Carles López hat einen straffen Zeitplan. Zwei Tage pro Woche fährt er von seinem Wohnort Barcelona aus nach Madrid. Dort trifft er auf Minister und Entscheidungsträger, hält Reden und leitet Versammlungen. An den Wochenenden ist López häufig spanienweit unterwegs, auf Seminaren und Fortbildungen. Und selbst wenn er es einmal im Monat für ein paar Tage zum Heimatbesuch nach Mallorca schafft, reist seine Arbeit mit - Telefonkonferenzen können schließlich von überall aus geführt werden. Sein Terminkalender gleicht dem eines Spitzenpolitikers, dabei ist er erst 22 Jahre alt und studiert Jura und Politikwissenschaften an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Doch sein Amt als Vorsitzender des spanischen Dachverbands der Schülervereinigungen (CANAE) nimmt ihn fast gänzlich ein. „Manche sagen, ich sei verrückt. Aber ich finde, es ist eine tolle Gelegenheit."

Die MZ trifft den jungen Mann im Zentrum seiner Heimatstadt Manacor. Er sieht keinen Tag älter als 22 aus, doch wenn er zu reden beginnt, könnte man meinen, es mit einem Mittvierziger zu tun zu haben. Einem Mittvierziger, der bereits zahlreiche Rhetorikseminare belegt hat, und es gewohnt ist, sich vor der Öffentlichkeit zu artikulieren. „Junge Leute müssen sich immer mehr beweisen als die Älteren", sagt López. Das habe er bereits vor zwei Jahren erlebt, als er erstmals einen öffentlichen Vortrag im spanischen Abgeordentenhaus hielt. „Anfangs denken die meisten: 'Was für ein Kind.' Oft merken sie erst später, wie viel Erfahrung viele von uns bereits haben."Das sei so ein Punkt, der sich unbedingt ändern müsse. „In der Politik heißt es immer, die Jugend sei die Zukunft. Viele verstehen nicht, dass wir auch Teil der Gegenwart sind." Ein Fach wie „Mitbestimmung" in den Schulen einzuführen, in dem die Kinder angeleitet werden, sich aktiv einzubringen, ist deshalb ein Ziel, das ganz oben auf seiner politischen Agenda steht.

Dass seine Arbeit Dinge verändern kann, weiß er mittlerweile. Mit CANAE brachte er mehr Änderungsvorschläge in den Entwurf des neuen Bildungsgesetzes ein als jegliche andere Vereinigung. Zum Beispiel ein Evaluationsprogramm, bei dem Schüler ihre Lehrer bewerten, ein ausgeweitetes Vergabesystem für Stipendien an Schulen oder konkrete Anti-Mobbing-Maßnahmen.

Geld bekommt er für sein Engagement nicht - nur Spesen von 8,50 Euro pro Tag. Während Politiker mit Limousinen oder Dienstwagen mit Chauffeur zu den Sitzungen kutschiert werden, kommen López und seine Mitstreiter in der Regel mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Als Unterkunft dienen oft Mehrbettzimmer in Hostels. „Vom Schlafsaal aus geht's dann direkt zur Ministerin." Es sei auch schon vorgekommen, dass der CANAE-Vorstand in seiner Zentrale übernachten musste, weil keine günstigen Hostels zur Verfügung waren. „Da ist man dann erst bei einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten und legt sich dann ins Büro zum Schlafen", sagt López. Beschweren will er sich darüber nicht. „Wir werden mit öffentlichen Geldern finanziert, und wenn wir mehr zur Verfügung hätten, würde ich es bestimmt nicht für Hotelübernachtungen ausgeben." Trotzdem störe ihn manchmal die Haltung älterer Politiker. „Wir machen im Prinzip die gleiche Arbeit wie sie, aber sie denken, nur weil wir jung sind, könnten wir ruhig auf den Komfort verzichten, dabei haben wir es im Alltag dadurch viel schwerer als sie."

Dass es López, der in Manacor auf die öffentliche Gesamtschule IES Mossèn Alcover ging, einmal in die Politik ziehen würde, sei keinesfalls vorherbestimmt gewesen. „Ich würde mich nicht als überdurchschnittlich interessiert oder engagierte Person bezeichnen", sagt er. Auch von seinen Eltern habe er die Politik-Affinität nicht geerbt. „Meine Mutter arbeitet in der Verwaltung und mein Vater in einem Geschäft für Tierfutter. Meine kleine Schwester hat nichts mit Politik am Hut." Er selbst sei mit acht Jahren zum Klassensprecher gewählt und mit 13. von der balearischen Schülervereinigung FADAE zu einem Treffen in Palma eingeladen worden. „Da habe ich glernt, dass man auch als Schüler einiges bewirken kann."

Heute blickt López anerkennend auf andere engagierte Jugendliche wie die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, die mit ihrem Protest für den Klimaschutz internationale Nachahmer gefunden hat. „Es ist eine tolle Sache, und von CANAE überlegen wir derzeit gemeinsam mit dem spanischen Jugendrat, in welcher Form wir ebenfalls Demonstrationen organisieren können", sagt López. Klimaschutz sei ein wichtiges Thema - auch wenn er persönlich sich weniger für Umweltthemen interessiere.

„Das Wichtigste ist für mich, dass alle am Bildungssystem teilhaben können." Als größtes Problem sieht Carles López deshalb die hohe Schulabbrecher-Quote, die auf den Balearen über dem nationalen Durchschnitt liegt. „Man kann die Schuld nicht allein bei den Schülern suchen. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft", sagt er. Das Bildungssystem müsse flexibler werden, ebenso wie der Arbeitsmarkt. „Es sollte Schülern möglich sein, auch neben der Schule arbeiten zu können, wenn sie das Geld brauchen." Ein Ausbildungssystem nach deutschem Vorbild kann er sich in Grundzügen gut in Spanien vorstellen. „Aber zunächst muss die Gesellschaft die Ausbildungen wieder mehr wertschätzen."

Noch ein gutes halbes Jahr, dann geht im September sein Mandat als CANAE-Vorsitzender zu Ende, und auch sein 23. Geburtstag steht an. Noch einmal antreten will er nicht. „Ich bin schon sehr alt dafür", findet er. Wie es dann mit ihm weitergehe, wisse er noch nicht. Dabei mangelt es nicht an Jobangeboten: Zahlreiche Parteien hätten bereits bei ihm angefragt und Karrieremöglichkeiten in Aussicht gestellt. „Ich will weiter Politik machen, das ist klar. Aber dafür brauche ich nicht unbedingt Parteien, zumindest erst einmal nicht." Auch in NGOs könne man einiges bewegen, und politisch festlegen möchte er sich nicht.

Zunächst müsse er ja auch sein Studium beenden. Meist paukt er nachts oder auf Fahrtstrecken für Klausuren und Hausarbeiten. „Die meisten meiner Professoren haben gar keine Ahnung, was ich neben dem Studium so alles treibe." Für sie sei er einer von vielen Studierenden. „Ein knappes Jahr noch, dann bin ich wohl durch."

Direkt nach Mallorca zurückzuziehen schließt Carles López aus. Erst einmal wolle er noch mehr bewegen. Die Insel sei aber nach wie vor seine Heimat, auf seinen mallorquinischen Akzent ist er in der spanischen Hauptstadt sogar stolz. „Irgendwann einmal hier arbeiten zu können, und von hier aus Dinge zu verändern, das wäre großartig."