Donnerstag (26.4.): Schwerfällig setzt sich der große Lastwagen in Bewegung und fährt über den schlammigen Boden aus jenem Bereich heraus, der so viele Jahre von Bauzäunen verschlossen war und der jetzt für die Ein- und Ausfahrt der Baufahrzeuge geöffnet ist. Wo die bekannteste Perlenfabrik von Mallorca stand, erstreckt sich auf knapp 15.000 Quadratmetern heute vor allem Brachland. Der Lastwagen biegt in die Via Majorica ein und fährt vorbei an einer verblichenen Markise, auf der noch der Schriftzug des Schmuckherstellers zu erahnen ist, dem all dies einst gehörte: „Perlas Majorica".

Der Lastwagen ist einer der letzten, die mit Bauschutt beladen zum Hafen fahren. Er lässt einen Bagger zurück, der die Erdschichten umverteilt und festdrückt. Nach gut anderthalb Monaten sind die Entgiftungsarbeiten auf dem großen Grundstück in Manacor praktisch abgeschlossen. Die Erdklumpen, die Steinbrocken und die Betonreste werden aufs spanische Festland gebracht und dort entsorgt. Denn auf Mallorca selbst gibt es keine geeignete Halde für die kontaminierten Stoffe, die die Perlen­fabrik hinterließ.

Majorica - die Ursprünge der Firma mit Geschäftssitz Barcelona gehen zurück auf die Geschäftsidee eines Deutschen. Es war ­Eduard Heusch, der im Jahr 1890 eine Rezeptur zur Herstellung künstlicher Perlen patentieren ließ und dafür 1902 eine Fabrik in Manacor eröffnete, die sich im Lauf der Jahrzehnte zu einer veritablen Touristenattraktion mauserte. Doch die Zeiten, in denen die Urlauber busseweise in die Stadt im Inselosten gefahren wurden, um bei der Entstehung der funkelnden Schmuckstücke zuzuschauen und dann ihre Urlaubskasse im Fabrik­laden zu plündern, sind lange vorbei. Majorica verkauft jetzt in anderen Geschäften auf Mallorca, und es sind längst nicht mehr nur die etwas aus der Mode gekommenen Kunstperlen.

Mit dem Umzug in eine neue Anlage, ebenfalls in Manacor, wurde die alte Perlenfabrik 2005 geschlossen. Wenig später entdeckte man undichte Stellen in zwei unterirdischen Tanks der Fabrik. ­Vermutlich über Jahrzehnte hinweg waren hier Chemikalien aus der ­Perlenherstellung in den Untergrund ausgetreten und ins Grundwasser gelangt.

Rhizlane Mustafa kommt jeden Tag an dem großen Gelände vorbei. Wenn sie zu ihrer Arbeitsstelle - einer Reinigung wenige Straßen weiter - geht, liegt es genau auf ihrem Weg. Sie hat mit angesehen, wie das Unkraut auf der freien Fläche dichter und die Fassaden der noch bestehenden Gebäude immer schmutziger wurden. „Ich habe immer gedacht, dass es eigentlich schade ist, dass hier nie etwas passiert. Und irgendwie auch komisch, wo doch angeblich alles verseucht ist", sagt Rhizlane Mustafa.

Sobald die gesundheitlichen Risiken ausgeschlossen sind, würde ein Kinderspielplatz oder ein kleiner Stadtpark gut hierhin passen, findet sie - bleibt aber skeptisch: „Ich glaube nicht, dass hier etwas entsteht, wovon wir alle etwas haben", so die junge Frau.

Ein Großteil des Geländes dürfte in Zukunft tatsächlich einem anderen Zweck dienen. Und noch ist an einen Stadtpark ohnehin nicht zu denken. „Erst einmal wollen wir ja sicher sein, dass nun auch wirklich alle Schadstoffe verschwunden sind", so Sebastià Sansó, Generaldirektor für Abfälle im balearischen Umweltministerium. Das Umweltministerium hat die Aufsicht über die Arbeiten inne. 8.500 Tonnen teilweise verseuchten Materials hätte man seit Mitte März abtransportieren lassen, gibt Sansó am Freitag (27.4.) bekannt und erklärt die Arbeiten offiziell für abgeschlossen. „Wir haben keinerlei Austrittslöcher mehr gefunden, die Tanks sind ausgebaut und der Boden darunter scheint unverseucht." Trotzdem: Den ganzen Mai über sollen immer wieder Proben entnommen werden. „Endgültige Entwarnung gibt es dann vielleicht in anderthalb Monaten."

Schon jetzt merkt man Sansó seine Erleichterung an. Lange habe man darauf gewartet, dass das kontaminierte Material verschwindet, eigentlich viel zu lange. Die ersten Arbeiten, die zur Entgiftung führen sollten, wurden im Jahr 2014 nach wenigen Monaten wegen bürokratischer Streitereien wieder eingestellt. Und auch dieses Mal hätte es fast Ärger gegeben: Im Oktober 2017 hatte das balearische Umweltministerium ein Ultimatum gestellt, um die Arbeiten voranzutreiben: Verantwortlich für die defekten Tanks sei zwar Majorica, die Reinigungsarbeiten müssten aber von dem aktuellen Besitzer des Geländes bestritten werden: der Immobilienagentur Anida. Als nichts geschah, drohte das Ministerium im Februar 2018, Anida ein Bußgeld von 150.000 Euro aufzuerlegen, sollten nicht endlich die Umweltschutz-Vorschriften ein­gehalten werden.

„Das scheint geholfen zu haben", sagt ein älterer Mallorquiner mit wenigen Zähnen, der - wie fast jeden Vormittag - in einer Bar gegenüber des Geländes sitzt. „Als es einmal losging, haben sie sich ganz schön beeilt mit den Arbeiten", findet er. Dass die Immobilien­agentur das Terrain vor einigen Monaten zum Verkauf gestellt hat, stimmt ihn hoffnungsfroh. „Wenn das jetzt jemand kauft, der ein Einkaufszentrum draus machen will, fände ich das gut. Auch wenn ich damit wahrscheinlich ziemlich allein dastehe." Tatsächlich wirbt Anida damit, dass das Gebiet laut Flächennutzungsplan sowohl für den Bau von Wohnungen als auch von Verkaufsflächen genutzt werden könne. „Für exzellente Finanzierungspläne", heißt es auf der Anida-Homepage.

In öffentlicher Hand ist nur ein Teil des umzäunten Gebiets. Dort steht noch immer das älteste und aus den Anfangszeiten stammende Fabrikgebäude, ebenso wie das einstige Wohnhaus des ehemaligen Fabrikdirektors Pedro Riche. Über die Zukunft dieser Gebäude kann die Stadt Manacor entscheiden, sobald das Umweltministerium das Gelände für entseucht erklärt hat. Ideen für die zukünftige Nutzung gibt es durchaus. Ein Museum könnte einziehen oder ein kulturelles Zentrum, hieß es bereits im vergangenen September. Auch die von vielen gewünschte Grünfläche ist im Gespräch. Festlegen will sich Bürgermeisterin Catalina Riera noch nicht. Ganz nach dem Motto: „Alles zu seiner Zeit".