„Manchmal komme ich sonntags hierher und schaue einfach nur, stundenlang", sagt Maties Rebassa. Auch jetzt wendet er seinen Blick nicht von dem Spektakel, das durch die geöffnete Klappe in der Holzwand der kleinen Hütte zu sehen ist. Hunderte, vielleicht Tausende Vögel verschiedenster Gattungen und Größe sitzen draußen auf kleinen Schilfinseln, schwimmen durch das Wasser, in dem sich die dunklen Wolken spiegeln, oder fliegen in Scharen durch die Lüfte. Es ist, als schaue man in eine andere Welt. Wären da nicht die mächtigen Umrisse des Kohlekraftwerks Es Murterar in der Ferne zu sehen. Oder die großen Hotelkomplexe der Playa de Muro.

Rebassa ist der Leiter des Naturschutzgebiets S'Albufera. Vor allem aber ist er Biologe. „Da vorne fliegt ein Zwergtaucher", sagt er. Als Laie kann man über seine Beobachtungsgabe nur staunen - der Vogel hebt sich nur als kleiner schwarzer Punkt gegen den grauen Himmel ab. „Ich kann nicht erklären, woran ich ihn erkenne, ich weiß es einfach. So, wie wenn man einen guten Freund schon aus der Ferne erkennt."

Es gibt vieles, das in der S'Albufera für Neulinge kaum erkennbar ist. Wer zum ersten Mal durch die Pfade im Schilfrohr läuft, entlang an den kleineren und größeren Kanälen, wer auf die Aussichtsplattformen steigt und den Blick über das 1.646 Hektar große Feuchtgebiet schweifen lässt, der ahnt nicht, dass Mallorcas ältestes Naturschutzgebiet in einer „ökologischen Krise" steckt.Internationaler Hilferuf

So drückt es zumindest Toni Muñoz von der Umweltschutzgruppe Gob aus. Ja, es sei eine Krise, bekräftigt er. Anders könne man es nicht nennen, dass kaum mehr Vögel im Hauptkanal anzutreffen seien. Dass das Wasser dauerhaft an braune Suppe statt an ein klares Gewässer erinnere. Dass der Salzgehalt immer weiter steige und Abwässer und Fäkalien teils ungefiltert in das Kanalsystem gelangen, mit dem auch die zahlreichen Lagunen verbunden sind, die man von den Beobachtungspunkten aus sehen kann. „Die Artenvielfalt ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken, weil die Süßwasservögel hier nicht mehr nisten können", so Muñoz. Deshalb hat er mit seinen Kollegen vom Gob einen internationalen Hilferuf auf Basis der Ramsar-Konvention ausgerufen - jenem völkerrechtlichen Abkommen, das den Schutz von international bedeutenden Feuchtgebieten dokumentiert. Und das gerade jetzt, zum 30. Geburtstag des Naturschutzgebiets S'Albufera.

Parkleiter Maties Rebassa weiß von den Problemen der S'Albufera, kennt sie besser als jeder andere. Sie sind seit Jahren bekannt. „Der Gob stützt sich auf Daten, die wir erstellt haben." Wir, das sind neben ihm 16 Mitarbeiter, die im Park beschäftigt sind. Die Stelle eines Ornithologen, der die Vögel beobachtete und studierte, sei in der Wirtschaftskrise vom Umweltministerium gestrichen worden. Die verbleibenden Mitarbeiter führen Schüler- und Urlaubergruppen durch die Natur, geben Workshops und fluten im Sommer die Kanäle. Auch wenn es an diesem regnerischen Februartag kaum zu glauben ist: Die Trockenheit sei ein weiteres Problem, das dem Feuchtgebiet zu schaffen macht, sagt Rebassa. Er wäre der Letzte, der die Situation in S'Albufera schönreden würde. Doch ihm seien die Hände gebunden. Zwar arbeitet man im Park konstant daran, neue Lagunen anzulegen, auch eine Ausdehnung ist geplant. Doch es sei die Politik, die Landwirten in der Umgebung erlaube, Chemikalien auf ihren Feldern zu nutzen, die ins Grundwasser und letztlich auch ins Schutzgebiet dringen. Die zuließe, dass Wasser vor allem in die Agrarwirtschaft und die nahe liegenden Touristenorte geleitet werde statt in das Feuchtgebiet. Die wenig für die Instandhaltung der überlasteten und veralteten Kläranlagen in der Umgebung täte, die regelmäßig leckten.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Trotzdem: Zum ersten Mal seit er vor 15 Jahren die Leitung des Naturschutzgebiets übernahm, sei er optimistisch gestimmt. „Die Vorgänger in der Landesregierung haben die Probleme nicht ernst genommen und versteckt. Das ist jetzt anders", sagt er. Jetzt würde wenigstens versucht, etwas zu bewegen. Ende vergangenen Jahres etwa habe die Gemeinde Sa Pobla der Landesregierung ein Grundstück nahe der überlasteten Kläranlage überlassen, um diese ausbauen und renovieren zu können.

Getan hat sich bisher aber nichts. „Ich kann verstehen, dass sich Maties Rebassa an so etwas klammert, schließlich muss er das Elend jeden Tag ansehen, da braucht es Hoffnung", so Umweltschützer Toni Muñoz. Sein Urteil über die links-grüne Landesregierung fällt deutlich härter aus. „Die Probleme, die vom Kohlekraftwerk Es Murterar ausgehen, schieben die Balearen-Politiker auf fehlende Entscheidungsfreudigkeit in Madrid, die Probleme mit den Kläranlagen lagern sie teils auf die Gemeinden ab. Das reicht nicht. Es muss dringend etwas passieren."

„Dort schwimmt ein ­Kammblässhuhn", ruft Rebassa, und zeigt auf eine Ente, die durch das Schilf auf uns zugeschwommen kommt. „Es ist eine Spezies, die auch Salzwasser mag." Die Natur passe sich eben an. Auch die Zahl der Flamingos sei gestiegen. „Ein Feuchtgebiet ist ein sehr wandelbares Ökosystem. Es kann schnell zerstört werden, erholt sich aber auch schnell wieder."

Das ganze Jahr über will Rebassa das 30-jährige Bestehen des Parks mit kleinen Events feiern. Trotz all der Probleme - oder vielleicht gerade deshalb. Von den knapp 120.000 Besuchern im Jahr sind rund 75 Prozent Ausländer, die meisten davon Deutsche. „Die Mallorquiner sollten die S'Albufera mehr zu schätzen wissen und stolz darauf sein", findet Rebassa. Da­rauf, dass hier versucht wird, um Artenschutz zu kämpfen. Auch wenn der Kampf dem mit Windmühlen gleicht.