Ein Stück Plastikmüll weht über die staubige, unebene Straße zwischen den plakativen weißen Wohnblocks in Corea. Der Name hat sich eingebürgert in dem schäbig wirkenden Gebiet im Viertel Camp Redó nördlich des Zentrums von Palma de Mallorca. Die Fassaden sind heruntergekommen, die Strommasten wirken instabil, es riecht nach Müll. Kein Wunder, dass viele Anwohner genug haben von den Zuständen.

Wer an den 22 fast identischen Wohnblocks entlangstreift, die in den 50er-Jahren für Fabrikarbeiter errichtet worden sind, dessen Blick fällt früher oder später auf eine freie Fläche in der Mitte, die die triste Symmetrie der Wohnblöcke stört. Auf dem Schotterplatz steht ein schäbiges Stromhäuschen mit angesengten Wänden. Eigentlich sollte hier schon vor Jahren eine Grünfläche entstehen, mit netten Bänken und gepflegtem Rasen. Subventioniert mit Geldern des europäischen Regional-Förderfonds Feder. Romi Alonso erinnert sich noch genau daran, als sie und die anderen Anwohner die Pläne im Jahr 2010 bei einer öffentlichen Ansicht bestaunen konnten. Hübsche Computeranimationen hätten alles ganz anschaulich gemacht. „Aber das Einzige, was sie bisher gemacht haben, ist der Abriss eines Wohnblocks", sagt sie. „Wo ist das Geld hin?"

Romi Alonso ist 56 Jahre und lebt in Corea, seit sie denken kann. „Damals lag das Viertel praktisch außerhalb der Stadt. Es war eine Arbeitergegend, aber doch recht ordentlich." Mittlerweile ist um Corea herum die Stadt gewachsen. Der hippe Gastronomiemarkt San Juan im Escorxador liegt knapp zehn Gehminuten entfernt, ebenso die Bars und Kinosäle des Ocimax-Freizeitzentrums. Doch in Corea selbst ist von Ordnung mittlerweile nicht mehr viel zu sehen. Für Romi Alonso gibt es trotzdem keine Alternative. 250 Euro zahlt sie für ihr spartanisches Zwei-Zimmer-Apartment. „Für das Geld kriegt man nirgendwo anders in Palma eine Bleibe." Ihr Gehalt als Zimmermädchen ist knapp bemessen, auch gesundheitliche Probleme machen ihr zu schaffen. „Ich würde schon gerne woanders hinziehen. Aber das ist einfach nicht möglich." Und irgendwie sei Corea ja auch ihr Zuhause. Ihre Mutter lebt hier, sie kennt viele Nachbarn. „Aber die Zustände sind einfach unwürdig."

Dem kann Víctor Blázquez nur zustimmen. Im Jahr 2000 kaufte der Spanier eine Wohnung in Block 12, dem einzigen Wohngebäude, das im Jahr 2011 renoviert worden ist. Probleme habe es auch damals, vor 20 Jahren, schon gegeben, aber seitdem sei alles noch viel schlimmer geworden. Die Aufhübschung seines Wohnblocks sei nicht viel mehr als Fassade. „Das Rathaus lässt die Infrastruktur hier absolut verkommen. Es ist eine Schande", sagt Blázquez energisch und deutet immer wieder auf ausgedruckte Fotos vor sich. Von offenen Stromkabeln, von aufgerissenem Asphalt und umgestürzten Bäumen. „Einer hat vergangenes Jahr sogar ein Auto getroffen", sagt er und deutet auf eine Aufnahme mit einem ziemlich demolierten Pkw. „Es ist ein Glück, dass da niemand drinsaß." Auch die dunklen Straßen hat er fotografiert. 17 Monate lang hätten sie in Corea ohne Straßenbeleuchtung ausharren müssen. „Das muss man sich mal vorstellen." Erst im Frühjahr habe das Rathaus endlich etwas dagegen unternommen. „Der Verfall zieht schlechte Menschen an. Und das können wir derzeit beobachten."

Über Drogenverkauf im Viertel mag Blázquez nicht reden, auch nicht über vermeintlich kriminelle gitanos oder Hausbesetzer. Nicht seine Nachbarn sind es, die er anprangern möchte, sondern die öffentlichen Institutionen. „Sie haben schon vor zehn Jahren gesagt, dass sie baulich aber auch sozial etwas im Viertel ändern wollen." Jedes Mal vor den Wahlen kämen die Parteien an, heuchelten Interesse. Von den Linken in Palmas Rathaus hatte sich Blázquez einiges erhofft. „Aber sie haben es nur noch schlimmer gemacht. Es ist ein Kalter Krieg gegen die sozialschwache Bevölkerung, die keine Anwälte und Experten auf ihrer Seite hat."

