Nachhaltigkeit, Qualitätstourismus, Umweltschutz - immer wieder hat die linksgrüne Balearen-Regierung auf Mallorca diese Schlagwörter in den vergangenen vier Jahren benutzt. Die Message ist klar: Man will weg vom Billigtourismus, weg von immer neuen Hotelburgen, weg von Saufurlaubern und All-inclusive-Paketen und hin zu mehr Kultur- und Aktivtourismus.

Nirgends auf der Insel liegen die Welten von grölenden Kegelclubs und jungfräulicher Natur so nah beieinander wie im Nordosten. Und sie dürften bald noch näher zusammenrücken: Die im April verabschiedete Vergrößerung des Naturschutzgebiets Parc de Llevant um ein Zehnfaches seiner bisherigen Fläche birgt auch für das feiernde Partyvolk strenge Auflagen. Statt auf 1.658 Hektar beschränkt und abgeschieden an der unbebauten Küste Artàs soll das Schutzgebiet sich künftig auf 16.855 Hektar erstrecken - und dann von den Ausläufern Can Picaforts die gesamte Küste Artàs entlang bis hin zur Cala Torta und Cala Agulla reichen, wo dieser Tage die Urlauber von Cala Ratjada das Sagen haben. Ein Besuch in den drei Welten, die trotz der örtlichen Nähe unterschiedlicher kaum sein könnten.

Wandern im Naturparadies

Die Sonne scheint warm auf den Vorplatz des Informationszentrums in dem ursprünglichen Teil des Parc Natural de Llevant, das seit 2001 unter Schutz steht. Ein paar Schafsglocken sind zu hören, ein paar Vögel, ansonsten ist es still. Als Cristian Ruiz das Holzgatter öffnet, das allein Fußgängern den Weg ins Herz des geschützten Gebiets gewährt, quietscht es leicht. „Die Absperrung braucht es. Nicht, damit die Tiere drinnen , sondern damit die Autos draußen bleiben", sagt Ruiz. Seit drei Jahren ist der Biologe der Leiter des Naturschutzgebiets.

Er ist ein Idealist, das merkt man schnell, wenn man mit ihm ins Gespräch kommt. Sein Motto: Dinge sind unmöglich, bis sie passieren. „In ein paar Jahren werden wir das Naturschutzgebiet sogar um das Zwanzigfache vergrößern, ganz sicher", sagt er optimistisch. Er hat es nicht gerne, wenn Urlauber oder Journalisten Drohnenkameras mitbringen, um die überwältigende Hügelkulisse festzuhalten, die sich im Herzen des Schutzgebiets am Puig de Sa Tudossa erstreckt. „Besser, man genießt den Ausblick einfach so und bleibt auf den Wegen", sagt er. Links ist die gesamte Nordküste bis zum Cap Formentor zu sehen, rechts die Anfang Juni noch grünen Hügel, die in der Ferne in türkise Buchten und das weite Mittelmeer übergehen.

Ab und an kommen Wanderer vorbei. Ruiz grüßt sie freundlich. Probleme gebe es nie. „Es ist in unserem Interesse, dass die Leute das hier kennenlernen. Denn was man nicht kennt, schätzt man nicht, und was man nicht schätzt, schützt man nicht", sagt er. Noch gebe es keine geführten Touren. „Das soll sich aber ändern." Cristian Ruiz kann sich thematische Führungen vorstellen. Etwa zur Mallorca-Geburtshelferkröte (Alytes muletensis, kat. ferreret), die bereits kurz vor dem Aussterben war, sich seit einigen Jahren aber wieder im Schutzgebiet fortpflanzt. Oder über geschichtliche Hintergründe, wie die alten Baracken des campament dels presos, die auf halbem Weg vom Informationszentrum auf einem Hügel stehen, und in denen Franco-Gegner als Zwangsarbeiter schuften mussten. „Ich will, dass die Menschen unsere Geschichte kennenlernen, auch die dunklen Kapitel", sagt Cristian Ruiz.

