Carl Mansker ist ein Deià-Bewohner, wie er im Buche steht - zumindest, wenn man die Urmallorquiner außen vor lässt: Er ist Ausländer, Künstler und seit Jahrzehnten verliebt in das Tramuntana-Dorf. Die Ruhe und Natur inspirieren ihn bei seiner Arbeit, sagt der Komponist. Seit 65 Jahren kommt der 83-Jährige mehrere Monate im Jahr in sein Haus am Berg, sonst wohnt er mit seiner Frau - einer schweizerischen Malerin - in München. Wir treffen ihn in einer kleinen Dorf-Bar, wo er Kaffee trinkt und Zeitschriften durchblättert. Der Mythos des Künstlerdorfs, genährt von legendären Bewohnern wie dem Schriftsteller Robert Graves (1895-1985), wird von Menschen wie Carl Mansker weitergelebt. Viele der Zugezogenen sind längst fester Bestandteil der Dorf­gemeinschaft.

Doch der Ort auf Mallorca ist im Wandel, sein Charme und Charakter in Gefahr.„Petit Deià" - schon beim Klang dieses Namens ziehen viele die Stirn kraus. Geht es nach dem Bauträger Mar Capital, dann steht „Petit Deià" für die Luxussiedlung, die am Rand des Dorfs im Aufbau ist. Für viele andere ist der Begriff gleichbedeutend mit einem weiteren Schritt in Richtung Niedergang der Dorfidylle.

Auch Carl Mansker hat natürlich von dem Unmut im Ort gehört. Von der Demonstration am Sonntag (4.2.), bei der rund 200 Dorfbewohner gegen die neuen Häuser protestierten. Von den aufgebrachten Anwohnern, die mit Bürgermeisterin Magdalena López (PP) über die Siedlung diskutieren. Auch er hat seine Zweifel, dass „Petit Deià" dem Ort guttun würde. „Die Infrastruktur ist nicht ideal." Vereinzelte neue Häuser im Ort, ja. Aber gleich eine neue Siedlung dort draußen?

Günstig ist hier gar nichts mehr

Die Zeiten, in denen Künstler die Immobilien in Deià zu Spottpreisen erstehen konnten, sind längst vorbei. Hier reihen sich Millionen­objekt an Millionenobjekt, wie auch ein Blick auf die Auslagen in den angesiedelten Immoblienagenturen zeigt. Schon lange ist der Prunk in das Dorf eingezogen.

Da würde eine neue Luxussiedlung doch eigentlich genau passen, oder? Eben nicht, finden viele Anwohner. Es gebe ohnehin keinen bezahlbaren Wohnraum mehr, auch wegen der zunehmenden Ferienvermietung, ereifert sich eine Frau mittleren Alters, die wenige Meter von Carl Mansker entfernt mit zwei Freundinnen an der Theke sitzt. Und: Selbst wer in der Lage sei, horrende Mieten hinzublättern, habe es schwer, etwas zu finden. „40 Prozent der Häuser stehen fast das ganze Jahr über leer, weil sie nur als Zweitwohnsitz dienen." Ihre Besitzer kämen vor allem in den Sommermonaten - dann, wenn das Dorf ohnehin schon von Urlauber überlaufen ist und der Verkehr nur noch durch eine mobile Ampel an der Hauptstraße notdürftig geregelt werden kann. „Das ist kein Leben. Und jetzt im Winter herrscht sechs Monate lang tote Hose", so die Spanierin. Die Statistiken decken ihre Eindrücke: Von 677 gemeldeten Anwohnern sind nur 300 bis 400 das ganze Jahr über da. Dem gegenüber stehen 722 Betten zur touristischen Vermietung - die illegalen nicht mit eingerechnet.

„Die Immobilienspekulation im Ort ist enorm gestiegen", stimmt auch Pere Antoni Reynes zu. Er ist einer der Urmallorquiner, seine Familie lebt seit Generationen im Dorf. In seiner Bäckerei Forn Panadería bekommt er viele Klagen der Anwohner mit. „Früher war der Unterschied zwischen Sommer und Winter viel geringer", sagt er. Auch, weil eines der altehrwürdigen Hotels im Ort seit einer Vergrößerung der Kapazitäten nur noch wenige Monate im Sommer geöffnet habe. Nun mache man dort den gleichen Profit mit viel weniger Aufwand. „Aber dem Dorf tut das nicht gut", so Reynes. Dass die zukünftigen Bewohner von „Petit Deià" diesem Trend entgegenwirken könnten, bezweifeln die meisten. Die Sorge, dass auch sie nur wenige Wochen im Jahr zu den Stoßzeiten da sein könnten, schwebt über allem.

