Sie macht sich gut vor der Kamera, wenn sie einen ihrer unterhaltsamen Monologe startet: Kein Stottern, kein Ablesen, keine Floskeln, dafür Gedankenpausen an der richtigen Stelle, klare Worte, vielsagende Gesichtsausdrücke und immer ein ironischer Unterton auf den Lippen. Wer Gloria Santiago in ihren rund anderthalb Minuten langen Video-Clips sieht, der merkt schnell, dass sie durchaus das Zeug zum Comedian hätte. Das zeigen auch die Klickzahlen. Bei Youtube wurden einige ihrer Videos viral, bei Twitter hat sie mehr als 12.000 Follower, auch ihr Instagram-Account ist stark frequentiert. Doch die Ibizenkerin hatte schon immer ganz andere Pläne, als nur im Netz groß rauszukommen. Seit sie 2014 mit einer Freundin den Ortsverband der linken Protestpartei Podemos auf Ibiza gründete, will sie durch die Politik die Welt verändern. Jetzt ist sie in Palma de Mallorca zur stellvertretenden Präsidentin des Balearen-Parlaments ernannt worden.

„Es ist etwas ganz anderes, ob man zu Hause vor der Webcam sitzt oder ob man in einer leitenden Position vor den Abgeordneten steht", räumt Santiago ein, die sich auch beim MZ-Interview zu artikulieren weiß. „Ich ­switche dann um. Als Vizepräsidentin bin ich weitgehend unparteiisch, trete professionell und verantwortungsbewusst auf. Das hat nichts mit meinem Video-Ich zu tun", sagt sie.

Politik leicht gemacht

Tatsächlich würde sich das, was sie in ihren Internet-Videos von sich gibt, im Parlament in Palma auch nicht schicken. Mit spitzer Zunge nimmt sie online die großen Machthaber des Landes aufs Korn, allen voran Pablo Casado von der konservativen PP oder Santiago Abascal von der rechtspopulistischen Partei Vox. „Ay Pablo, du willst uns Frauen Begleitschutz geben", stichelt die Ibizenkerin in Bezug auf die Forderung des Konservativen, mehr Polizei einzustellen, um so häusliche Gewalt zu unterbinden. Da könne man ja gleich auf „die von Vox" hören und zulassen, dass jeder Bürger bewaffnet auf die Straße gehen darf, fährt Santiago fort. „Toll, so wären wir Frauen alle geschützt", kommentiert Santiago mit ironischem Blick und geht dann zum Angriff über. „Wenn dir das mit dem Begleitschutz (auf Spanisch: escoltas) so gut gefällt, warum bist du dann am Frauentag nicht dabei und hörst zu (auf Katalanisch: escoltas). Überleg mal. Vielleicht wäre es genau das, was wir Frauen brauchen: dass uns zugehört wird."

In den Videos redet Santiago meist auf ­Spanisch, nicht auf Ibizenkisch. „Ich komme ursprünglich aus Córdoba in Andalusien, habe aber mein halbes Leben auf Ibiza verbracht", sagt sie. Und außerdem sei es ihr ­wichtig, möglichst viele Menschen mit ihren Botschaften zu erreichen - gern auch über die ­Inselgrenzen hinaus.

„Angefangen habe ich mit den Videos, weil ich es einfach nicht mehr aushalten konnte, dass Politik für viele Menschen so weit weg ist. Erst recht junge Leute erreicht die Politik oft nicht", berichtet Santiago im Interview. Also begann sie, einzelne politische Sachverhalte oder aktuelle Ereignisse kurz und knapp in ­Video-Clips zu erläutern. „Einfach, aber mit Fundament", wie die studierte Juristin sagt. „Ich war schon immer beruflich und privat in den sozialen Medien sehr aktiv, und sie bieten sich nunmal an, um die Leute zu erreichen." Die 31-Jährige ist sich sicher: „Wenn man etwas nicht in gut einer Minute seiner Oma, seiner Freundin oder seinem Nachbarn erklären kann, dann hat man es auch nicht richtig verstanden." Das typische Politiker-Gefasel helfe da gar nicht, sondern schaffe erst die Distanz, die dann schnell in Politikverdrossenheit umschlagen könne.

Die Themen, die Santiago behandelt, sind breit gestreut. „Ich bin Feministin. Aber auch Bildung interessiert mich, genau wie Jugendthemen und natürlich strafrechtliche Dinge." Ihr juristisches Fundament und ihr Wille, Dinge zu verändern, hätten dann auch dazu beigetragen, dass sie in der vergangenen Legislaturperiode bereits mit 26 Jahren zur Dezernentin für Bürgerbeteiligung und Transparenz im ibizenkischen Inselrat bestimmt wurde. „Jetzt dem Balearen-Parlament vorzustehen, ist natürlich noch einmal etwas ganz anderes", räumt sie ein. Das mache sich alleine schon an der Häufigkeit bemerkbar, mit der sie in Palma Präsenz zeigen muss. „Vier, fünf Tage die Woche bin ich auf Mallorca, obwohl ich eigentlich immer noch auf Ibiza wohne." Mittlerweile fühle sie sich aber eher, als würde sie im Flugzeug leben - schließlich hat sie auf ihrer Insel auch noch allerlei Verpflichtungen und Besprechungen.

Das System nutzen

Von der Krise, die Podemos auf den Balearen vor dem Wahlkampf Anfang des Jahres erfasst hat - ein Großteil der Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode trat nicht wieder an, weil ihnen die Verbindung ihrer aus einer Protestbewegung entstandene Partei zu den Menschen auf der Straße fehlte - hat sich Santiago nicht beeinflussen lassen. „Ich bin einfach der Meinung, dass man das System nur von innen heraus verändern kann. Das erscheint manchmal widersprüchlich, aber anders ist es nicht möglich." Die Institutionen zu nutzen und auch Konsens zu suchen, müsse nicht heißen, den Kontakt zu den Menschen auf der Straße zu verlieren. „Deshalb werde ich auch weiterhin meine Online-Videos machen, und zwar auf genau die gleiche Art und Weise wie bisher. Nicht in der Funktion als Vizepräsidentin des Parlaments, sondern als das ironische Ich, das ich nun mal auch bin."