Der durchdringende Ton einer Kreissäge erfüllt am Dienstag (16.10.) die Straßen von Sant Llorenç im Osten von Mallorca, auch Hammerschläge sind zu hören. Ansonsten ist es ruhig im Dorf, das eine Woche zuvor von Regenmassen geflutet wurde und die schlimmste Katastrophe der Lokalgeschichte erlebt hat. Die Straßen und Hausfassaden sind weitgehend frei vom braunen Schlamm, der wenige Tage zuvor noch das Bild prägte. Man muss genau hinsehen, um die Spuren an den Wänden zu erkennen, die das anderthalb Meter hohe Wasser hinterlassen hat, als es durch die Straßen brauste. Auch die Autowracks und Berge zerstörter und verdreckter Möbel, die sich auf den Bürgersteigen häuften, sind verschwunden.

Welle der Solidarität auf Mallorca

Während beim MZ-Besuch am Donnerstag (11.10.) noch Scharen freiwilliger Helfer am Werk waren, ist nun weniger los. „Nicht, weil die Menschen Sant Llorenç vergessen hätten, sondern einfach, weil für Zivilisten kaum noch etwas zu tun ist", sagt Celso Torrado von der Protección Civil. „Dank der Hilfe all dieser Menschen haben wir es geschafft, dass das Dorf innerhalb einer Woche zu 90 Prozent zur Normalität zurückgekehrt ist."

Noch immer führt die Proteción Civil am Ortseingang die Einsatzzentrale, doch es sind bereits deutlich weniger Soldaten, Polizisten, Journalisten und Feuerwehrmännern vor Ort. „Es war unglaublich, schon am Tag nach der Flut kamen die Freiwilligen in Scharen, aber wir mussten sie abweisen, weil es einfach zu gefährlich war", berichtet Torrado. Dass, wie die MZ erfuhr, unmittelbar nach der Katastrophe Feuerwehrmänner und andere professionelle Einsatzkräfte weggeschickt worden sein sollen, die an ihren freien Tagen helfen wollten, kann er nicht bestätigen. Am Tag Zwei nach der Flut, als keine Gefahr mehr drohte, habe man gut 1.100 Zivilisten in das zum Teil gesperrte Gebiet gelassen, die aus allen Ecken der Insel kamen. Berufsschulklassen, die anpacken wollten, statt Unterricht zu machen, Sportvereine, Einzelpersonen. Auch Tennis-Star Rafa Nadal sah man auf Fotos mit Gummistiefeln und Besen in der Hand. Insgesamt hätten mehr als 4.000 Menschen allein im Gemeindegebiet Sant Llorenç auf die Tage verteilt angepackt, sich schmutzig gemacht und mit ihrer Muskelkraft dafür gesorgt, dass das Dorf, aber auch die ebenfalls schwer getroffenen Orte Son Carrió und S'Illot vom Gröbsten befreit wurden.

Joan Morell ist einer von ihnen. Unermüdlich hat der kräftige Mann mehrere Tage am Stück geackert. „Ich komme aus Llucmajor, bei uns war gar nichts, also habe ich mir freigenommen, um Miguel zu helfen", erzählt er der MZ am Donnerstag (11.10.) mit Blick auf seinen Freund Miguel Oliver, dessen Haus in Sant Llorenç besonders heftig betroffen war. Miguel schießen die Tränen in die Augen, wenn er erzählt, dass Freunde, aber auch völlig Fremde plötzlich wie selbstverständlich vor seiner Haustür standen und anfingen, das Desaster zu beseitigen. Am Dienstag (16.10.), sieht Olivers Haus zumindest von außen fast so aus, als sei nichts gewesen. Im Inneren ist es sauber, doch es herrscht gähnende Leere. „Wir haben alles verloren. Möbel, Elektrogeräte, Kleidung, alles mussten wir wegschmeißen", sagt er.

Erst aufräumen dann reparieren

Auch ein paar Häuser weiter zeigt sich, welche Kraft die Wassermassen hatten. Hier versucht Joan Ordinas, Schreiner und Freund der Eigentümer, gerade, die Haustür zu reparieren und gewährt der MZ Einlass. Die Wände sind sauber, aber übersät von Rissen, die Holzmöbel weisen Splitter und verbogene Scharniere auf. „Jetzt, wo sie nicht mehr vom Wasser aufgequollen sind und das Holz sich wieder zusammenzieht, merkt man, dass die Türen nicht mehr schließen", so Fachmann Ordinas. Er wohnt im oberen Teil des Dorfes, der von den Sturzbächen verschont blieb, und habe die Straßen auf den Videos im Fernsehen und Internet selbst nicht wiedererkannt, durch die erst die Wassermassen strömten, und auf denen am Freitag (12.10.) das spanische Königspaar zum Ortstermin im Katastrophengebiet entlangschritt.

