Miguel Félix Chicón leitet seit dem Jahr 1996 das Zentrum der Seenotrettung in Palma de Mallorca. Von dort aus werden Hilfseinsätze in den Balearen-Gewässern koordiniert, einem Gebiet von rund 80.000 Quadratkilometern.

Können Sie sagen, wie viele Menschen Sie in diesen mehr als 20 Jahren gerettet haben?

Unmöglich. Jährlich sind es zwischen 1.000 und 2.000 Menschen.

In keinem Zentrum der Seenotrettung in Spanien gab es im vergangenen Sommer so viele Einsätze im Bereich der Yachten wie auf den Balearen. Warum?

Ganz einfach: Weil im Sommer schlichtweg viel mehr Freizeit-Kapitäne unterwegs sind und die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass etwas passiert. Spanienweit liegt der Anteil der Rettungseinsätze bei Freizeitbooten bei 55 Prozent, in Katalonien und auf den Balearen sind es dagegen 85 Prozent.

Was sind die häufigsten Ursachen dafür, dass Sie ausrücken müssen?

Mechanische Pannen der Boote. Weil der Motor ausfällt, die Filter versagen oder die Steuerung. Manchmal geht den Ausflüglern aber auch einfach nur der Sprit aus.

Glauben Sie, dass der derzeitige Boom der Yacht- und Segelbranche letztendlich dazu führt, dass uns der Respekt vor dem Meer verloren geht?

Nein. Die Menschen sind im Urlaub und schalten ab, das ist normal. Aber auf dem Meer kann schnell etwas passieren, auch erfahrenen Seeleuten. Und erst recht, wenn die Steuerleute entspannt, wenig aufmerksam und unerfahren sind. Deshalb versuchen wir von der Seenotrettung auch immer, die Leute davon zu überzeugen, die Vorbereitung und Schulung als Teil ihres Meeresabenteuers zu betrachten.

Was kann man tun, um Vorfällen auf dem Meer vorzubeugen?

Zuerst sollte man die meteorologischen Bedingungen beobachten. Wenn schlechtes Wetter ist, darf man nun mal nicht rausfahren. Das Boot sollte in perfektem Zustand sein und auch Schwimmwesten und Süßwasservorräte an Bord haben sowie sonstige Ausrüstung, die in Notfällen helfen könnte. Eine Warnlampe, die nur wenige Euro kostet, kann nachts den Unterschied ausmachen, ob dich ein Helikopter findet oder nicht. Den Unterschied, ein Leben retten zu können oder nicht.

Kommen die Balearen-Gewässer in der Hochsaison an ihr Limit?

Nein. Es gibt viele Boote. Aber das Meer hat kein Limit. Ich vermute, dass man vom Land aus eher den Eindruck der Überfüllung hat. Da sieht man eine Badebucht, in der viele Boote ankern, aber nicht die verlassene, schwer zugängliche Bucht nebenan. Denn viele Leute wollen auf ihren Yachten gesehen werden.

Teilen Sie die Kritik der Umweltschützer am Ankern auf Neptungraswiesen?

Ich habe keine wissenschaftlichen Argumente. Aber ein Seemann würde niemals auf solchem Grund ankern, einfach weil das Schiff dort nicht sicher festgemacht werden kann. Der Anker greift dort nicht richtig.

Dieses Jahr ist die Zahl der Flüchtlingsboote aus Nordafrika in die Höhe geschossen.

Hier auf den Balearen nicht so sehr. Das war mehr bei unseren Kollegen in Almería, Tarifa und Cartagena. Auf den Balearen entdecken die Kollegen von der Guardia Civil die Boote, und je nach Fall holen sie uns zur Hilfe. Es sind aber andere Arten von Flüchtlingsbooten, die die Balearen-Inseln erreichen. Keine überfüllten Nussschalen. Außerdem versuchen die Ankömmlinge, hier unentdeckt zu bleiben, während die in der Gegend von Alborán (an der Meerenge von Gibraltar, Anm. d. Red.) gefunden werden wollen.

Auch bei der Flutkatastrophe am 9. Oktober im Osten von Mallorca kam die Seenotrettung zum Einsatz. Wie konnten Sie helfen?

Wir wurden von der zentralen Notfalleinsatzstelle darüber informiert, dass Autowracks über die Sturzbäche ins Meer gelangt sind. Also setzten wir unseren Helikopter und eines unserer Schiffe für Soforthilfe ein, das in Alcúdia stationiert ist. Wir versuchten, bei der Suche nach den Vermissten zu helfen, zu schauen, ob auch sie ins Meer getrieben worden waren. An Land durften wir uns nicht beteiligen, da haben wir keine Einsatzbefugnis.