch nichts übrig geblieben.

„Die nächsten Anwohner dachten zunächst an ein Erdbeben", erzählt Jaume Andreu Galmés, ein in der Gemeinde wohnender Kunsthistoriker, der die Höhle von kleinauf kennt und auch mit seinen Kindern oft hier war. Mit festem Schuhwerk kraxelt er über die mannshohen Felsbrocken, einerseits traurig, dass die Cova Llarga nicht mehr existiert, andererseits fasziniert von den zahlreichen Fossilien, die an den Bruchstellen zu Tage getreten sind.

Zwischen den Felsen schauen Blätter der Orangenbäume hervor, die vor der Höhle wuchsen. Andere Bäume ragen mit dem Wurzeln nach oben, einige wurden mehrere Meter durch die Luft geschleudert und liegen jetzt unten jenseits einer Tränke, die die massiven Brocken nur um Zentimeter verfehlten. Es fließt allerdings kein Wasser mehr aus der unterirdischen Quelle nach.

Was ist passiert? Dass das sieben bis acht Millionen Jahre alte Gestein ausgerechnet jetzt herunterkam, hängt wohl mit den intensiven Regenfällen der Vortage zusammen - mehr als 100 Liter pro Quadratmeter. Die oberen Kalksteinschichten sind wasserdurchlässig - was überhaupt erst die Bildung der Höhle ermöglicht haben dürfte -, die unteren dagegen, noch einmal rund fünf Millionen Jahre älteren Schichten, sind es nicht. „Deswegen entstanden dazwischen jede Menge Grotten, Durchlässe und Quellen", erklärt Geologe Guillem Mas Gornals, der nach einer Ortsbegehung eine erste Studie angefertigt hat. Das eingedrungene Wasser dürfte so einen vertikalen Riss an der hinteren Höhlenwand verursacht haben.

Für den kundigen Blick geben die Felsbrocken nun einen Querschnitt durch die Erdgeschichte seit dem mittleren Miozän vor 13 bis 14 Millionen Jahren preis, als das Land lange Zeit unter Wasser lag und zum Teil tropisches Klima herrschte. Mas Gornals hat in dem unförmigen Steinhaufen fünf Sequenzen ausgemacht. Zuunterst liegt von Kalzitkristallen bedeckter, grünlich-gelber Kalkstein. Es folgt eine bis zu einem Meter dicke Schicht von feinkörnigem Kalkstein mit versteinerten mikroskopischen Lebewesen. Eine dritte, bis zu zwei Meter dicke Schicht beherbergt Korallenfragmente mit gut erhaltenen Mikrostrukturen, eine vierte, knapp einen Meter dicke Schicht hauptsächlich Muschelschalen, eine fünfte Schicht, die noch einmal bis zu vier Meter umfasst, schließlich weitere fossile Meerestiere wie Schnecken und Würmer.

Und man kann noch mehr daraus lesen: Da im Raum Vilafranca ganz ähnliche Gesteinsstrukturen entdeckt wurden, könne man von einem durchgehenden System von flachen Lagunen ausgehen, das sich von der Gegend um Campos im Süden Mallorcas bis nach Sa Marineta in der Gemeinde Alcúdia gezogen habe.

Eine historische Bedeutung der Höhle ist nicht nachgewiesen - auch wenn der Vater des inzwischen heilig gesprochenen Mönchs Junípero Serra (1713-1784) aus Petra aus dem Gebiet sa Canova stammen dürfte. Ab 1912 war die Höhle auch mal bewohnt, doch während der Epidemie der Spanischen Grippe 1918 wurde es der dortigen Familie zu feucht, und sie erhielt Unterschlupf im Heuschober eines benachbarten Gehöfts. Danach fand die Cova Llarga nur noch zur Haltung von Schweinen oder Hühnern Verwendung. Aber das ist auch schon Jahrzehnte her.

Viele Bewohner aus Petra haben sich das Desaster inzwischen aus der Nähe angeschaut. Bei den Gruppen von Mountainbikern, die auf einem Trekkingweg die Cova Llarga passieren, hat sich die Nachricht dagegen noch nicht herumgesprochen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als mit ihren Bikes über die Brocken zu kraxeln. Die Spur eines Motorrads vor den Felsen dagegen zeigt, dass ein Motorradfahrer wieder kehrtmachte.

Nach dem Einsturz der Cova Llarga macht man sich in Petra nun Gedanken um die weiteren Höhlen im Gemeindegebiet und blickt skeptisch auf so manchen Riss. Da wäre zum Beispiel die Cova des Voltor, die auch archäologisch von Interesse ist und unter Denkmalschutz steht. Sorgen machen dürfte sich womöglich auch der Bewohner einer nahen Finca, glaubt Galmés: „Die steht unter einer Felskante, die noch höher ist als die hier."