In der Straße, die zum kleinen Rathaus führt, versucht indes Salvador Galmes, einen Stromkasten in seinem Treppenhaus zu reparieren. „Brauchst du Hilfe?", fragt ihn ein junger Mann, der sich als Tomeu Obrador vorstellt. Gemeinsam mit zahlreichen Kollegen ist der gelernte Elektriker aus Manacor hergekommen, sie alle arbeiten entgeltlos. „Ein Großteil der Häuser hat provisorisch schon wieder Strom, jetzt versuchen wir, die Feinarbeiten zu machen und gehen von Tür zu Tür", sagt er. Galmes lehnt dankend ab. „Aber es ist ein schönes Gefühl, so viel Hilfsbereitschaft zu erfahren", sagt er und macht sich wieder an seinen Stromkasten. „Und es stimmt, äußerlich herrscht fast schon wieder Normalität.

Aber die Schäden im Inneren, die werden lange bleiben, und damit meine ich nicht nur die materiellen." Zwei kleine Nachbarskinder beispielsweise seien traumatisiert, trauten sich noch immer nicht ins Erdgeschoss oder auf die Straße, seit diese sich vor ihren Augen in einen tödlichen Fluss verwandelt hatte. „Psychologen kümmern sich um sie. Aber für die Kleinen ist es besonders hart." Und auch seine Nachbarin von gegenüber habe den Schock noch immer nicht überwunden. „Vier Stunden hat sie in ihrem Hinterhof ausgeharrt, auf schwimmenden Möbeln sitzend, bis sie gefunden wurde. Das vergisst man nicht so schnell."

„Mehr als 60 Firmen wie Klempnereien, Gärtnereien und Schreinereien haben sich formiert, und sie sind es, die wir jetzt, wo das Gröbste beseitigt wurde, am besten gebrauchen können", sagt Celso Torrado von der Protección Civil, den die MZ auf dem Rathausplatz wiedertrifft. Mehrere Pflastersteine hat die Flut hier mit sich gerissen. Hinter dem Rathaus hat ein Lotto-Laden schon wieder geöffnet - als eines der wenigen Geschäfte im Ort. Im Tabakladen gegenüber ist an Verkauf nicht zu denken: Er ist komplett leer geräumt, abgesehen von mehreren Leitern, auf denen Handwerker stehen und Stromkabel verlegen.

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Die Aufräumarbeiten in Sant Llorenç gehen voran

Tote Tiere

Am Ortseingang parkt Miguel Alorda seinen offenen Laster, von dem ein betäubender Gestank ausgeht. „Das sind die Überreste eines Schafes", sagt Alorda und zieht eine Grimasse. „Seit vier Tagen sind wir zu dritt vom Tierschutzzentrum des Tierheims Natura Parc aus in der Gegend unterwegs, um Tierkadaver einzusammeln, und wir finden noch immer welche", sagt er. Es sei derzeit schwer zu sagen, wie viele Hühner, Schafe, Kühe, Ziegen und Pferde in den Fluten verreckten. „Viele, sehr viele. Vor allem die, die in Ställen eingesperrt waren, hatten keine Chance." Die Kadaver zu beseitigen sei wichtig. Nicht nur in der Gemeinde Sant Llorenç habe es die Tiere erwischt, sondern auch an den Sturzbächen rund um Artà und Canyamel läge noch immer totes Vieh herum.

Auch dort sind die Aufräumarbeiten in den vergangenen Tagen in Rekordzeit vorangeschritten. Während José Antonio Gutiérrez am Donnerstag (11.10.) noch aufgelöst inmitten seines verwüsteten Hauses in Canyamel stand, und der MZ verzweifelt berichtete, dass er sich am Tag Zwei nach der Flut von der Gemeinde alleine gelassen fühlte, kann er 24 Stunden später schon wieder lachen: Gut ein Dutzend Freunde sind von der ganzen Insel angereist, um ihn zu unterstützen und haben großartiges geleistet. Und wenige Meter weiter sind mehr als 200 Freiwillige und Lokalpolitiker dabei, gemeinsam eine ganze Tiefgarage samt Lagerräumen von Restaurants trockenzulegen. Stunde um Stunde, unermüdlich. „Gleich zwei Mal in so kurzer Zeit habe ich erlebt, was ich so niemals gedacht hätte", sagt Cristobal Guerrero, einer der betroffenen Gastwirte. „Erst die Flut, die alles mit sich reist, und dann diese überwältigende Welle an Menschlichkeit."