Demontiert ausgerechnet die Linksregierung den Schutz des Welterbes Serra de Tramuntana? 97 Prozent des sich 90 Kilometer an Mallorcas Westküste entlangstreckenden Gebirges sind dem Menschen mehr oder weniger zugänglich. Drei Prozent aber sind als sogenannte zonas de exclusión streng geschützt. Oder waren es bis vergangenen August. Um die Aufweichung dieses Schutzes ist nun Streit entbrannt.

Daran beteiligt sind Umweltschützer wie die Fundación Vida Silvestre Mediterránea (FVSM), der der jüngst verstorbene Juan José Sánchez vorstand; die rund 50 Wandervereine, die sich für die Zugänglichkeit öffentlicher Wege auf Privatgrund einsetzen; dazu Grundbesitzer und die Umweltkommission in der Landesregierung. Die ist dafür zuständig, menschliche Nutzung und Erhalt von Naturräumen und -ressourcen zu reglementieren und gegeneinander aufzuwiegen.

Als Grundlage dient in der Tramuntana ein Regelwerk namens Pla d´Ordenació dels Recursos Naturals (PORN). Es trat 2007 in Kraft, als der 63.000 Hektar große Landstrich zur schützenswerten Naturlandschaft erklärt wurde, und teilt die Bergkette in vier Zonen mit unterschiedlichem Schutzstatus ein (siehe Karte). 2011 kam dann der Status des Unesco-Welterbes dazu.

Laut einer am 20. August im Amtsblatt BOIB veröffentlichten Gesetzesänderung soll der Zugang zu den Schutzzonen nun zumindest vorübergehend erleichtert werden. Bis auf Weiteres sollen neben Forschern und Umweltschützern auch Wanderer durch Brutreviere marschieren dürfen, Erlaubnis vom Umweltamt vorausgesetzt. Ein daraufhin von der FVSM bei der Universität von Alcalá in Auftrag gegebenes und nun vorgestelltes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass dies „mit Sicherheit negative Konsequenzen" für die dort lebenden geschützten Arten haben wird. Die Umweltkommission habe dem Druck von Reiseveranstaltern und Wandervereinen nachgegeben und somit bei ihrer Aufgabe versagt, die Interessenskonflikte in der Serra im Gleichgewicht zu halten, so der Autor der Studie, Juan Luis Aguirre gegenüber der MZ.

Der Massenandrang auf die Serra de Tramuntana (von Oktober 2016 bis April 2017 werden 300.000 Wanderer erwartet) müsse gesteuert werden und vor den Schutz­zonen haltmachen, sagt Aguirre. Viele Arten seien bedroht, besonders die gegenüber menschlicher Präsenz hoch empfindlichen Mönchsgeier (32 Brutpaare dieses Jahr), die Mallorca-Geburtshelferkröte ferreret, die in Bergschluchten lebt, sowie Fischadler (15 Paare) und Eleo­norenfalken (etwa 580 Individuen) die an der Steilküste brüten. Auch Europas bedrohtester Seevogel, der Balearische Sturmtaucher, könnte leiden. Die kleinen Vögel nisten in Höhlen unterhalb von La Trapa (Andratx) und auf Sa Dragonera.

„Warum können wir nicht drei Prozent der Berge den Tieren überlassen?", fragt Aguirre. Auch der Biologe und Sturmtaucher-Experte Miguel McMinn hält es für unverständlich, warum die Umweltkommission das seit 2005 geltende Gesetz zur Verwaltung von ökologisch wertvollen Landstrichen (Llei per a la Conservació d´Espais Naturals de Rellevància Ambiental, Leco) an diesem Punkt verändert hat. Er vermutet, die Regierung wolle sich Wählerstimmen bei den einheimischen Wanderern sichern.

Bei denen handelt es sich tatsächlich um eine einflussreiche Gruppe, wie zuletzt der Kampf um den Weg durch das riesige Anwesen Ternelles bei Pollença gezeigt hat. Das Landgut der Bankerfamilie March liegt wie auch die Fincas Ariant und Mortitx im wilden Norden der Insel. Dort oben brüten viele Geier. Deshalb dürfen durch Ternelles täglich maximal 20 angemeldete Wanderer gehen, das Gebiet um die Felsenburg Castell del Rei darf gar nicht betreten werden. Aus gutem Grund: „Ein aufgescheuchter Mönchsgeier braucht im Durchschnitt 80 Minuten, bis er sich wieder aufs Nest setzt", sagt Aguirre, „ein Ei ist aber schon nach 30 Minuten so kalt, dass der Embryo stirbt." Der jüngste Vorstoß, den Zugang zum Castell und vor allem zu der dahinter liegenden Cala Castell zu erleichtern, wurde 2015 vom Balearischen Oberlandesgericht mit dem Verweis auf die Schutzzone abgeschmettert.

Militante Wanderer wie Sebastià Matamales von der Bürgerbewegung Pro Camins Publics (Für öffentliche Wege) wittert hinter alledem die Interessen der Grundbesitzer, die ihre Ruhe haben wollen. „Wir Wanderer werden kriminalisiert", sagt er. Der Mönchsgeier sei nicht wegen ihnen fast auf der Insel ausgestorben, sondern wegen der jahrzehntelangen Vergiftung. „Seitdem die Bauern keine Giftköder mehr auslegen, erholen sich die Bestände", sagt Matamales. Auch sonst lässt er die Argumente der FVSM nicht gelten. „In wessen Namen sprechen die denn?", fragt er, „die sind doch selbst Grundbesitzer und werden von Eigentümern für die Landverwaltung bezahlt." Der Stiftung ist das tausend Hektar große Anwesen Ariant übertragen worden, und sie reguliert bei Valldemossa ein Wandergebiet, das auch über Privatfincas wie Son Moragues führt.

Die balearische Umweltkommission bestätigt, dass hinter dem Streit der alte Konflikt Wanderer-Land­besitzer steckt. Allerdings sei man mit der Gesetzesänderung nicht gegenüber den Wanderern eingeknickt, sondern habe „eine Möglichkeit geschaffen, damit in Einzelfällen bestimmte Gegenden für Wanderer geöffnet werden können", so ein Sprecher. Zudem sei bisher keine einzige Sondererlaubnis erteilt worden, „weil es keine Anträge gab." Die Sorgen der FVSM seien „vorauseilend". Die Landesregierung wolle die Ausschreibung der Schutzgebiete und generell das gesamte Regelwerk PORN überarbeiten. „Es hat Fehler", sagt der Sprecher, „nicht alle roten Zonen sind gerechtfertigt, andernorts fehlt mehr Schutz."

Unterstützung bekommt die Regierung vom Umweltschutzverband Gob, der sich in diesem Punkt von der FVSM distanziert. Gob-Mitarbeiter Toni Muñoz hält die Übergangslösung zwar nicht für sinnvoll, will aber erst mal das Ergebnis der „dringend nötigen" Überarbeitung des PORN abwarten. Dabei gehe es um eine Anpassung an die Realitäten, „sowohl bei den Brutplätzen als auch bei den Wander­routen."

Einig sind sich alle beim Stichwort Überfüllung. Im Gebirge fehlen ein Verwaltungsplan und Kontrollen. 32 Stellen für Parkwächter sind seit den Kürzungen der Vorgängerregierung unbesetzt. Am Wochenende sind im Gebirge mit Glück zwei Parkwächter unterwegs. So kann man die Situation in der Tramuntana auch zusammenfassen: Jeder tut, was er will.