Lucas Abril steht an die Glastür in Sant Llorenç im Osten von Mallorca gelehnt, die einst den Eingang der kleinen Bäckerei ausmachte. Einen Monat ist es her, dass die MZ an derselben Stelle Abrils Ehefrau Angela traf. Aufgelöst, verzweifelt. Die Überschwemmungskatastrophe vom 9. Oktober hatte ihr kleines Ladenlokal verwüstet, das gesamte Inventar war vom braunem Schlamm zerstört. Eine Versicherung hatte sie keine. "Sie hat alles verloren, das muss man erst einmal verkraften", sagt ihr Mann, "sie ist jetzt in psychologischer Behandlung." Angela sei vor 12 Jahren aus Ecuador nach Sant Llorenç gekommen. Mit ihren Ersparnissen aus 20 Jahren harter Arbeit in ihrem Heimatland habe sie damals die Bäckerei eröffnet.

Coca Cola habe ihnen einen Getränkekühlschrank geschenkt, sagt Lucas Abril, ansonsten hätten sie auch jetzt, einen Monat nach der Katastrophe, noch keinen Cent an Hilfsgeldern gesehen. Dabei weist ein Schild am Eingang darauf hin, dass hier bereits Inspekteure der Balearen-Regierung den Schaden begutatchtet haben. „Vielleicht hat der Vermieter des Lokals Geld bekommen. Wir jedenfalls nicht", sagt Abril. „Nächste Woche beginnen wir mit dem Streichen, wenn Angela wieder mehr Energie hat. Und dann fangen wir von vorne an. Es ist wichtig, wieder aufzustehen."

Vorher-Nachher-Vergleich: Foto-Slider aus dem Katastrophengebiet

Der Dreck, die Autowracks und die Berge ramponierter Möbeln waren in Sant Llorenç bereits eine Woche nach der Flut dank Tausender freiwilliger und professioneller Helfer größtenteils beseitigt worden. Das große Einsatzlager am Ortseingang ist wieder abgebaut. Darüber hinaus aber hat sich erstaunlich wenig getan. Zwar prangen an vielen Häusern die „Inspeccionat"-Schilder, doch noch immer sind viele Plätze und Ecken abgesperrt und einige Grundstücke verwüstet. Der Tabakladen an der Hauptstraße, der wenige Tage nach dem Unglück bereits neue Stromkabel bekommen hatte, gleicht mehr den je einem Rohbau. „Wir mussten alles neu machen, das Wasser hat die Struktur der Mauern angegriffen, das dauert noch Wochen, bis hier wieder etwas verkauft werden kann", erzählt ein Arbeiter.

Betroffene organisieren sich

Derweil wächst im Dorf der Unmut. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat sich eine Menschentraube gebildet. Wild gestikulierend verteilt Xisco Seda Handzettel. "Asociació d'Afectats per la Torrentada 2018" ist darauf zu lesen. "Wir haben die Vereinigung vor ein paar Tagen gegründet", erzählt Seda, selbst Flutopfer. Aus der Not heraus. Um selbst Spenden einzutreiben, und sie direkt an die Bedürftigen zu verteilen. "Denn von all den Spendengeldern, die im Rathaus eingegangen sind, haben wir Betroffenen bisher keinen Cent gesehen."

Die einzige Institution, die bereits nach 14 Tagen Geld an Bürger überwiesen habe, die Häuser, Fahrzeuge und Ladenlokale verloren, sei die Balearen-Regierung gewesen - die derzeit von der Opposition im Balearen-Parlament für Pannen bei der Organisation der Rettungseinsätze verantwortlich gemacht wird. Bis zu 5.500 Euro pro Haushalt überwies die Landesregierung. "Aber was ist mit dem Geld, das auf den Spendenkonten des Rathauses liegt? Worauf warten sie? Die Leute brauchen es sofort, sie haben alles verloren", sagt Seda.

"Wir können nichts überstürzen, wir müssen erst einmal ausloten, wie viele andere öffentliche Gelder den Menschen zukommen werden, bevor wir die Spenden verteilen", entgegnet Bürgermeister Mateu Puigròs, der die MZ in den Räumlichkeiten des Kulturzentrums empfängt. Genau wie im Rathausgebäude um die Ecke herrscht hier geschäftiges Treiben, die Telefone stehen nicht still. Neben der Organisation von Spendengeldern und Aufbauarbeiten öffentlicher Infrastruktur ist man auch damit beschäftigt, so viele Dokumente wie möglich aus dem gefluteten Gemeindearchiv zu retten. Feste Arbeitszeiten sind den Mitarbeitern in den vergangenen Wochen fremd geworden.

Hintergrund: Interview mit Puigròs direkt nach der Katastrophe

"Gut eine Million Euro sind auf den Spendenkonten eingegangen, sie werden zu 100 Prozent den betroffenen Privatleuten zukommen. Und wir wollen nächste Woche damit beginnen, sie zu verteilen", sagt Mateu Puigròs. Zunächst solle es eine Zahlung von 1.500 Euro pro bewohntem und 750 Euro pro unbewohntem Gebäude geben. Dann wolle man weitersehen.

