Dass am 19. Dezember 2017 sein letzter Tag im Richteramt ist, lässt sich José Castro nicht anmerken. Ernst und würdig sitzt der 72-Jährige an einem Tisch im spartanisch möblierten und eng bemessenen Saal E des Gerichtsgebäudes im zweiten Stock an der Vía Alemania in Palma de Mallorca. Hinter ihm hängen eine spanische und eine balearische Flagge sowie ein offizielles Foto von König Felipe VI. .

Vor ihm steht ein gefrustet dreinblickender junger Arbeitsloser, der versucht hatte, eine Computer-CD bei Carrefour mitgehen zu lassen und dabei erwischt wurde. Castro blickt den Mann großväterlich milde an. „Ich verurteile Sie wegen versuchten Diebstahls in einem leichten Fall zu einer Geldstrafe von 4 Euro am Tag, die an 20 Tagen abzuzahlen sind", sagt Castro. Der Angeklagte akzeptiert die Strafe. Es war der letzte der drei letzten Castro-Prozesse heute. Sie alle betrafen Bagatelldelikte.

Castro, der seit 1985 auf Mallorca Recht sprach und davor seit 1976 unter anderem in Arrecife, dem staubigen Hauptort der Kanareninsel Lanzarote, tätig war, ist bedeutendere Fälle gewohnt. Erstmals auf Mallorca bekannt wurde er Anfang der 90er-Jahre mit seinen Ermittlungen in einem Korruptionsskandal in der reichen Gemeinde Calvià.

Es folgten etliche weitere bekannte Fälle bis hin zu dem ihm per Losverfahren zugeteilten Fall Palma Arena - dem Korruptionsskandal rund um den Bau der gleichnamigen Radsportarena. Darin direkt oder indirekt verwickelt war nicht nur der damalige Ministerpräsident Jaume Matas, sondern auch Iñaki Urdangarin, Schwiegersohn von Altkönig Juan Carlos. José Castro schreckte das nicht ab. Er verbiss sich in den Fall und brachte schließlich nicht nur Urdangarin, sondern auch Infantin Cristina, dessen Frau, wegen der dubiosen Geschäfte des Nóos-Institutes auf die Anklagebank - ein bis dahin unerhörter Vorfall im Königsreich Spanien.

In der anschließenden Verhandlung sprach das Gericht Cristina frei - anders als ihren Mann, den es zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilte. Dass es so kam, empört Castro bis heute - erst kürzlich hat er in einem Buch der Journalistin Pilar Urbano noch einmal seine Überzeugung von der Schuld der Infantin dargelegt.

Doch das ist nun Vergangenheit. Das letzte Urteil ist gefallen. Der in Córdoba geborene Andalusier sitzt wie angewurzelt an seinem Tisch. Seine Mitarbeiter am Gericht und Journalisten strömen ins Geviert. Applaus erklingt. Castro ringt mit den Tränen, erhebt sich.

Minuten später streift er seine Robe ab. Erst jetzt wird die abgetragene graue Cordhose sichtbar, die der ostentativ bescheidene und umgängliche Jurist trägt. José Castro ringt sich durch, mit TV-Journalisten zu sprechen und ist dann sogar bereit, Selfies mit sich machen zu lassen. Er fasst sich kurz, wie man das von ihm kennt. „Waren Sie ein Star-Richter?", fragt eine Reporterin des katalanischen Senders TV3. „Ich fühlte mich im Zentrum der Aufmerksamkeit", antwortet er. Er wolle nicht nur als derjenige in Erinnerung bleiben, der Infantin Cristina auf die Anklagebank brachte. Was er im Ruhestand tun werde? Er wisse es noch nicht.

Seine allerletzte Amtshandlung hat dann noch hohen symbolischen Wert, und etwas Versöhnliches hinzu. Fernab der Kameras gibt er den Reisepass frei, den er vor sieben Jahren dem inzwischen schon mehrfach verurteilten früheren Ministerpräsidenten Jaume Matas entzog.