Schlemmen an der Cala Torta

6,5 Kilometer südöstlich: Am Naturstrand Cala Torta haben die Dortmunder Rainer Sasse und Wolfgang Zawatzky ganz andere Gelüste. Sie blicken begeistert, als der Kellner des Strandlokals ihnen eine duftende Fischplatte serviert. „Wir kommen seit 16 Jahren immer an einem Urlaubstag zur Cala Torta", erzählt Sasse. Erst von der Cala Mesquida aus hierher wandern, dann lecker Fisch essen, kühle Getränke und schattige Sitzmöglichkeiten genießen. „Ich weiß nicht, ob ich noch kommen würde, wenn es das Lokal hier nicht mehr gäbe", sagt Zawatzky und wiegt abschätzend den Kopf.

Das könnte schon bald der Fall sein. Offiziell ist die Betriebsgenehmigung bereits seit August 2018 ausgelaufen. Das Lokal steht mitten im ausgetrockneten Bett des Sturzbachs, der essenziell für das Ökosystem der Cala Torta ist. Um den aktuellen Auflagen zu entsprechen, müsste das Chiringuito zumindest im Winter abbaubar sein.

Und doch: Die Betreiber machen mit dem Verkauf weiter, als sei nichts gewesen - schließlich floriert das Geschäft. An sonnigen Tagen wie diesen zahlen die überwiegend deutschen Gäste weit ab von der Zivilisation gerne drei Euro für eine kühle Cola oder knapp 60 für eine Fischplatte. Einen Hehl daraus, dass der Betrieb derzeit illegal ist, macht vom Personal niemand. „Wir hören hier erst auf, wenn Behördenmitarbeiter vor der Tür stehen und uns dazu zwingen, dicht zu machen", so ein Kellner knapp.

Saufen an der Cala Agulla

„Wir müssen aufhören, weniger zu trinken", grölt ein junger Mann mit knallrotem Nacken und Badeshorts an der gut vier Kilometer Luftlinie entfernten Cala Agulla, und stellt sich als Harry aus Recklinghausen vor. Er sei mit seinen Fußballkumpels über das Vatertags­wochenende nach Cala Ratjada hergekommen, berichtet er mit leichtem Lallen. Zum Feiern, zum Mädels abchecken und zum Trinken. „Das ist bei uns schon Tradition", sagt er. Genau wie bei vielen anderen Gruppen.

Der weitläufige, von Dünenwäldern umgebene und fußläufig vom Ortskern zu erreichende Strand, ist heute rappelvoll. Die Mülleimer quellen über, die zwei legalen, abbaubaren Strandkioske verkaufen ein Bier nach dem anderen. Statt Vogelgezwitscher klingen deutsche Schlager über den Strand. „Nee, wir haben noch nie Ausflüge über die Insel gemacht. Nur einmal waren wir am Ballermann", sagt Harry. Klar möge er die Natur hier. Aber die könne man mit einem Bier in der Hand doch am besten genießen. „Und dass wir uns mal in den Dünen erleichtern, ist ja wohl kein Verbrechen, ist doch guter Dünger."

Nein, erfreut über die Exzesse sei er auch nicht, sagt der zuständige Bürgermeister Rafel Fernández. Man versuche ja bereits, mit Benimmregeln gegenzusteuern. Offensichtlich aber nur mit mäßigem Erfolg. Die langen Wochenenden über Himmelfahrt und Pfingsten seien die schlimmsten im Jahr und nicht repräsentativ, beschwichtigt Fernández. „Danach wird es hier wieder zivilisierter."

Gleicher Schutz für alle

„Sowohl in der Cala Torta als auch in der Cala Agulla herrschen bereits seit Jahren Naturschutzauflagen, die sowohl das Parken in den Dünen als auch Verschmutzung und Lärm verbieten. Das Problem ist, dass sie nicht eingehalten werden, weil es kaum überprüft wird", sagt Naturparkleiter Cristian Ruiz. Genau das zu ändern, sei die Chance, die mit der Erweiterung des Naturschutzgebiets einhergehe. „Bald gibt es mehr Geld und mehr Personal. Mit illegalen Strandkiosken und Massen­besäufnissen ist es dann vorbei."

Für Cristian Ruiz würde das nicht nur einen Gewinn für den Naturschutz bedeuten, sondern auch für die gesamte Tourismusbranche auf der Insel. „Wir brauchen Qualitätstourismus. Nur so können wir mit anderen

Urlaubsdestinationen langfristig mithalten." Eine intakte Landschaft sei dafür grundlegend. „Oder gibt es etwas Schöneres als die Natur hier?", fragt Ruiz.