Viele denken so, in den Cafés, auf der Straße, in den zwei kleinen Lebensmittelläden - überall ist man sich einig, dass „Petit Deià" dem Dorf eher schaden als nützen werde. Öffentlich zu seinem Wort stehen will aber kaum jemand. „Wir sind nur gemeinsam stark, nicht als Individuum", sagt eine junge Frau auf einer Restaurantterrasse. Auch sie war bei der Demonstration mit dabei. In der Zeitung will sie ihren Namen aber nicht lesen. „Die Wege hier sind sehr kurz. Nachher streichen sie uns noch Hilfen oder verwehren uns Umbaulizenzen." Die Sache mit den Baulizenzen scheint ein Thema zu sein, das viele bewegt. „Wie kann es sein, dass wir jahrelang darauf warten müssen, kleine Renovierungen in unseren Dorfhäusern angehen zu dürfen, dass die kleinsten Änderungs- oder Erweiterungsvorschläge abgelehnt werden, aber dass dann eine komplette neue Siedlung einfach mal so genehmigt wird", ereifert sich die Frau.

Schuld daran ist nicht nur das Rathaus, sondern auch der Inselrat. Beide Institutionen winkten bereits im Jahr 2007 die Lizenzen für den Bau von „Petit Deià" durch. Wegen der Wirtschaftskrise legte der Bauträger Mar Capital das Projekt vorerst auf Eis - und nahm es neun Jahre später wieder auf. Die Lizenzen waren abgelaufen, aber das Rathaus genehmigte das Vorhaben, weil sich weder an dem Projekt noch an der Bauordnung etwas geändert hatte.

„Dabei stammt die Bauordnung aus dem Jahr 1992", sagt Henar Arribas. Sie führt die ­Anwohnerbewegung an, die gegen die Siedlung protestiert. In den seither vergangenen 25 Jahren habe sich die Situation im Ort grundlegend verändert. „Der touristische Andrang ist viel höher, auch die Wasserressourcen sind knapper, es gibt kaum Parkplätze, die Klär­anlage macht Probleme."Bauen im Welterbe

Und dann ist da natürlich auch noch die Sache mit dem Umweltschutz. „Petit Deià" entsteht in einem kleinen Tal neben dem Ortskern, ganz in der Nähe eines torrents. Obwohl sich die Häuser in Animationen des Bauträgers mit ihren Natursteinfassaden durchaus in die Umgebung einpassen dürften, sind die Menschen alarmiert.

„Uns ist klar, dass wir 'Petit Deià' wohl nicht mehr stoppen können", so Margalida Ramis vom Umweltschutzverband Gob. „Aber es ist ja nur ein Beispiel von vielen. Wir wollen verhindern, dass noch mehr solcher Projekte ins Rollen kommen." Der Gob unterstützt die Anwohnervereinigung und hat gemeinsam mit ihr einen Brief an die UNESCO geschrieben - immerhin sei die Tramuntana gerade wegen ihrer Landschaft im Jahr 2011 zum Welterbe gekürt worden. „Unser Kampf richtet sich nur zu fünf Prozent gegen 'Petit Deià'. Zu 95 Prozent geht es uns darum, auf die Missstände aufmerksam zu machen und für eine Änderung der Bauordnung zu kämpfen", so auch Henar Arribas.

Carl Mansker nippt in der kleinen Dorf-Bar an seinem Kaffee. In den 65 Jahren, in denen er Deià erlebt hat, habe sich so vieles geändert, meist nicht zum Guten. „Aber es ist weiterhin einer der schönsten Orte überhaupt", findet er. Mansker mag typisch sein für die Künstlerszene in Deià. Sein Reiseverhalten ist es nicht. „Ich komme nur im Winter." Der Musiker mag halt gerade die Ruhe, die hier im Winter herrscht.