"Was sollen wir damit? Das ist doch viel zu wenig", sagt Xisco Seda, den die MZ wenig später auf der Straße wiedertrifft. Er habe sich zudem mehr Unterstützung vom Rathaus dabei gewünscht, das Versicherungskonsortium davon zu überzeugen, die Frist von einem Monat zu verlängern, innerhalb derer die Anwohner ihre Schadensfälle standardmäßig auflisten müssen. "Die Inspektoren kommen gar nicht hinterher, bis zum Stichtag sind es noch drei Tage und manche Häuser wurden noch gar nicht begutachtet", sagt er. Zudem sei klar, dass die Versicherungen nicht in der Lage seien die gesamten Schäden zu übernehmen.

„Positiv überrascht"

Im Stadthaus des Deutschen Frank Schulz nahe des Zentrums sind schon zahlreiche

Gutachter vorbeigekommen. "Ich bin positiv überrascht davon, wie gut das hier alles läuft", beurteilt er. Zwar sei er ständig dabei, Dokumente auszufüllen und zusammenzutragen. "Aber ich habe das Gefühl, dass das Rathaus da hinterher ist, dass es schnell geht." Er schätzt den Schaden im Stadthaus auf etwa 70.000 Euro, in einer weiteren Immobilie auf 30.000 Euro. Insgesamt habe er von der Balearen-Regierung bisher 8.500 Euro erhalten.

Marlies Spreckels, ebenfalls Deutsche, die auf der anderen Seite des Ortskerns wohnt, hat gar nicht erst versucht, öffentliche Gelder oder Spenden zu beantragen. "Wir nutzen das Haus nur als Zweitwohnsitz, haben gar keine residencia. Andere hat es noch viel schlimmer getroffen als uns, da ist es schon in Ordnung, wenn wir nichts bekommen", sagt sie und hofft auf ihre Versicherung.

Der Mallorquinerin Maria Eugenia Jaume, die sich der neuen Betroffenen-Vereinigung angeschlossen hat, ist dagegen die Verzweiflung anzuhören. Ihre Familie betreibe etwas außerhalb mehrere Gemüsegärten. Von den Anpflanzungen, den Schuppen und Holzvorräten sei nichts übrig geblieben. "Man hat uns gegenüber angedeutet, dass wir von öffentlichen Geldern und von den Spenden im Rathaus nichts bekommen, weil wir nicht im Einzugsgebiet liegen."

INFO: SO WIRD GEHOLFEN

Die Spenden, die in den vergangenen Wochen für die Flutopfer im Inselosten zusammengetragen wurden, sind vielfältig. Wie das Rathaus von Sant Llorenç gegenüber der MZ bestätigte, sind vor allem in den ersten Tagen nach der Katastrophe tonnenweise Reinigungsutensilien eingegangen. Danach kamen die Spenden von Kleidern, Möbeln und Elektrogeräten. Und auch die Spendengelder. Allein die Supermarktkette Eroski sammelte unter ihren Kunden 140.000 Euro für den Inselosten.Auch die von Deutschen betriebene Facebook-Gruppe „Cala Ratjada Insider" brachte einiges zusammen: Mehr als 21.000 Euro spendeten Mallorca-Deutsche und Urlauber hier in den vergangenen Wochen. Das Geld ist größtenteils auf die betroffenen Gemeinden verteilt worden. „Hinzu kommen Sachspenden in Höhe von mehreren zehntausend Euro, darunter Baumaterialien, die erst zum Einsatz kommen können, wenn die Häuser vollständig von Feuchtigkeit befreit sind", so Gruppen-Administrator Jürgen Umland zur MZ. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Vereinigungen und Anwohnern veranstalten die „Insider" am Sonntag (11.11.) zudem einen Solidaritätstag auf der Plaça Orient in Capdepera, dessen Einnahmen ebenfalls zu 100 Prozent an die Flutopfer gehen sollen.

Die Traditionsmannschaft des Bundesligisten Fortuna Düsseldorf hat bei einem Benefizspiel und durch Sammlungen des Fortuna-Fanclubs an der Playa de Palma bereits knapp 7.000 Euro zusammen bekommen. Und Real Mallorca plant für Dienstag (13.11.) ein Solidaritätsspiel gegen die Balearen-Auswahl, dessen Erlös ebenfalls an die Flutopfer gehen soll.Neben den offiziellen Spendenkonten bei der Banca March (ES12 0061 0022 8300 7356 0118), bei der Caixa Bank (ES86 2100 0161 8802 0018 8265) und bei Bankia (ES41 2038 6579 8360 0067 5091) hat auch die neu gebildete Anwohnervereinigung „Associació per la torrentada 2018" in Sant Llorenç ein Konto eröffnet (La Caixa, ES90 2100 0161 8102 0018 8730). Freiwillige Helfer können zudem über E-Mail (afectatssantllorenc@gmail.com) oder telefonisch (678-99 82 66) direkt mit der Betroffenen-Vereinigung in Verbindung treten.