Joan Vidal Sansó war gerade in seinem Haus in Campos auf Mallorca beim Essen, als ihn die Faschisten aufsuchten. „Deine Jacke kannst du hier lassen", sollen sie gesagt haben. Dann nahmen sie ihn mit. Keiner seiner Angehörigen sah Vidal jemals lebend wieder, auch sein Leichnam blieb verschwunden.

Fast 81 Jahre später blickt Francisco Puigserver auf den grauen Himmel über Montuïri, knapp 20 Kilometer von Campos entfernt. „Joan war der Vater meines Bruders, mein Onkel also", sagt Puigserver mit sachlicher Stimme und fügt nachdenklich hinzu: „Ich habe ihn nie kennengelernt." Puigserver ist ein unauffälliger Mann Anfang 60. Bürgerkrieg, Hunger, Folter - all das kennt er nur aus Geschichtsbüchern. Und eben aus den Erzählungen seines Vaters und seiner Großmutter. „Es waren andere Zeiten damals", sagt Puigserver.

Trotzdem ist er am Dienstagvormittag (26.9.) mit seiner Frau nach Montuïri gefahren. Interessiert beobachtet er die jüngeren Männer und Frauen, die am Vorplatz des Friedhofs in der Erde buddeln. Sie suchen nach den sterblichen Überresten seines Onkels, genauso wie nach denen dreier weiterer Republikaner aus Campos: Miquel Mascaró Ballester, Jaume Puig Puigserver und Bartomeu Ballester Roig.

Sie alle wurden Ende Oktober 1936 von Francos Anhängern verschleppt und schließlich in Montuïri erschossen. So vermuten es Historiker, die um das Schicksal der Verschollenen forschen und Augenzeugen befragten. Sie sind sich sicher: Noch immer könnten die Gebeine der Toten unter der Erde des Friedhofsvorplatzes liegen, vielleicht nur wenige Zentimeter von der Ausgrabungsstätte und den gespannten Nachfahren entfernt. Nur wo?

Vorsichtig legt Margalida Vivas einen vergilbten Knochen in eine Plastikbox. Diese ist nach dem ersten Ausgrabungstag schon recht gut gefüllt,

sogar Schädelknochen sind zu erkennen. Vivas ist eine der Freiwilligen, die die Exhumierungs-Experten des Institut Aranzadi bei ihrer Suche nach den Überresten der Bürgerkriegsopfer unterstützt. Bei der ersten Öffnung eines Gemeinschaftsgrabs auf Mallorca in Sant Joan im Jahr 2014 war das Team bereits federführend beteiligt. Damals gab es kein Geld von der Landesregierung. Erst Dank eines vom Linkspakt im Mai 2016 beschlossenen Gesetzes konnten im Herbst 2016 Grabungen in Porreres mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Ein Anfang - immerhin kamen inselweit mehr als 2.000 Menschen durch die Faschisten zu Tode, 48 mögliche Gräber sind dokumentiert.

Seit Montag (25.9.) ist nun Montuïri an der Reihe. „Die Knochen, die wir bisher gefunden haben, gehören nicht den Männern, die wir suchen", sagt Rivas und schüttelt den Kopf. Knochenfunde in der Nähe alter Friedhöfe seien nichts Ungewöhnliches. „Oft wurden hier früher Selbstmörder anonym beigelegt", so die junge Frau. Eine Woche lang hat das Team Zeit, nach Joan Vidal und den anderen Republikanern aus Campos zu suchen. So lange ist auch eine Polizeistreife rund um die Uhr vor Ort. Zur Sicherheit.

„Es finden ja nicht alle gut, dass hier in der Vergangenheit herumgewühlt wird", sagt Gabriel Sastre und lacht zynisch. Der 71-Jährige stammt aus Montuïri, die Ermordeten aus Campos kannte er nicht, trotzdem verfolgt er die Arbeiten mit Interesse. „Man hätte schon viel früher damit anfangen sollen. Die Geschichte muss aufgearbeitet werden." Auch sein Großvater aus Montuïri verschwand damals plötzlich, berichtet er. Man habe die Opfer häufig zur Erschießung in andere Dörfer gebracht, um Aufruhr im Heimatdorf zu vermeiden. „Er liegt vermutlich irgendwo in Sencelles oder Porreres verscharrt."

Auch Juan Miralles hat sich unter die Zuschauer gemischt. Der 83-Jährige wohnt in Sichtweite des Friedhofs und war bereits am Vortag dabei. „Gestern waren Enkelinnen der Opfer aus Campos hier", berichtet er. Sehr emotional hätten sie bei der Vorstellung, ihre verschollenen Großväter wiederzufinden, nicht gewirkt. „Ich glaube, für die meisten geht es hier vor allem darum, dass die Vergangenheit unseres Landes ein Stück weiter bewältigt wird. Und so sollte es ja auch sein."

Zwei Mitglieder des Ausgrabungsteams sind mittlerweile auf die andere Seite des Friedhofsvorplatzes gegangen und haben auch hier erste Erdschichten mit Hacke und Spaten entfernt. Die genaue Stelle, an der die Opfer verscharrt wurden, geht aus den Zeitzeugenberichten nicht hervor. Sollten die Mitarbeiter die Gebeine der vier Republikaner tatsächlich finden, könnte ihre Identität anhand von DNA-Tests mit Sicherheit festgestellt werden. Und mit etwas Glück auch, was genau mit ihnen geschah. Man spricht in Campos von Folter und Verstümmelung.

Für Francisco Puigserver, den Neffen des Verschollenen Joan Vidal Sansó, ist das nur ein Nebenaspekt. „Mein Onkel hat ein Familiengrab in Campos besessen, in dem alle seine Verwandten und Vorfahren bestattet wurden. Es wäre eine Erleichterung, wenn wir seine Überreste endlich finden und dorthin bringen könnten, wo sie hingehören." Erst dann, glaubt Puigserver, könne die Familie die Vergangenheit endlich abschließen.