Wenn Aurora Jhardi das hört, klingt ihre Stimme bitter. „Ich kann den Unmut der Anwohner verstehen. Man müsste ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken, das stimmt. Aber zu sagen, dass wir alles nur verschlimmert haben, ist einfach nicht fair und auch nicht wahr." Jhardi ist als Stadträtin in Palmas Rathaus für den Norddistrikt zuständig. Ihre Mitarbeiter beschäftigen sich täglich mit den Problemen, die sich in Corea anhäufen. Man habe dem Viertel in dieser Legislaturperiode deutlich mehr Aufmerksamkeit und Gelder gewidmet als in der Vergangenheit. „Und vergleichsweise auch deutlich mehr als anderen Brennpunktvierteln wie Son Gotleu. Aber Probleme, die sich seit mehr als 30 Jahren anhäufen, kann man nicht in vier Jahren lösen." Man habe etwa 300.000 Euro in die Hand genommen, um die 20 Wohnungen, die Eigentum des Rathauses sind, zu renovieren, so Jhardi. „Zwölf sind bereits fertig, acht werden es in den nächsten Monaten." Man habe immer wieder Gespräche mit Banken geführt, denen ebenfalls ein Teil der insgesamt mehr als 500 Wohnungen gehört. Von ihnen stehen mehr als 30 leer oder wurden von Besetzern in Beschlag genommen. Man habe insgesamt 600.000 Euro Subventionen für die Renovierung von Privateigentum im Viertel lockergemacht. „Außer dem leeren Schotterplatz, an dem mal der Block 13 stand, sind nämlich alle Straßen, Bäume und Lampen in Privatbesitz." Und trotzdem habe das Rathaus Geld gegeben. Die Instandhaltung hätte zu 100 Prozent von diesem Geld finanziert werden können. „Die Anwohner hätten sich nur darum kümmern müssen."

Um helfen zu können, brauche es auch offizielle Eigentümervereinigungen der einzelnen Blöcke. „Die gab es lange nicht. Wir haben seit 2015 geholfen, 17 zu schaffen." Nicht zu vergessen die sozialen Aktivitäten, die man samstags für die Kinder und Jugendlichen anbiete. Auch mit der Reinigung habe das Rathaus eigentlich nichts zu tun, dennoch kämen Säuberungstrupps der Stadtwerke wöchentlich für die Grobreinigung und alle zwei Monate für eine Grundreinigung vorbei. „Wir haben 2016 sogar einen Vertrag aufgesetzt, der dem Rathaus über zehn Jahre die Befugnis gegeben hätte, jegliche Infrastruktur zu verwalten und instand zu bringen. Aber dafür hätten 100 Prozent der Eigentümer zustimmen müssen." Jhardi zufolge ein Ding der Unmöglichkeit. Zu unterschiedlich seien die Interessen der Menschen.

Den Eindruck bekommt man auch, wenn man durch die holprigen Häuserschluchten geht. An einer Ecke spielt ein langhaariger junger Mann Gitarre, Kinder mit vernachlässigtem Erscheinungsbild haben sich um ihn gescharrt. Nicht weit entfernt läuft ein adrett gekleideter Mann mit Krückstock. Er habe seinen Unterhalt stets mit ehrlicher Arbeit verdient, und nun doch eine verschwindend geringe Rente, erzählt der Mallorquiner. Corea sei seine Heimat, aber die Hausbesetzer sehe er gar nicht gerne. „Ich glaube schon, dass sich das Rathaus derzeit bemüht. Aber irgendwie wird es doch immer schlimmer hier mit der Kriminalität." Eine rundliche Frau um die 50 lacht zynisch auf. „Die Politiker sind doch alle gleich. Denen unser Viertel anzuvertrauen, das wäre doch Wahnsinn. Das Einzige, was sie tun, ist Häuser abzureißen. Mit Fördermitteln von der EU."

Wie viel Geld denn nun aus Brüssel für die geplante Grünfläche im Herzen Coreas geflossen und was genau damit geschehen ist, kann auch Aurora Jhardi nicht beantworten. Erst Nachforschungen im Rathaus geben Aufschluss: Rund 1,6 Millionen Euro zahlte die EU zwischen 2007 und 2013, statt geplanten 2,9 Millionen. „Für einen Kinder- und Jugendtreff, für den Abriss von Block 13, für die Förderung von Integration und Chancengleichheit, für Personal", heißt es aus dem Baudezernat knapp. Von einem Park ist keine Rede mehr. Dafür müssten ohnehin zunächst drei weitere Blocks abgerissen werden, allen voran Block 8. Doch die Umsiedlung der dort beheimateten Familien sorgt seit Jahren für Probleme. Die Menschen zeigten keine Kooperationsbereitschaft, sagen die einen. Das Rathaus übergehe ihre Bedürfnisse, sagen die anderen.

Für Víctor Blázquez und Romi Alonso kommt ein Abriss nicht infrage. Obwohl sie selbst in anderen Blocks wohnen. Im vergangenen Herbst haben sie die Bürgerinitiative Salvem Camp Redó gegründet. Bis zu 90 Personen kämen zu den Versammlungen. Nicht die Mehrheit der Anwohner von Camp Redó, aber immerhin. „Bis wir keine greifbaren Verbesserungen im Viertel sehen, lassen wir nicht zu, dass ein weiteres Gebäude abgerissen oder Familien auf die Straße gesetzt werden. Wir schweigen nicht weiter, wir werden kämpfen."