Drohnenflüge über Mallorca sind eigentlich Synonym für idyllische Bilder. Die Aufnahmen, die das Topographie-Institut Estop am Mittwochmittag (10.10.) im Osten von Mallorca machte, zeigen dagegen eine verwüstete Landschaft. Die schlammbraunen Straßen von Sant Llorenç sind für den Verkehr gesperrt, Bagger fahren durch den Schlick und an Haufen von Schwemmgut vorbei, Autowracks werden auf Abschleppwagen geladen. Während die Suche nach Todesopfern am Nachmittag weitergeht, sind die Aufräumarbeiten in vollem Gange.

Video: Die Schäden in Sant Llorenç aus Drohnensicht

Die Dämmerung setzte gerade am Dienstagabend ein, als die Katastrophe, die mindestens zehn Menschen das Leben kosten sollte, allmählich ihren Lauf nahm. Innerhalb von zwei Stunden fielen im Inselosten mehr als 150 Liter Regen pro Quadratmeter - insgesamt erfasste die Wetterstation von Colònia de Sant Pere für Dienstag 232,8 Liter, die von Artà immerhin 157,4 Liter. Der Sturzbach in Sant Llorenç - ein während der meisten Zeit weitgehend ausgetrocknetes Bachbett - schwoll an, trat über die Ufer und riss Fahrzeuge aller Art wie Spielzeug mit sich. Die Spur der Verwüstung zieht sich entlang des torrente über Son Carrió bis zum Küstenort s'Illot, wo der Sturzbach ins Meer mündet.

Dramatische Szenen

Am Meer wurden die Fluten für ein britisches Urlauber-Paar zur Todesfalle, das im Bereich der Mündung in einem Taxi unterwegs war. Während ihre Leichen geborgen werden konnten, blieb der Verbleib des Fahrers unklar. Auch eine Holländerin kam zu Tode, und bei einem weiteren, noch nicht identifizierten Opfer könnte es sich ebenfalls um einen Ausländer handeln. Bilanz der Todesopfer: sechs Männer, vier Frauen, drei in Sant Llorenç, zwei in Artà, drei in s'Illot, zwei in Son Carrió. Eine Frau in Sant Llorenç konnte gerade noch eines ihrer Kinder aus einem in die Fluten geratenen Pkw retten, bevor sie starb. Auch der ehemalige Bürgermeister von Artà, Rafel Gili, kam zu Tode. Die Suchmannschaften konzentrierten sich gegen Mittag auf das offene Meer, in das einige Fahrzeuge geschwemmt worden waren. Die Suche nach einem vermissten Kind sollte auch in der Nacht fortgesetzt werden.

Während viele Menschen erst am Morgen von der Katastrophe erfuhren, begann für die Bewohner wohl eine der schlimmsten Nächte ihres Lebens. Sie wurden im Auto von den Wassermassen überrascht, retteten sich schwimmend oder mit Hilfe der Einsatzkräfte, mussten mit ansehen, wie in ihren Häusern das Wasser anstieg, harrten auf Dächern und Bäumen aus und verbrachten schließlich die Nacht in einer nahegelegenen Turnhalle - allein im Sportkomplex von Manacor schliefen 120 Betroffene. Er habe die ganze Nacht kein Auge zugetan, erklärte der übermüdete Bürgermeister von Sant Llorenç, Mateu Puigròs, am Morgen danach gegenüber der MZ.

Herkulesaufgabe für Rettungskräfte

Insgesamt mehr als 600 Einsatzkräfte beteiligten sich an der Suche nach Opfern und an den Bergungsarbeiten, neben Feuerwehr, Guardia Civil, Nationalpolizei, Zivilschutz, Rotem Kreuz und freiwilligen Helfern auch 120 Spezialkräfte des Militärs. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung stellte die Notrufzentrale allerdings auch vor Probleme: „Die Leitungen des 112 sind völlig überlastet", hieß es am Mittag auch auf Deutsch im sozialen Netzwerk Twitter. „Bitte rufen Sie uns nicht an, um Ihre Hilfe anzubieten, wir brauchen freie Leitungen für Notrufe."

Ein Feuerwehrmann, der ab 20.30 Uhr im gesamten betroffenen Gebiet im Einsatz war, berichtet der MZ wie schwer es war, zu den Menschen zu gelangen, die auf Bäumen und Dächern saßen. „Die Straßen waren durch umgestürzte Bäume oder auch weggeschwemmte Autos blockiert." Mehrmals habe man wenden und eine alternative Route suchen müssen, um an den Einsatzort zu kommen. Es habe ein Gefühl von Ohnmacht bei den Menschen geherrscht. „Allerdings hatten wir auch nicht viel Zeit, um mit ihnen zu reden, da pausenlos neue Einsätze reinkamen."

