Die Saison startet, Mallorca wird täglich voller. Und somit mehren sich auch die Überfälle der sogenannten Rolex-Banden: Mitte Mai wurde einem Deutschen an der Plaça Gomila in Palma mitten am Tag eine 30.000 Euro teure Rolex vom Handgelenk gerissen. In Port d'Andratx erwischte die Guardia Civil Anfang Juni einen Mann, der einer Supermarktkundin eine 20.000 Euro teure Uhr von der Hand reißen wollte. Kurz darauf nahm die Nationalpolizei auf Ibiza sechs mutmaßliche Mitglieder einer Rolex-Bande fest. Die MZ hat mit dem Oberkommissar der Abteilung „Organisierte Kriminalität" bei der Nationalpolizei in Palma gesprochen. Weder sein Name noch sein Foto dürfen in der Zeitung erscheinen.

Nach zahlreichen Festnahmen stellt sich die Frage: Wie viele Banden gibt es überhaupt?

Es gibt mehrere. Normalerweise sind das Gruppen, die zwischen zwei und vier Personen umfassen. Jede Gruppe hat ihre eigene Vorgehensweise.

Und die wären?

Wir unterscheiden vor allem zwischen zwei Kollektiven. Zum einen gibt es Taschendiebe, die sich inzwischen auf teure Uhren spezialisieren. Häufig sind es Rumänen. Üblicherweise sind es eine oder zwei junge Frauen, die sich ihren Opfern unter einem Vorwand nähern: Sie fragen nach einer Kirche, nach Arbeit oder Almosen, sammeln Unterschriften für eine Vereinigung oder bieten Sex an. Sie sind sehr geschickt und entwenden die Uhr, ohne dass das Opfer das in den meisten Fällen bemerkt. Haben sie die Uhr, wartet in der Nähe ein Komplize in einem Fahrzeug zur gemeinsamen Flucht.

Und die anderen Täter?

Das sind Italiener, aus Neapel. Sie arbeiten meist in Vierergruppen. Zwei von ihnen mieten mit gefälschten italienischen Papieren Motorroller an, deren Kennzeichen sie häufig mit gefälschten Nummernschildern überkleben. Dann übergeben sie den Motorroller den anderen beiden Mitgliedern der Gruppe. Normalerweise sind das große, kräftige Männer. Sie treiben sich häufig in Touristengebieten, in Sporthäfen, Luxusrestaurants oder exklusiven Geschäften herum. Wenn sie ein potenzielles Opfer ausfindig machen, folgen sie ihm, um den idealen Ort für den Überfall auszuwählen. Sie werden im Unterschied zu den rumänischen Taschendieben auch mal handgreiflich, wenn es nötig ist. Einer der Täter entwendet dann die Uhr, der andere wartet auf einem Roller, um zu flüchten. Die anderen beiden halten sich in der Nähe auf und bekommen die Uhr zugesteckt, damit die Täter auf dem Motorroller kein Beutegut dabeihaben, sollten sie von der Polizei angehalten werden.

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Gehören diese Leute der Camorra an?

Wir wissen durch Verhaftungen, dass die Neapolitaner auch in Italien regelmäßig Delikte begangen haben und polizeibekannt sind. Wir gehen davon aus, dass sie zur untersten Stufe der Camorra gehören.

Die Rolex-Banden sind inzwischen ein weltweites Phänomen. In Lateinamerika benutzen die Täter sogar Feuerwaffen. Haben Sie das auf Mallorca bereits beobachtet?

Nein, auf den Balearen haben wir bisher keinen derartigen Fall registriert. Vor Jahren gab es einen Überfall in Madrid, bei dem der Täter das Opfer mit einer Waffe bedrohte. Aber auf den Inseln ist das ungleich schwieriger, weil die Täter ja entweder per Schiff oder Flugzeug kommen. Spätestens bei der Kontrolle wird die Waffe entdeckt. Außerdem müssen die Täter selten Gewalt anwenden, weil sie entweder so geschickt vorgehen oder die Opfer die Uhren freiwillig herausgeben.

Was passiert mit den Festgenommenen?

Zumeist kommen die Täter nach kurzer Zeit unter Auflagen frei, vor allem, wenn sie keine Gewalt anwenden. Es wird also als gewöhnlicher Diebstahl gewertet. Bei schweren Fällen können die Täter in Untersuchungshaft geschickt werden, wo sie bis Prozessbeginn bleiben. Das ist aber die Ausnahme. Die Justiz lässt sie, auch aufgrund von Arbeitsüberlastung, meist schnell wieder laufen.

Was passiert mit den gestohlenen Uhren?

Die werden auf dem Schwarzmarkt verkauft. Die Käufer wissen sehr genau, dass es sich nicht um legal erworbene Uhren handelt. Deshalb sind die Preise deutlich geringer. Für eine 30.000 Euro teure Uhr gibt es auf dem Schwarzmarkt aber immerhin noch rund 10.000 Euro.

Gibt es ein einheitliches Profil der Opfer?

Mehr oder weniger schon. Die Banden suchen sich meist ältere Menschen als Opfer aus, von denen sie keine große Gegenwehr erwarten. Außerdem glauben die Täter, dass sie diese Menschen einfacher überrumpeln können.

Was raten Sie der Bevölkerung?

Wenn Sie eine teure Uhr tragen, achten Sie darauf, dass Ihnen niemand folgt. Wenn Sie angesprochen werden, passen Sie vor allem auf die Uhr auf, und nicht nur auf Ihren Geldbeutel oder auf Ihr Handy. Wurden Sie bestohlen, merken Sie sich Details, wie das Aussehen der Täter und die Kennzeichen der Fahrzeuge. Rufen Sie die 091 an und berichten Sie detailliert vom Überfall. Sie können die Anzeige dort in Ihrer Sprache aufgeben. In der Polizeidienststelle gibt es außerdem Übersetzer. Wichtig ist es, die Seriennummer der Uhr mitzuteilen. Sie wird in den polizeilichen Akten gespeichert.