Alkohol und Drogen am Steuer - das ist eine lebensgefährliche Mixtur, die die Polizei und die Behörden auf den Balearen nicht in den Griff bekommen. Immer wieder kommt es auf den Inseln zu folgenschweren Unfällen mit berauschten Fahrern. Auch die 28-jährige Porsche-Fahrerin, die am Donnerstag (5.4.) auf der Landstraße zwischen Capdepera und Artà in eine Gruppe Radsportler raste und dabei einen 47-jährigen Familienvater aus Mönchengladbach tötete sowie acht weitere Radfahrer verletzte, hatte sich wohl unter Drogeneinfluss ans Steuer gesetzt.

Auf Mallorca sind fast bei jedem zweiten tödlichen Unfall Alkohol oder Drogen im Spiel. Wenn es um Kollisionen geht, an denen Radfahrer beteiligt sind, spricht der balearische Radsportverband gar von einer noch viel höheren Zahl. „Wenn wir uns die jüngsten Unfälle anschauen, bei denen Radfahrer ums Leben kamen, waren wahrscheinlich in fast 90 Prozent Drogen oder Alkohol im Spiel", sagt Fernando Gilet, der Präsident des Radsportverbandes auf den Inseln.

Er denkt dabei etwa an die zwei Nationalpolizisten, die 2012 auf der Landstraße nach Cap Blanc nach einer durchgefeierten Nacht eine deutsche Radfahrerin zu Tode fuhren. Der Fahrer wurde 2014 zu drei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. 2014 rammte eine Frau auf der Schnellstraße in Richtung Manacor nachts einen Radfahrer. Der Mann starb noch am Unfallort. Im September 2016 überrollte eine Französin nach einer Kneipentour durch Sineu deutlich alkoholisiert einen Polizisten auf dem Fahrrad. Der Familienvater starb, sein achtjähriger Sohn, der mit seinem Rad neben ihm fuhr, musste das Geschehen aus nächster Nähe mit ansehen. „Wir können nicht viel mehr machen, als an das Verantwortungsbewusstsein der Autofahrer zu appellieren und die Radfahrer ermahnen, aufmerksam zu fahren", sagt Gilet.

Worin die Ursachen für die Häufung von tödlichen Unfällen unter Einfluss von Rauschmitteln liegen, darüber rätseln die Experten. Im vergangenen Jahr standen etwa 40 Prozent der bei Unfällen auf den Balearen Getöteten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss. Die Zahl ist seit Jahren etwa gleich, und die Inseln sind kein Ausrutscher: Landesweit sehen die Statistiken ähnlich aus. Belastbare Zahlen gibt es vom spanischen Justizministerium. Im Jahr 2016 etwa lag der Anteil derjenigen, die unter Alkohol und Drogen am Steuer im Straßenverkehr ums Leben kamen, gar bei 43 Prozent.

In Deutschland sind Alkohol und Rauschmittel am Steuer zwar auch ein Problem, die Zahlen bewegen sich aber in anderen Sphären. Laut dem Statistischen Bundesamt in ­Wiesbaden starben im Jahr 2016 in Deutschland sieben Prozent der Unfallopfer bei durch Rauschmittel verursachten Verkehrsunfälle, also nur jeder 14. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Prozentsatz von tödlichen Unfällen im Zusammenhang mit Rauschmitteln in Deutschland stetig reduziert. Waren es in den 70er- und 80er-Jahren teils noch über

20 Prozent, sank dieser Anteil in den Jahren nach 2000 auf etwa sieben bis zehn Prozent.

Der deutsche Unfallforscher Siegfried Brockmann beschäftigt sich seit Längerem mit dem Phänomen des berauschten Fahrens. Der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV) erklärt sich den Rückgang in Deutschland vor allem mit einem Umdenken in der Bevölkerung: „In Deutschland war das soziale Korrektiv das schärfste. Wurde man in den 70er-Jahren noch schief angeschaut, wenn man auf einer Party nichts trinken wollte, obwohl man der Fahrer war, ist ein solches Verhalten heute sozial weitgehend geächtet." Die Drohung mit Sanktionen oder die Gefahr, in eine Kontrolle zu geraten, spielten nur eine untergeordnete Rolle. „Zumal weder die Strafen in den vergangenen Jahren erhöht wurden noch die Zahl der Kontrollen, soweit ich das beurteilen kann."

In Deutschland ist erst bei 1,6 Promille der Führerschein weg, bei Wiederholungstätern bei 1,1 Promille. In Spanien wird ein Alkoholsünder bereits ab 1,2 Promille zum Fußgänger - auch, wenn er das erste Mal erwischt wurde. Bereits bei der Weigerung, den Alkoholtest zu machen, droht hierzulande der Verlust der Fahrerlaubnis. Auch angesichts dessen hat man bei der Verkehrsbehörde DGT auf Mallorca keine Erklärung für die häufigen Rauschfahrten auf der Insel. „Wir wissen den Grund nicht", teilt eine Sprecherin der Behörde mit und wirkt ratlos. „Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der nicht alle die Regeln akzeptieren, wenn wir nicht mit Strafen drohen."

Die vergleichsweise geringe Zahl an berauschten Fahrern in Deutschland könne laut Brockmann allerdings trügen. Er glaubt: „Die Dunkelziffer bei Drogen am Steuer ist in Deutschland enorm. Ich habe das Gefühl, dass gerade der Konsum von Kokain oder sogenannten Modedrogen viel weiter verbreitet ist, als wir vermuten." In Deutschland werden im Unterschied zu Spanien bei tödlich Verletzten im Verkehr keine Drogentests mehr vorgenommen. Vielfach können Drogen außerdem, je nach Testmethode, bereits nach kurzer Zeit nicht mehr im Körper nachgewiesen werden. Hinzu komme, dass etwa unter Koks stehende Fahrer den Eindruck vermitteln, völlig klar zu sein. „Leute, die nach 14 Stunden Arbeit Auto fahren, agieren am Steuer wesentlich unkonzentrierter, obwohl sie nichts Illegales tun", sagt Brockmann.

Oft sei es schwierig, überhaupt festzustellen, ob eine Drogenfahrt vorliegt, sagt Brockmann. „Wenn Leute pflanzliche Mittel genommen haben, die nicht auf dem Index stehen, aber trotzdem berauschen, kann die Polizei nichts machen." Und mit den Herstellern von Designerdrogen liefere man sich ein Katz- und Maus-Spiel. Sobald eine Droge auf der Liste der Rauschmittel stehe, werde die Zusammensetzung leicht geändert, und die Liste sei wieder hinfällig. Alkohol sei nun mal bei Kontrollen viel einfacher zu erkennen.

Was Letzteres angeht, scheint die Polizei auf Mallorca inzwischen deutlich engagierter an die Sache heranzugehen. Vor allem an Wochenenden oder in den Nachtstunden werden auf der Insel schon mal ganze Autobahnabfahrten oder Kreisverkehre abgesperrt, um die vorbeikommenden Wagen anzuhalten und die Fahrer auf Alkohol zu testen.