Rund ein Dutzend Landstraßen im Gebiet von Son Servera, s'Illot, Artà und Capdepera blieben auch am Mittwoch geschlossen - die Fluten hatten streckenweise Teile der Fahrbahn fortgespült. Der Inselrat riet von Fahrten in den Inselosten ab. In Sant Llorenç, Artà, Colònia de Sant Pere und Son Servera fiel am Mittwoch jeglicher Schulunterricht aus.

Straßensperrungen: interaktive Karte des Inselrats

Sant Llorenç wurde mit Ausnahme für die Rettungsfahrzeuge ganz abgeriegelt. Ins Dorf selbst sei kein Vorkommen gewesen, berichtet der Brite Mark Whiting, dessen Haus auf einem Hügel außerhalb des Orts zum Glück nicht von der Überschwemmung betroffen war. „Es wurden nur Personen hineingelassen, die auch Angehörige im Dorf haben." Am Morgen sei er dann zu Freunden gefahren, um dort mit ihnen den Keller auszupumpen. „Viele Feldwege sind weggeschwemmt", sagt er am Mittwochmorgen. Das Wasser habe sich aber bereits zurückgezogen.

Die Insel-Politiker sowie auch der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez versammelten sich unterdessen an der Ortseinfahrt von Sant Llorenç. Die Gegend im Osten von Mallorca werde zum Katastrophengebiet erklärt, versprach der Spanien-Premier. Es werde genügend Geld bereit gestellt, um alle materiellen Schäden der Opfer zu berücksichtigen, so der Sozialist zwischen Beileidsbekundungen und Dankesworten an die Helfer.

Lange Spur der Verwüstung

Auch an der Küste in s'Illot bot sich ein Bild der Verwüstung. Der Ort war am Morgen voller Schlamm und Trümmer, von den Fluten mitgerissene Pkws prägten das Bild. Zahlreiche Ladenlokale wurden beschädigt. „Das war viel heftiger als 1989", berichtet der deutsche Resident Erich Kuhner, der bereits 1980 auf die Insel gekommen war. Das Unwetter vor knapp 30 Jahren hatte drei Menschen das Leben gekostet. Die Flut vom Dienstagabend habe vor allem die Brücken in Mitleidenschaft gezogen. „Die Aufräumarbeiten klappen aber hervorragend." Gegen 11 Uhr konnte die Brücke wieder geöffnet werden, die die Ortsteile von Sant Llorenç und Manacor miteinander verbindet. Dutzende Urlauber waren zu sehen, die besorgt die Schäden betrachteten.

Weiter nördlich in Colònia de Sant Pere (Gemeinde Artà), regnete es zwar am heftigten, es wurden aber nur Sachschäden beklagt. „Wo ist mein Auto?", fragte etwa Anwohner Jordi Santamaria am Dienstagabend (9.10.) in seiner Whatsapp-Statusmeldung und zeigte ein Video von einem Sturzbach, in den sich die Straße vor seinem Haus verwandelt hatte. „Ich habe es ein paar hundert Meter weiter gefunden", erzählt er am Mittwochmorgen. „Es hatte nur einen kaputten Reifen, nicht mal eine Delle." Schlimmer habe es im kleinen Küstenörtchen den Asphalt getroffen, viele Straßen sind aufgerissen, der Strand ist zugemüllt. Da sich das Wetter aber beruhigt hatte, waren viele Menschen auf der Straße um aufzuräumen.

Und auch noch weiter im Süden der Insel, im Gemeindegebiet Manacor, waren die Auswirkungen des Unwetters zu spüren. Ein MZ-Leser, der in einem Hotel in Cala Mandia seinen Urlaub verbringt, berichtete Dienstagabend in einer Facebook-Nachricht von Windhosen, Caps de fibló: „Hier waren heute zwei Wirbelstürme zu sehen, zum Glück nur auf dem Meer. Zwischendurch geht im Hotel der Strom aus, und aus einigen Lampen kommt Wasser heraus."

Weitere Hintergrund-Informationen in der Printausgabe vom 11. Oktober sowie im E-Paper

- Sant Llorenç: Begegnung mit Menschen, die alles verloren haben

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