„Hausaufgaben sind Hausfriedensbruch." Raten Sie mal, aus welchem Jahr diese Aussage eines hohen Beamten im Düsseldorfer Kultusministerium stammt. Es war im März 1982, und Hausaufgaben galten bereits als Konfliktherd. „Der Spiegel" nahm sich in seiner Titelgeschichte des Themas an. Schon damals wurde die Sinnhaftigkeit von stundenlangen Lerneinheiten zu Hause infrage gestellt. Heute, fast

36 Jahre später, hat sich an der Grundproblematik, sei es in Deutschland oder auch auf Mallorca, kaum etwas geändert.

Das balearische Bildungsministerium hat das Thema Hausaufgaben kurz vor Weihnachten zur Chefsache erklärt und eine neue Richtlinie an die Schulen herausgegeben, wie lange Hausaufgaben zu dauern haben: maximal eine Stunde täglich in der 5. und 6. Klasse und maximal zwei Stunden ab der 7. Klasse. Gelten sollen diese Empfehlungen ab dem kommenden Schuljahr. Ferien und Wochenenden sollten möglichst frei von Hausaufgaben gehalten werden.

Dem Ministerium geht es dabei auch um die Abfederung sozialer Ungleichheit. Bildungsschwächere Eltern könnten ihre Kinder meist weniger bei den Übungen unterstützen und hätten oft weniger Geld für Nachhilfelehrer, so die Annahme. Im Schnitt verbringt in Spanien ein Schüler sechseinhalb Stunden in der Woche mit Hausaufgaben, so die OECD. Das ist so viel wie in kaum einem anderen europäischen Land. In Deutschland sind es fünf Stunden.

Die Heimaufgaben sollten dazu dienen, Schlüsselkompetenzen zu erwerben, vor allem Selbstständigkeit, so das Ministerium. „Es soll nicht darum gehen, einfach den Stoff der Unterrichtsstunde zu wiederholen", heißt es in der Richtlinie. Die Schularbeiten sollen daheim ohne Hilfe der Eltern oder Nachhilfelehrer angefertigt werden. Wichtig sei zudem, in den Unterrichtsstunden genügend Zeit für die Verbesserung der Hausaufgaben einzuplanen. Das Ministerium appelliert zudem an die Lehrer, sich mit den Kollegen beim Umfang der Hausaufgaben abzustimmen.

Als einen Schritt in die richtige Richtung wertet das Gloria Ferrer, Sprecherin der Elternvereinigung FAPA auf Mallorca und selbst Lehrerin. Aber auch nicht mehr. „Es stimmt, dass unsere Kinder zu viele Hausaufgaben machen müssen und dass wir die Quantität vor allem durch Qualität ersetzen sollten." Allerdings setze dies eine grundlegende Veränderung des Unterrichts voraus. Man müsse vom Auswendiglernen wegkommen. „Da ist es nicht damit geschehen, einfach die Zeit für die Hausaufgaben zu kürzen", sagt Ferrer. Genaue Richtlinien für die Dauer von Hausaufgaben seien schwierig, weil jeder ­Schüler sein eigenes Lerntempo habe. Wichtiger sei, die Lehrpläne zu entschlacken, damit die Schüler auch tatsächlich mehr Freiräume bekommen. „Wir brauchen ein neues Bildungsgesetz, das dann auch Regierungswechsel überdauert", fordert Ferrer.

Widerstand gegen die Vorgabe regt sich unter anderem bei den Lehrer-Gewerkschaften Alternativa und Unió Obrera Balear (UOB). UOB-Sprecherin Antònia Font kritisiert, dass den Lehrern vorgeschrieben werde, wie sie ihre Arbeit zu erledigen hätten. „Wir sollen uns mit unseren Kollegen koordinieren, wer wie viele Hausaufgaben aufgibt? Das funktioniert doch in der Praxis niemals", so Font. Die Zeit dafür sei im Schulalltag nicht vorhanden. Hausaufgaben hält sie aus pädagogischen Gründen auch weiterhin für wichtig. „Für die Schüler ist es wichtig, sich auch daheim noch einmal in aller Ruhe mit dem Stoff zu befassen."

Anderer Ansicht ist Gabriel Caldentey von der Lehrergewerkschaft STEi. „Hausaufgaben sind in vielen Fällen kontraproduktiv. Wie soll ein Schüler, der in der Schule schon den Stoff nicht verstanden hat, ihn daheim vertiefen?" STEi fordert deshalb, dass schwächeren Schülern in der Schule Vertiefungsstunden angeboten werden müssen. Außerdem solle jede Schule selbst Richtlinien festlegen.

Schularbeiten sorgten auch in der Vergangenheit auf den Inseln schon für Ärger. Im November 2016 hatte die spanienweite Elternvereinigung CEAPA Schüler und Eltern spanienweit an vier Wochenenden zu einem Hausaufgabenstreik aufgerufen. Die Kinder und Jugendlichen sollten den Ranzen in die Ecke stellen und lieber Zeit mit der Familie und Freunden verbringen.

Mit den Richtlinien für die Aufgabendauer hat das balearische Bildungsministerium auch sonst nicht das Rad neu erfunden. In ­anderen Ländern gibt es bereits ähnliche Vorgaben. So gilt etwa in den USA die Regel der zehn Minuten. In der 1. Klasse sollen daheim zehn Minuten gearbeitet werden, pro Klassenstufe werden es zehn Minuten mehr. In Frankreich gibt es in der Grundschule nach zahlreichen Elternprotesten keine Hausaufgaben mehr. Und in Deutschland ist Bildung Ländersache, bundesweit gibt es keine verbindlichen Vorgaben.

Nordrhein-Westfalen hat 2015 Richtlinien eingeführt, nach denen die Aufgaben daheim zum Ende der Grundschule maximal 45 Minuten in Anspruch nehmen dürfen. Bis zur 7. Klasse können es dann 60 Minuten sein und bis zur 10. Klasse 75 Minuten. Für die Oberstufe gibt es keine Vorgaben mehr.