Es fehlte nicht viel, und der kubanische Arzt, der eine Vertretung im Gesundheitszentrum Valldargent im Nordwesten von Palma übernommen hatte, hätte Schläge eingesteckt. Der Patient diktierte ihm quasi ein medizinisches Gutachten, und als der Arzt sich weigerte, es auch noch laut vorzulesen, rastete der Patient aus. Er drohte und beleidigte den Kubaner, auch rassistische Kommentare fielen, im Behandlungszimmer, aber auch vor den anderen Patienten im Wartezimmer.

Der Zwischenfall von Mitte vergangener Woche ist die zehnte Attacke auf einen Arzt auf den Balearen seit Jahresbeginn. Im vergangenen Jahr wurden 14 Fälle registriert, wobei es in gut einem Drittel nicht bei Beleidigungen und Drohungen blieb, sondern die Patienten auch handgreiflich wurden. Mit 2,43 registrierten Fällen pro tausend Ärzten liegt die Quote auf den Balearen deutlich über der spanienweiten Zahl von 1,91 Attacken. Betroffen ist freilich das gesamte Personal, in Gesundheitszentren, in der Notaufnahme oder draußen beim Einsatz mit dem Ambulanzwagen. Seit Jahresbeginn wurden 265 Agressionen im öffentlichen Gesundheitssystem der Balearen registriert, 26 davon waren tätliche Übergriffe. Die Zahl der Anzeigen stieg von 383 im Jahr 2014 auf 488 im vergangenen Jahr.

„Es passiert jeden Tag und überall", berichtet Daniel Torres, Sprecher der Gewerkschaft USAE. Die Fachkräfte müssten sich anhören, dass ein Krankenwagen zu spät eintreffe, dass man viel zu lange im Wartezimmer sitze, dass man lieber dieses und nicht das andere Medikament verschrieben hätte, von dem man im Internet gelesen habe, oder dass man unbedingt krankgeschrieben werden müsse. Auch wenn sich geschätzte 95 Prozent der Patienten korrekt verhielten, machten die restlichen den Fachkräften das Leben schwer und die Arbeit zum Risiko, so Torres.

Die Kommission zur Prävention von Arbeitsrisiken im balearischen Gesundheitssektor hat deswegen vergangene Woche beschlossen, dass die Notfallmediziner des öffentlichen Gesundheitsservices mit schnittsicheren Westen und Handschuhen ausgestattet werden. „Das ist vor allem in Konfliktgebieten wie Magaluf wichtig", so Torres. „Da weiß man nie, was einen erwartet." Wo es früher meist bei Beleidigungen geblieben sei, würden Patienten heute schneller übergriffig.

Man müsse unterscheiden zwischen dem Verhalten von Patienten, die wegen Alkohol, Drogen oder Psychosen aggressiv würden, und solchen, die einfach so austicken, sagt Manuela García Romero, Präsidentin der balearischen Ärztekammer. Sie geht nicht unbedingt von einer Zunahme der Übergriffe aus, sondern vielmehr der Anzeigen: Wo Ärzte schwiegen, gilt heute eine Null-Toleranz-Politik. „Ein Angriff zerstört das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und ist ein Attentat auf das Gesundheitssystem", so Romero - wer unzufrieden sei mit der Behandlung, müsse dies auf andere Weise klären als mit Beleidigungen, Drohungen oder gar Angriffen. Seit inzwischen zehn Jahren gibt es ein eigenes Gremium in Spanien zur Erfassung der Übergriffe - Auslöser war damals eine tödliche Attacke. Das Protokoll der balearischen Ärztekammer sieht eine umfassende psychologische und juristische Beratung für die Opfer der Angriffe vor, die Krankschreibung ist durch eine eigene Versicherung gedeckt.

Worüber sich so mancher wütende Patient nicht im Klaren sein dürfte: Seit der Reform des spanischen Strafgesetzbuches im Jahr 2015 gelten Attacken auf das Personal im öffentlichen Gesundheitssystem als Angriff auf die staatliche Autorität.Das balearische Gesundheitsministerium warnt vor Strafen von theoretisch bis zu drei Jahren Haft. „Wir überarbeiten derzeit unser Handlungsprotokoll", so der zuständige Personalverantwortliche bei IB-Salut, José María Bautista, die Beratung soll weiter ausgebaut werden. Auch Bautista erklärt die steigende Zahl der Anzeigen vor allem mit einem verstärkten Bewusstsein für das Problem.

Im Fall der Ärzte konzentrieren sich vier Fünftel der Anzeigen auf das öffentliche ­System. Aber auch im privaten Gesundheitssektor müssen Angestellte viel einstecken: „Viele Privatversicherte glauben, sie hätten das Recht auf eine Vorzugsbehandlung", ­berichtet eine Krankenschwester, die in der Notaufnahme einer Privatklinik in Palma ­arbeitet. Vor ­allem, wenn Patienten nicht ­sofort an die ­Reihe kämen, werde nicht selten mit einer ­Beschwerde bei den Vorgesetzten ­gedroht. „Wir sagen dann: Nur zu", so die Krankenschwester. „Bei manchen Patienten ­erweist es sich dann als leere Drohung."

Wo gesunder Menschenverstand und ein kühler Kopf nicht ausreichen, sollen spezielle Präventionskurse helfen. Doch von diesen gibt es nach Ansicht der Gewerkschaften bislang nicht ausreichend. „Wir bieten dieses Jahr doppelt so viele Kurse an wie vergangenes Jahr", sagt hingegen Bautista von IB-Salut. Gewerkschaftssprecher Torres kritisiert zudem, dass aggressive Patienten zu oft mit niedrigen Geldstrafen davonkämen, weil ungerechtfertigterweise mildernde Umstände anerkannt würden. Hier müsse man ein klares Signal setzen.

Das Phänomen ist nicht auf Mallorca oder Spanien beschränkt. Der „Spiegel" widmete der „Rüpel-Republik" Deutschland vor Kurzem ein Titelthema. Die Quintessenz der Konfliktforscher: Wo es immer stärker um individuelle Durchsetzungsfähigkeit und Eigeninteresse geht, wird auch das gesellschaftliche Klima rauer. Und nicht zuletzt bricht sich die in den sozialen Medien trainierte Wutkultur auch im wirklichen Leben Bahn.

Auch Gewerkschafter Torres spricht von einer „allgemeinen Gereiztheit" in der Gesellschaft, die man immer stärker zu spüren bekomme. „Viele pochen auf ihre Rechte, vergessen aber, dass sie auch Pflichten haben."