Inspektor Jorge Miguel Rodríguez nennt es das Phänomen der „heißen Finger". Jemand ärgert sich und lässt auf Facebook, Twitter und Co. seiner Wut oder auch seinem Hass auf jemanden freien Lauf. Doch entgegen dem Eindruck, dass in den sozialen Netzwerken so ziemlich alles erlaubt ist und straffrei bleibt, bescheren die Diffamierungen, Hetzkommentare und Hassparolen der Polizei immer mehr Arbeit - und den Verfassern Ärger mit der Justiz.

„Wir kriegen praktisch jeden", meint Miguel Rodríguez über die Anzeigen wegen Diffamierungen im Internet. Der Inspektor ist stellvertretender Leiter der Abteilung für Wirtschaftskriminalität und technologische Delikte bei der Nationalpolizei auf den Balearen. Und auch, wenn die Ermittlungen wegen Hassnachrichten nur einer von vielen Aufgabenbereichen seien - die Kollegen ermittelten etwa auch im Korruptionsfall Nóos - und die Abteilung mit elf Ermittlern auskommen muss, entkämen angezeigte Autoren selten einem Verfahren, meint Miguel Rodríguez.

Das liegt auch daran, dass viele sich erst gar nicht die Mühe geben, ihre Identität zu verschleiern. So etwa in zwei Fällen nach einem Unfall bei Sineu im September: Eine betrunkene französische Urlauberin hatte einen Polizisten totgefahren, der zusammen mit seinem Sohn auf dem Fahrrad unterwegs war. Unter einer Nachricht auf Facebook über die Tragödie war dann zu lesen: „Ich klicke ´Gefällt mir´, weil ich das gerne sehe, 1321". Wobei die Zahlenkombination für die Buchstaben ACAB steht, laut der Reihenfolge im Alphabet, und diese wiederum für den Satz „All cops are bastards". Ein anderer Facebook-Nutzer schrieb in einem Kommentar von einem Polizisten, der „aus dem Verkehr gezogen wurde".

Beide Kommentatoren wurden vorläufig festgenommen - einer kam unter Auflagen wieder frei, der zweite ist vorbestraft und sitzt ohnehin im Jugendstrafvollzug ein. Es sind gleich drei Delikte, die laut dem spanischen Strafgesetzbuch greifen: Beleidigung, Aufstachelung zum Hass gegen ein Kollektiv - dieser Begriff kann für Schwarze, Menschen mit Behinderung, Schwule oder eben Polizisten gleichermaßen angewandt werden - sowie strafverschärfend der immaterielle Schaden, der bei den Hinterbliebenen angerichtet wird. „Man muss sich vorstellen, wie solche Kommentare von der Witwe aufgenommen werden - sie ist schwanger", sagt Miguel Rodríguez.

Dass hier besonders hart durchgegriffen worden sei, weil es um Polizistenbeleidigung ging, bestreitet der Inspektor - andere Fälle von Diffamierungen im Internet würden nun einmal weniger in den Medien bekannt. Das Vorgehen sei jedoch stets dasselbe: Sobald eine Anzeige vorliegt, werden die Veröffentlichungen als Beweis gesichert, anschließend beginnt ein Abgleich von digitaler und physischer

­Identität. Auf die Hilfe der Netzwerkbetreiber könne man dabei nur bedingt zählen. „Wenn es um Kinderpornografie oder Terrorismus geht, reagiert Facebook sofort", meint Miguel Rodríguez. Bei Diffamierungen dagegen bekomme man meist eine Standardantwort mit Verweis auf ein nötiges Verfahren zur Amtshilfe mit den USA. „So etwas kann ein Jahr dauern, und danach liegen die Informationen nicht mehr vor."

Aber zum Glück komme man den Autoren der Hassbotschaften auch so auf die Spur. Auch wer sich eine falsche Identität zulege und nur über das öffentliche WLAN ins Internet einwähle, begehe irgendwann einen Fehler. Allerdings seien die Ermittlungen dann oft langwierig, man brauche schließlich belastbare Beweise. Wichtig sei, die Anzeige in dem Land zu stellen, in dem der Autor der Schmähungen vermutet werde. Die verwendete Sprache dagegen sei zweitrangig, es gibt schließlich Übersetzer.

Sind die Autoren dann gestellt, setzt bei ihnen meist die Reue ein - man habe es schließlich nicht so gemeint. Einige argumentierten auch, dass das Profil, mit dem die Diffamierungen veröffentlicht wurden, gar nicht ihnen gehöre. Doch wenn diese angebliche Usurpation nicht angezeigt wurde, hilft das Argument wenig.

Bislang nehmen die zur Anzeige gebrachten Online-Diffamierungen noch einen kleinen Teil der insgesamt 6.500 bearbeiteten Delikte ein, die die Abteilung in den ersten zehn Monaten dieses Jahres bearbeitete. Doch die Zahl der Verfahren nehme stetig zu, stellt Miguel Rodríguez fest, besonders häufig stellten Politiker Anzeige.

Noch mehr Arbeit käme auf die Fahnder zu, falls die in Spanien regierende Volkspartei (PP) eine geplante Gesetzesänderung tatsächlich auf den Weg bringt. So stoßen den Politikern die memes sauer auf, Karikaturen, die sich in den sozialen Netzwerken viral verbreiten. Mit einer Neudefinition der Schmähungen will die PP wirkungsvoller gegen beleidigende memes vorgehen. Miguel Rodríguez: „Wenn das wirklich kommt, dann müssten wir Autoren reihenweise festnehmen."